Gewissenhaftigkeit und Fleiß sind mitunter wichtiger als Schulnoten: Lehrling Jakob Siemers im Stettener Ochsen bei der Produktion von Metzgermaultaschen. Foto: Gottfried Stoppel

Der Ochsen in Stetten ist von der Arbeitsagentur im Rems-Murr-Kreis ausgezeichnet worden – weil er auch vermeintlich schwächeren Jugendlichen eine Chance gibt.

Wenn Sascha Pfeil über seinen Job spricht, geht es ihm nicht nur um die Arbeit mit der Knochensäge, die perfekte Würzmischung für den Fleischkäse und die mitunter subtropische Hitze in den Dampfschwaden der Wurstküche. Nein, der junge Metzgermeister aus dem Stettener Ochsen weist auch gern auf die beruflichen Chancen hin, die sein traditionsreiches Handwerk jungen Leuten biete.

 

Wer den Umgang mit Schweinespeck und Pökelsalz beherrscht, findet schließlich nicht nur im Remstal eine neue Arbeitsstelle, sondern auch in München, Mailand oder Melbourne. „Wenn einen als Metzger oder Koch das Fernweh packt, kann man auch in Namibia schaffen. Da tut sich ein Ingenieur oder Geograf trotz seines Studiums viel schwerer“, ist sich Sascha Pfeil sicher.

Mit gerade mal 25 hatte Sascha Pfeil schon den Meisterbrief in der Tasche

Der 31-Jährige mit der grauen Schürze ist selbst übrigens das beste Beispiel, welche Karrieresprünge im Handwerk möglich sind. Zwar hat sein Hang zum Heuschnupfen den Traumberuf als Gärtner vor Jahren vereitelt. Doch der Wechsel in die Wurstküche hat sich für Sascha Pfeil ausgezahlt. Nach der Lehre beim Fellbacher Vorzeigebetrieb Klingler war der Meisterbrief nur eine Frage der Zeit, mit gerade mal 25 Lenzen hatte der Wurstmacher den Titel in der Tasche.

Seither heimst sein Team eine Auszeichnung nach der anderen ein, der Laden in der Stettener Landmetzgerei läuft. Selbst Auszubildende haben für erste Gehversuche in der Wurstküche schon goldene und silberne Preismünzen erhalten. Und Ilka Jeggle, die Geschäftsführerin der den Stettener Ochsen betreibenden Schlegel GmbH weiß, was sie an ihrem Metzgermeister und Betriebsleiter hat. Als Christine Käferle, Chefin der Arbeitsagentur in Waiblingen, dem Traditionsbetrieb einen Besuch abstattete, nahm selbstverständlich auch Pfeil an der Gesprächsrunde teil – auch wenn in der Wurstküche parallel die Kessel brodelten.

Wichtiger als das Abschlusszeugnis ist der Charakter

Anlass für den Ortstermin war die Übergabe einer Auszeichnung für eine besonders gute Lehrlingsbetreuung. Mit dem seit 2007 verliehenen Zertifikat will die Behörde die Unternehmen aus dem Rems-Murr-Kreis ins Rampenlicht rücken, die bei der betrieblichen Ausbildung mehr als nur das Standardprogramm fahren – und beim Umgang mit den Lehrlingen auch gesellschaftliche Verantwortung zeigen.

„Der Ochsen ist nicht nur wegen seiner Speisekarte im Restaurant und der Wurstauswahl in der Metzgerei ein absolutes Aushängeschild. Der Betrieb zeigt auch, wie viel sich machen lässt, um den eigenen Fachkräftebedarf zu decken“, drückt es die Arbeitsagentur-Chefin Christine Käferle aus. Tatsächlich bietet der seit 1905 ums Wohl seiner Gäste bemühte Traditionsbetrieb bei gerade mal 30 Mitarbeitern gleich fünf verschiedene Ausbildungsgänge an. Besonders imponiert hat der Waiblinger Behörde, dass der Ochsen in Stetten auch Jugendlichen mit vermeintlich schwächeren Leistungen eine Chance gibt. Aus Sicht von Ilka Jeggle sind Schulnoten eine Nebensache, viel wichtiger als das Abschlusszeugnis ist der Ochsen-Chefin der Charakter und die Teamfähigkeit.

Bei der Smartphone-Generation ist die Firmenchefin skeptisch

Dass Herzblut mehr zählt als Top-Noten, hat zuletzt Homayoun Ibrahimi bewiesen. Der aus Afghanistan stammende 21-Jährige, vor sechs Jahren als Flüchtling nach Deutschland eingereist, hat vor wenigen Tagen den Gesellenbrief als Restaurantfachmann geschafft – obwohl ihm die trotz aller Deutschkurse bestehende Sprachbarriere die Zeit in der Berufsschule nicht einfacher gemacht hat und er wegen einer Corona-Infektion den Prüfungstermin verpasste.

Ilka Jeggle hat sich nicht nur eingesetzt, dass der junge Auszubildende eine Nachholprüfung bei einer Nachbarkammer erhielt, sie hat ihn auch in der schwierigen Phase des pandemiebedingten Online-Lernens unterstützt. Sie sieht Ibrahimi als Musterbeispiel für den Fleiß und die Gewissenhaftigkeit, die für eine erfolgreiche Lehrzeit nötig sind. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Homayoun auch nur einen Tag zu spät zur Arbeit gekommen wäre. „Wie das bei der Smartphone-Generation aussieht, wird in den nächsten Jahren spannend“, sagt sie.