Rotlichtviertel in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wie prägen Bordelle, Eros Center in Stuttgart und anderswo das Stadtbild? Sollen der Bau von Swingerclubs an der Uni gelehrt werden? Eine denkwürdige Diskussion über eine lange nicht beachtetes Bauaufgabe und queere Architektur.

Wen interessiert schon der Puff? Wenn es um Architektur in der Großstadt geht, denkt man vor allem an spektakuläre Hochhäuser und Museen, tolle Stadtquartiere, nachhaltiges Bauen für Familien. Was nicht in Betracht gezogen wird, sind Bordelle, Schwulensaunen, Clubs, in denen man nicht nur tanzen, sondern auch Sex haben kann.

 

Die erogenen Zonen sind architektonisch blinde Flecke in einer urbanen Welt, auch in dem Bauentwurfslehre-Wälzer von Ernst Neufert finden sich Anweisungen für Hausnebenräume, für Zoos, Wäschereien, Hotels und Altenheime, Straßen und Verkehrswege, aber keine Hinweise darauf, wie Lusträume zu gestalten wären.

Erogene Zonen in der Architektur

Gleichwohl gab es sie aber schon immer, die Häuser und Stadtviertel, in denen es vor allem um Sex geht. Warum sich niemand dieses Themas von der architektonischen Seite annehmen möchte oder Professoren sich zuweilen weigern, derlei Studierendenarbeiten anzunehmen, das diskutierte der Bund Deutscher Architekten BDA im Wechselgespräch „Sex in the City“ in der Festivalzentrale der Internationalen Bauausstellung IBA ’27.

Es war sozusagen die Nachfolgeveranstaltung zur viel besuchten Ausstellung über queere Architektur vor einiger Zeit im BDA Wechselraum.

Rotlichtviertel wie in Stuttgart, referierte der Architekt Georg Brennecke, der nach seinem Studium in Stuttgart „Räume des Rotlichts“ untersucht hat, gibt es nicht in jeder Stadt. Köln etwa hat einen Straßenstrich an den Stadtrand ausgelagert, und eigens für die Freier einen Corso zwecks Orientierung und Begutachtung der Frauen geschaffen und für sie und die Prostituierten „Verrichtungsboxen“ geschaffen.

In Frankfurt am Main, so hat es die Soziologin Renate Ruhne in einer Langzeitstudie herausgefunden, habe die Stadt dort, wo im Bahnhofsviertel legale Bordellprostitution angesiedelt sind, zusätzlich Einrichtungen untergebracht, die Drogenbeschaffungs-Prostitution nach sich zogen.

Dadurch und durch erhöhte Polizeipräsenz „entsteht bei der Bevölkerung der Eindruck, hier stimmt etwas nicht, diese Viertel werden dann als bedrohlich, als gefährlich wahrgenommen unabhängig von möglichen echten Gefahren.“

Die Stadt baut ein Bordell

In Amsterdam, sagt Architekturhistoriker Bart Lootsma, sei das Rotlichtviertel zu einem reinen Tourismusspot geworden, gerade während Corona. Seither versuche die Stadt (ähnlich wie in Stuttgart im Leonhardsviertel) einzelne, für Prostitution genutzte Gebäude zurückzukaufen, wenngleich sie die Mietverhältnisse erst einmal mit übernehmen muss.

Das Architekturbüro UNStudio – das auch das Mercedes Museum in Stuttgart geplant hat – soll nun höchst offiziell ein Lusthaus entwerfen. „Nur keiner will es in der Nachbarschaft haben.“

Auch das mag ein Grund sein, weshalb Architekten sich mit Bordellen bisher eher weniger befassten: Es mangelt an Bauherren, die für ihre Bordelle nach architektonisch wertvollen Gebäuden verlangen. Ob sich also, wenn ein renommiertes Büro wie UN Studio an so eine Aufgabe wagt, ein Trend zu hochwertigen Architektur-Sexgebäuden entwickeln wird, wie im Publikum gemutmaßt wurde, ist eher fraglich.

Immerhin, berichtet Renate Ruhne, in der Modeleisenbahnwelt ist erotisch aufgeladene Architektur vorhanden – der Hersteller Faller hat ein Eros Center namens„Lila Eule Nachtclub“ im Angebot, samt „Geschäftsleuten“ und „fröhlichen Zechern“ als Figürchen.

Ein Immobiliengeschäft ist es gleichwohl, wobei in Frankfurt die Freier dafür sorgten, dass Gründerzeit-Altbauhäuser, wenngleich einigermaßen heruntergekommen oder mit Neonschrift und blinkenden Herzen an den Fassaden, bestehen blieben. „Die Stadt“, sagt Ruhne, „hätte gern bis zum Bahnhof hin abgerissen und Hochhäuserbauten erlaubt“.

Auch in Stuttgart, meldete sich Stuttgarts Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle aus dem Publikum zu Wort, sei Prostitution für Hausbesitzer lohnend – könne man 680 000 Euro bekommen, wenn einzelne Zimmer vermietet werden, statt 70 000 für Mietwohnungen.

Wie trostlos es dann aber tagsüber in dem Viertel aussehe, das mitten in der Stadt liegt und in dem täglich Kinder durchlaufen müssen, um zur Schule zu gehen, könne nicht im Sinne einer lebenswerten Stadtplanung sein.

Renate Ruhne bestätigte dies mit dem Hinweis darauf, es sei sinnvoller, Sexarbeit nicht auf einen klein abgezirkelten Stadtraum oder gar Straßen (wie in Hamburg die Herbertstraße) zu konzentrieren, räumlich abzugrenzen, so wie es der Fall sei, seit die bürgerliche Geschlechterordnung entstand und damit auch Orte des Anderen geschaffen wurden. Bürgerliche Schlafzimmer hier, Freudenhäuser dort.

Während Bordelle mit Neonreklame um Aufmerksamkeit heischen, seien, so sagte Bart Lootsma, Schwulenclubs oft versteckt und kaum als solche erkennbar. Mehr Offenheit, weniger Verstecken wünschte sich die Soziologin. Da regte sich Widerspruch aus der Praxis. So wünschenswert das sei, gehe die Entwicklung tendenziell häufiger hin zu gewünschter Abgrenzung, zu Etablissements hinter hohen Mauern- im Ausland ebenso wie Berlin. Aus „notwendigem Selbstschutz“, wie Thomas Karsten sagte.

Geschützte Räume

Architekt Thomas Karsten, der den legendären Berliner Club Berghain gestaltet hat, ist inzwischen Experte für Clubs, in denen man mehr als tanzen kann. Er entwirft auch für queere Architektur. Sexuell relevante Orte „müssen geschützte Räume sein“. In Kiew, wo sein Architekturbüro 2019, also vor Corona und vor dem Krieg, eine ehemalige Brauerei in einen Club für queeres Publikum umgebaut hat, sei eine strenge Tür nötig. Mehr noch, eine hohe Mauer. Karsten: „Direkt nach der Öffnung gab es Übergriffsversuche durch Neonazis.“

Auch im Berghain sei immer schon eine sehr strenge Tür nötig gewesen, eben damit die Menschen sich im Inneren frei und sicher bewegen könnten. Er berichtete auch, worauf es bei der Gestaltung dieser Orte ankommt, in denen Menschen sich auch nackt bewegen und wenn sie womöglich nicht ganz nüchtern sind.

Karsten: „Man muss sich instinktiv und intuitiv orientieren und zurechtfinden können“, wichtig sei dabei auch, über Lichtverhältnisse, Platzbedarfe nachzudenken, über haptisch klar erfühlbare Oberflächen und Materialien, damit sich Menschen mit unterschiedlichen Herkunftsbiografien frei bewegen und treffen können, sich ausleben, „an einem sicheren Ort Kontrolle verlieren“ und wohlfühlen in ihrer Haut.

Toiletten sind hier nicht nur Toiletten, es muss große Garderoben geben, falls die Menschen sich dort erst umziehen können, um temporär andere Identitäten auszuleben, es braucht mal viel Licht, mal dunklere Rückzugsräume, Räume der Selbstdarstellung.

Ob es künftig doch mehr Bauherren geben wird, die gute lustfreundliche Bauen verlangen oder nicht – das Thema lohnt, dass sich Architektinnen und Architekten damit befassen, auch schon an den Universitäten als Bauaufgabe ernst nehmen; das lehrte dieser Abend über das älteste Gewerbe und Lüste der Welt.

Ein weiterer Anstoß, sich des Themas zu widmen, so der Architekt und Initiator des Abends, Uwe Bresan, könnte ein Architekten-Wagen beim nächsten CSD-Umzug in Stuttgart sein.