OB Fritz Kuhn will künftig Wohnungsleerstände unter Strafe stellen. Foto: dpa-Zentralbild

Sollen Eigentümer einer Immobilie bald belangt werden, wenn sie Wohnraum leer stehen lassen? OB Fritz Kuhn meint Ja und löst damit eine kontroverse Diskussion im Gemeinderat aus.

Stuttgart - Wenn fast die gesamte Bürgermeisterriege samt Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) bereits kurz nach 8 Uhr in einer turnusmäßigen Sitzung des Wirtschaftsausschusses erscheint, muss etwas Besonderes anliegen. Auch die bedeutungsschwere Miene des OB, die er vor seinem 15-minütigen Monolog aufsetzt, signalisiert: Jetzt geht es um ganz viel. Es folgt eine Diskussion über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum. Darf die Stadt angesichts der Not auf dem Wohnungsmarkt Eigentümer zu einem Bußgeld bis zu 50 000 Euro verdonnern, wenn sie eine Wohnung leer stehen lassen? Fritz Kuhn meint Ja: „Der OB und die Verwaltung wollen eine Satzung zur Sache Leerstand und zum Thema Ferienwohnungen machen.“ Dann wäre es eine Ordnungswidrigkeit, wenn Eigentümer ihre Räume leer ließen. Kuhn wirbt daher um die Zustimmung, bis Januar 2016 eine solche Satzung zu erarbeiten.

Gemeinderat ist gespalten

Wie zu erwarten war, teilt diese Haltung des Oberbürgermeisters die Fraktionen in zwei Lager. Auf der Seite des OB positionieren sich die Grünen, die Linken und die SPD. CDU, Freie Wähler, FDP und die AfD nehmen die Gegenposition ein. Doch bevor die Stadräte ihre jeweiligen Haltungen wortreich und emotional erklären, liefert Kuhn Fakten zum Thema Leerstand. Er rechnet vor, um viele leerstehende Wohnungen es sich in Stuttgart handelt. Am Ende kommt er auf eine Zahl – je nach Lesart – zwischen 1000 und 3100 Wohnungen.

Als Grundlage für sein Rechenmodell nimmt Fritz Kuhn die Leerstände aus dem Zensus 2011. Damals wurden 11 291 Wohnungen gezählt. Zieht man davon jedoch sogenannte Wohnungen mit Substandard (ohne Bad oder WC) ab, bleiben nur 9628 leerstehende Wohnungen übrig. Berücksichtigt man dann noch, dass viele Wohnungen wegen einer Übergangsphase (Renovierung, Erbschaft, Umzug) leer stehen, bleiben laut Kuhn nur 1000 bis 3100 leerstehende Wohnungen übrig.

Kuhns Gegner setzen auf Freiwilligkeit

FDP-Stadträtin Sibel Yüksel hält diese Zahl für zu gering, um Leerstand zu sanktionieren. Ihre Fraktion unterstützt Kuhns Vorschlag daher nicht: „Da es sich um einen Eingriff ins Eigentum handelt, sollte die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Aber das ist nicht der Fall.“ CDU-Gemeinderat Joachim Rudolf sieht in Kuhns Vorstoß gar einen „staatlichen Angriff auf das Privateigentum“. Konrad Zaiss (Freie Wähler) spricht ebenso von einer „versteckten Enteignung“. Bernd Klingler sieht in einer Satzung für das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum einen falschen Weg, weil es Menschen gebe, die Angst vor Mietnomaden hätten: „Mit Zwang sollte man keine Politik machen.“ Stattdessen empfiehlt er, „Straßen mit Wohnungen zu überbauen“.

OB beruft sich auf das Grundgesetz

Alle Gegner setzen eher auf die Einsicht und die Freiwilligkeit der Eigentümer, ihre leerstehenden Räume zu vermieten. Allerdings betonte OB Kuhn, dass eine Kampagne der Stadt, die darauf abzielte, verpufft sei. Es habe kaum Rückmeldungen gegeben. Auch aus diesem Grund schlagen sich die Grüne Silvia Fischer und Tom Adler von der Linken in ihren Wortmeldungen auf die Seite des OB. SPD-Stadtrat Udo Lutz bringt diese Haltung auf den Punkt: „Es ist nicht nur unser Recht, solch eine Satzung zu erlassen, sondern unsere Pflicht.“

Am Ende der Debatte plädiert auch Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) für eine Satzung, die Leerstand sanktioniert: „Ich bin zwar kein Fan von einem Zweckentfremdungsverbot, aber wir müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt deutlich verschärft hat.“ Namentlich nennt Föll die Gruppe der Flüchtlinge, die nach ihrem Anerkennungsverfahren in Stuttgart bleiben. „Was sollen wir mit den monatlich 600 Flüchtlingen machen?“, fragt Föll mit sorgenvoller Miene. Die lauthals ins Plenum geworfene Antwort „Zurückschicken“ von AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner löst bei den Räten Betroffenheit und auf der Zuschauerempore Pfiffe sowie Buhrufe aus.

Am Ende versucht Fritz Kuhn abermals, die Gemüter zu beruhigen. Er verweist darauf, dass die schwarze Landesregierung bereits 1972 ein Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum auf den Weg gebracht hatte. Weiter meint der Oberbürgermeister: „Wir sollten diese Frage nicht zu einem Generalangriff auf Artikel 14 des Grundgesetzes stilisieren.“ Darin werden in Absatz 1 das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet. In Absatz 3 heißt es aber auch: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“