Farid, Naima und Jamal (von links) blicken einer unsicheren Zukunft entgegen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Viele Flüchtlinge versuchen, in Deutschland ihren Platz zu finden – mit allen Schwierigkeiten. Besonders, wenn sie aus Afghanistan stammen und die Abschiebung droht. So wie bei drei jungen Geschwistern.

Stuttgart - Die Geschichte von Farid, 21, seinem Bruder Jamal, 18, und Schwester Naima, 17 (alle Namen geändert) ist nichts besonderes – so bizarr manche Details auch klingen mögen. Doch das, was die drei Geschwister, die aus einem kleinen afghanischen Dorf stammen, erzählen, hört man so ähnlich von vielen Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind. Es sind Geschichten von Vertreibung, von Armut, von Krieg. Von der Flucht irgendwohin, wo man ein besseres Leben vermutet. Von Schleppern, Booten und der Ankunft in einem Land, von dem man vorher nichts wusste. Die Geschichte der drei steht deshalb für die vieler Asylsuchender. Für die große Masse an Menschen, die weder kriminell noch gut ausgebildet sind. Und sie steht für die hitzige Diskussion um Abschiebungen nach Afghanistan.

Alles beginnt mit dem Tod des Vaters. Er ist Polizist, wird im Dienst erschossen, als die beiden jüngeren Kinder noch ganz klein sind. Die Familie zieht zum Onkel. Die Kinder besuchen kaum einmal die Schule, sondern müssen auf dem Feld für ihren Lebensunterhalt ackern. Die Mutter verschwindet irgendwann. „Wir wissen bis heute nicht, was aus ihr geworden ist“, erzählt Naima. Vielleicht ist sie vor dem gewalttätigen Onkel geflohen, vielleicht von den Taliban verschleppt worden. Farid hält es nicht mehr aus und flieht in den Iran. Arbeitet dort auf dem Bau, schickt Geld zum Onkel. Als er hört, dass der Naima trotzdem an die Taliban verkaufen will, holt er die beiden Geschwister mit Hilfe eines Nachbarn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu sich in den Iran. Der Onkel, berichten die drei, suche noch heute nach ihnen. Er hatte bereits Geld für das Mädchen bekommen.

In der Türkei im Gefängnis

Im Iran dürfen sie nicht bleiben, sie ziehen weiter. Landen in der Türkei für Monate im Gefängnis – wegen illegalen Aufenthalts. Dann lässt man sie frei, teilt ihnen mit, sie müssten innerhalb von zwei Wochen das Land verlassen. Ein Schleuser setzt sie in ein Schlauchboot nach Griechenland. Sie kentern, überleben nur mit knapper Not. In Griechenland kümmert sich niemand um sie. Sie leben auf der Straße. Also geht es mit dem großen Flüchtlingsstrom immer weiter – bis nach Deutschland. „Wie die ganzen Länder heißen, in denen wir unterwegs waren, wissen wir gar nicht. Deutschland war nicht unser Ziel. Wir wollten nur in ein sicheres Land“, sagt Farid.

Seit Anfang 2016 leben die drei nun in Stuttgart. Sie teilen sich ein winziges Zimmer in einer Containerunterkunft. Alle drei besuchen Vorbereitungsklassen, ihre Deutschkenntnisse sind unterschiedlich. „In der Unterkunft gibt es viele, die trinken oder den ganzen Tag schlafen“, sagen sie. Oft komme die Polizei. So leben wollen sie nicht. Doch der Weg in eine Ausbildung, einen Beruf ist schwer.

Praktische Begabungen, aber wenig Hilfe

„Das sind sehr höfliche, ordentliche Leute, die man eigentlich brauchen könnte“, sagt Katarina Rehm. Die Berufsschullehrerin und Grafologin kümmert sich regelmäßig um die Geschwister, lernt Deutsch mit ihnen oder zeigt ihnen etwas von der Gegend. Farid hat auf dem Bau und in der Gastronomie gearbeitet, Jamal hat einen grünen Daumen und bereits ein Praktikum in einer Gärtnerei hinter sich. Naima bewirbt sich gerade für ein Praktikum in einem Krankenhaus. „Doch sie haben dabei einfach wenig Unterstützung“, sagt Rehm, die auch immer wieder erlebt, wie schwer es ist, auch nur einen Ferienjob für die drei zu finden. So geht es vielen.

Vor allem, wenn man aus Afghanistan stammt. Abschiebungen dorthin sind höchst umstritten. Die Asylverfahren der drei laufen noch immer. Während die beiden Jüngeren nach eineinhalb Jahren im Land gerade mal die Anhörung hinter sich haben, hat Farid inzwischen eine Ablehnung bekommen. Er kämpft mit einem Anwalt dagegen an. „Wir müssen zusammen bleiben, ich kann nicht zurück“, sagt er. Zu Hause habe er niemanden mehr und fürchte zudem die Wut des Onkels. „Keinen Tag würde ich dort bleiben, ich würde sofort wieder fliehen“, bekräftigt er. Wie gut die Chancen der beiden anderen stehen, ist offen.

„Wir können nicht zurück“, sagt auch Naima. Dann lieber der enge Container, die unsichere Perspektive. Ein Leben zwischen den Welten – so wie bei vielen. Speziell aus Afghanistan. Unsere Zeitung wird berichten, wie die Geschichte weitergeht.