Bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse für die Landtagswahlen in Bayern herrschte pure Euphorie bei den Grünen. Foto: AFP

Gibt es eine „Baden-Württembergisierung“ der bayrischen Politik? Der immense Wahlerfolg der Grünen zieht sich jedenfalls wie ein roter Faden durch den Süden Deutschlands. Womöglich dient Stuttgart nun als Vorbild für München.

Stuttgart/München - Die „Baden-Württembergisierung“ der bayerischen Politik gibt den Landtagswahlen einen historischen Anstrich. Denn der neue Trend dürfte nachhaltig sein, wie man im Südwesten weiß. Die wesentlichen Erkenntnisse:

Die Grünen erobern die Großstädte

Bayern bleibt schwarz – doch die Graswurzelrevolution ist in vollem Gange. Erstmals überhaupt konnten die Grünen im Freistaat Direktmandate holen: fünf von neun Stimmkreisen in München und einen in Würzburg. In der Landeshauptstadt wurden die Grünen mit 30,3 Prozent (plus 18,2) der Gesamtstimmen vor der CSU mit 25,2 Prozent (minus 11,5) sogar klar die stärkste Kraft – dort steht die Abgeordnetenriege nun grüner, jünger und multikultureller da.

Besonders stützen sich die bayerischen Grünen auf ihre Wähler in den Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern. Dort haben sie laut Infratest dimap im Vergleich zu 2013 um 15 Prozentpunkte auf einen Stimmenanteil von 26 Prozent zugelegt, wo allerdings auch die SPD besonders drastisch eingesackt ist. In den Mittelstädten legen die Grünen um neun Prozentpunkte zu – und selbst in die Kleinstädte und den tiefschwarzen ländlichen Raum (jeweils plus sieben Prozentpunkte) dringt die bayerische Ökopartei vor. 170 000 Wähler haben sie von der CSU gewonnen, 200 000 von der SPD und 140 000 aus dem Nichtwählerlager – damit leisten sie einen starken Beitrag zur hohen Wahlbeteiligung von 72 Prozent.

Die Grünen-Wähler finden sich in allen Altersklassen gleichmäßig – nur bei den Älteren ab 60 Jahren können sie nicht landen. Umwelt- und Klimapolitik, Naturschutz und soziale Gerechtigkeit – die Bereiche, die zur DNA der Ökopartei gehören, haben für viele Wähler den Ausschlag gegeben. Somit räumt CSU-Chef Horst Seehofer Defizite seiner Partei bei Ökothemen ein: „Die müssen wir abstellen und eine glaubwürdige Umweltpolitik präsentieren.“

Laut der Forschungsgruppe Wahlen betreiben die Grünen für 55 Prozent aller Befragten „eine modern-bürgerliche Politik“. Relativ viel Zuspruch ernten sie beim Wahlkampfschlager Asylpolitik. Aber auch auf den Feldern Familie, Gerechtigkeit und Zukunft werden sie als kompetent eingestuft. „Wir haben in der bürgerlichen Mitte zu viel verloren“, klagt CSU-Urgestein Barbara Stamm – nachdem die Landtagspräsidentin ihren eigenen Sitz eingebüßt hat.

Die CSU verliert den Allmachtsanspruch

Die konservative Mitte Bayerns differenziert sich nun in diverse Strömungen. Denn die CSU hat nicht nur 170 000 Wähler an die Grünen, sondern auch jeweils 160 000 an die Freien Wähler und AfD sowie 40 000 an die FDP verloren. Nachdem die Christsozialen „mit rückläufiger Integrationsfähigkeit in praktisch allen sozialen Gruppen ihren Nimbus als prädominante Partei verlieren, ist das Resultat auch ein Votum gegen die etabliert-landestypische Machtkonzentration“, schlussfolgert die Forschungsgruppe Wahlen. Das Modell CSU-Alleinregierung im Freistaat werde klar abgelehnt, wogegen 49 Prozent eine CSU/Freie-Wähler-Koalition und 47 Prozent Schwarz-Grün in Bayern befürworteten.

Bei den über 60-Jährigen kämen Seehofer, Söder & Co. mit einem Anteil von 47 Prozent zwar noch auf eine absolute Mehrheit, dennoch muss dieser Umstand beunruhigen. Denn konservative alte Wähler werden immer weniger. Der schon unter Edmund Stoiber bis zum Überdruss strapazierte Slogan „Laptop und Lederhose“ geht mittlerweile voll in dieselbe. Die CSU hat es nicht geschafft, sich glaubwürdig zu modernisieren. Je jünger die Wähler, desto proeuropäischer ihre Haltung – auf sie wirkt eine Abschottungspolitik abstoßend.

Rechtsdrall hat der AfD geschadet

Wer die alten Bilderbuch-Verhältnisse nach dem Motto „Bayern first“ partout bewahren will, wählt jetzt eben auch Freie Wähler – oder die AfD. Die Rechtspopulisten gewinnen allerdings nur einen kleineren Teil ihrer Kundschaft von der CSU und noch viel weniger von der SPD. Den größten Stimmenzuwachs erzielen sie laut Infratest dimap bei nicht etablierten Kleinparteien sowie im Nichtwählerlager.

Die AfD hatte auf einen besseren Start in Bayern gehofft – gemessen an anderen Bundesländern bleibt sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Dies führen die Parteichefs Alexander Gauland und Jörg Meuthen auf die Konkurrenz im konservativen Lager zurück: Viele CSU-Abtrünnige hätten schon bei den Freien Wählern haltgemacht. Aber auch die Krawalle von Chemnitz haben Spuren hinterlassen: Da hat die AfD die Gewalt zwar verurteilt – zugleich zeigten führende Funktionäre aber offene Sympathie für die Rechtsextremisten. Dieser Spagat sollte am rechten Rand mobilisieren – tatsächlich wurden auch Wähler aus der bürgerlichen Mitte abgeschreckt. Die von Gauland noch am Samstag in Thüringen verkündete Abgrenzung („Nazis gehören nicht in diese Partei“) wirkte sich offenkundig nicht mehr aus. Laut Forschungsgruppe Wahlen sehen 78 Prozent aller befragten Bürger in der AfD rechtsextremes Gedankengut weit verbreitet.