Behinderte sollen nicht länger von Wahlen ausgeschlossen bleiben. Foto: dpa

Behinderte dürfen nicht von Wahlen ausgeschlossen werden, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Ob die Betroffenen schon bei der Kommunalwahl im Mai abstimmen können, ist allerdings noch offen.

Stuttgart - Eigentlich dürfen alle deutschen Staatsbürger, die am Wahltag mindestens 18 Jahre alt sind, wählen. Doch derzeit sind über 80 000 Personen, davon fast 6000 in Baden-Württemberg, vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil sie wegen einer Behinderung einen gerichtlich bestimmten Betreuer haben.

 

Der SPD im Landtag ist diese Regelung in den Wahlgesetzen schon länger ein Dorn im Auge. „Wir hatten im vergangenen Jahr beantragt, die Wahlrechtsausschlüsse im Kommunalwahlrecht aufzuheben“, sagte die SPD-Fraktionsvize Sabine Wölfle am Freitag. Damals hätten Grüne und CDU erklärt, sie wollten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten. „Nachdem dies nun entschieden hat, muss die Landesregierung nun unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Kommunalwahlrechts zustimmen“, forderte Wölfle.

Pauschaler Ausschluss nicht möglich

Die Regelungen zum Wahlausschluss im Bundestagswahlgesetz sei verfassungswidrig, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung des Bundesververfassungsgerichts. Sie verstoßen aus Sicht der Karlsruher Richter gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung. Grundsätzlich sei ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht zwar möglich, „wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit zur Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen dem Volk und den Staatsorganen nicht in hinreichendem Umfang möglich ist“ – das könnte etwa für Personen, die im Wachkoma liegen, gelten. Ein pauschaler Ausschluss sei jedoch nicht zulässig, erklärten die Richter. Das gilt auch für schuldunfähige Straftäter, die in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Geklagt hatten acht Personen, die bei der Bundestagswahl 2013 nicht wählen durften.

Der baden-württembergische Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung begrüßte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. „Der Ausschluss vom Wahlrecht widerspricht dem Leitbild einer inklusiven Gesellschaft und muss daher dringend geändert werden“, sagte die Geschäftsführerin Jutta Pagel-Steidl. „Das Wahlrecht für alle ist das Gebot der Stunde.“

Grüne und CDU prüfen schnelle Umsetzung

Ob bisher vom Ausschluss Betroffene in Baden-Württemberg schon bei den Europa- und Kommunalwahlen am 26. Mai von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können, ist allerdings offen. Über die Vorgaben für die Europawahl wird in Berlin entschieden, das Kommunalwahlgesetz kann der baden-württembergische Landtag ändern.

„Wir werden zügig prüfen, welche zeitlichen Spielräume wir haben, um den Menschen mit Behinderung die Teilnahme an den Kommunalwahlen doch noch zu ermöglichen“, sagt Hans-Ulrich Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion. Besser wäre aus seiner Sicht eine gleichzeitige Anpassung der Rechtsgrundlagen in Bund und Land. Einen entsprechenden Gesetzentwurf von Grünen,Linken und FDP im Bundestag hätten CDU/CSU und SPD aber am Mittwochabgelehnt.

SPD hält verküztes Verfahren für möglich

„Wir werten den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gerade aus und prüfen, was möglich ist“, sagte der kommunalpolitische Sprecher der CDU-Landtagfraktion, Ulli Hockenberger. „Es ist uns wichtig, dass das Wahlrecht als ein wesentliches Recht der Demokratie auch verfassungskonform ausgestaltet ist.“

Aus Sicht der SPD-Landtagsabgeordneten ist die Änderung des Kommunalwahlrechts bei gutem Willen noch zu schaffen. Ihr Gesetzentwurf könnte am 22. März zur ersten Beratung in den Landtag kommen und Anfang April dort beschlossen werden, sagte Wölfle. „Das verkürzte Anhörungsverfahren und der Verzicht auf dieAussprache bei der ersten Beratung sind gut möglich, weil inhaltsgleiche Vorschläge im letzten Jahr schon einmal im Landtag beraten worden sind.“