Hanspeter Gondring macht keine großen Hoffnungen, dass eine Rezession vor dem Jahr 2025 überwunden sein könnte. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Hanspeter Gondring, Ökonom an der Dualen Hochschule und Juror des Wirtschaftspreises Schwarzer Löwe, vergeben von den großen Tageszeitungen in der Metropolregion Stuttgart, mahnt, dass die Menschen wieder verzichten lernen müssten.

Die großen Zeitungen in der Metropolregion Stuttgart vergeben am 3. November zum ersten Mal den Wirtschaftspreis Schwarzer Löwe. Angesichts des Ukraine-Kriegs und weltweiter Unsicherheiten zieht Hanspeter Gondring von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart eine ernüchternde Bilanz. Der Ökonom und Juror des Wirtschaftspreises Schwarzer Löwe macht im Interview aber auch Hoffnung: Jede Krise habe auch etwas Heilendes, man könne daraus gestärkt hervorgehen.

Herr Professor Gondring, haben wir schon eine Rezession?

Nein. Wir sind allerdings am Anfang einer Rezession, wie Geschäftsklima- und auch Konsumklima-Index jetzt schon zeigen. Aktuell steht alles auf Minus, und ich gehe davon aus, dass wir spätestens nächstes Jahr mitten in einer Rezession stecken werden, die sich 2024 noch verschärfen wird.

Wie würden Sie denn Ihren Enkelkindern eine Rezession erklären?

Bei einer Rezession drehen sich alle oder die meisten volkswirtschaftlich relevanten Variablen wie Einkommen, Wachstum, Export, Import, Beschäftigung, Kaufkraftstabilität ins Negative. Das muss man sich wie das Auf und Ab einer Fieberkurve vorstellen.

Was bedeutet das für jeden Einzelnen?

Verfügt ein Haushalt über ein hohes Sparvolumen, so kann er über einen bestimmten Zeitraum die negativen Folgen einer Rezession kompensieren. Ein Haushalt, der über keine Kraftreserven verfügt, den treffen die negativen Folgen direkt und ungebremst. So haben wir festgest ellt, dass im August dieses Jahres der Konsum in Deutschland gegenüber dem Vorjahresmonat noch um 17 Prozent gestiegen ist, während die Ersparnisse um 47 Prozent im gleichen Zeitraum zurückgegangen sind . Das heißt, wir haben jetzt schon einen Konsum, der größtenteils dadurch finanziert wird, dass Ersparnisse aufgelöst werden.

Wird es weniger Geschenke unter dem Weihnachtsbaum geben?

Ich glaube, in diesem Jahr wird das noch nicht der Fall sein, weil die Haushalte auch ohne Sparvolumen durch Umschichtung ihrer Ausgaben wie zum Beispiel weniger Urlaubsreisen größtenteils über die Runden kommen werden.

Können wir überhaupt noch verzichten?

Das sind wir tatsächlich nicht mehr gewohnt. Die Konjunkturentwicklung geht seit dem Mauerfall – mit wenigen Ausnahmen – immer nur aufwärts. Jüngere Generationen, die sogenannte Generationen Y und Z , haben noch nie eine Rezession durchlebt. Salopp formuliert: Die kennen nur Partytime. Nur die geht jetzt langsam zu Ende. Das Licht wird schwächer, und das Partyende naht.

Wie geht es weiter?

Die Insolvenzen und Betriebsaufgaben vor allem in der Gastronomie und im Einzelhandel werden zunehmen. Zwar wird der Konsum vorerst nicht wesentlich zurückgehen, aber er wird sich verändern. Die Menschen werden nicht mehr jede Woche ausgehen, sondern vielleicht nur noch einmal im Monat. Der Blick wird sich auch auf die Lebensmittel richten. Es steht zu befürchten, dass auf Dauer die Qualitätsansprüche zurückgehen und wieder mehr billigere Lebensmittel gekauft werden.

Wir schauen mit Bangen auf den Winter. Ist die Gaspreisbremse der Weg?

Dahinter steht eine einfache Überlegung. Die Politiker wollen die Binnenkonjunktur um jeden Preis aufrechterhalten, um erwartete Exporteinbußen zu kompensieren.

Wer profitiert davon?

Für die Unternehmen ist die Gaspreisbremse zumindest eine gewisse Planungssicherheit. Solange die Energiepreise nicht planbar sind, können viele Unternehmen gar nicht mehr kalkulieren, geschweige denn Preise für ihre Produkte festlegen.

Wird damit nicht das Energiesparen ad absurdum geführt?

Nach der Evolutionstheorie zwingt eine Krise die Menschen zum Umdenken beziehungsweise zur Anpassung, was allerdings nicht friedvoll und leise abläuft. Friedvoll und leise bedeutet sozialer Frieden und damit eine gesellschaftliche Ordnung. So soll vermieden werden, dass die Menschen auf die Straße gehen, wie das in den Jahren 1967/1968 war. Um gesellschaftliche Verwerfungen zu vermeiden, hat die damalige Bundesregierung die Konzertierte Aktion ins Leben gerufen und das Wachstums- und Stabilitätsgesetz verankert.

Brauchen wir heute wieder so etwas?

Gesetze kann die Politik machen. Die Frage ist immer, ob diese auch durchgesetzt werden können. Das Wachstum- und Stabilitätsgesetz war damals für den Staat eine gewisse Orientierung für Preisstabilität, einen hohen Beschäftigungsgrad, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Geldwertstabilität. Eine Konzertierte Aktion hat die heutige Bundesregierung aktuell wieder als stabilitätspolitisches Instrument eingesetzt. Es wiederholt sich alles.

Apropos Geldwertstabilität. Die Inflation liegt aktuell bei zehn Prozent. Sind wir hier erst am Anfang?

Eine Prognose ist schwierig. Ich gehe aber davon aus, dass wir nächstes Jahr eine Inflation bis zu zwölf Prozent haben werden.

Im Gegenzug könnte man davon ableiten, dass die Zinsen steigen. Kommt das Sparbuch also wieder zurück?

Die tiefe Sehnsucht des Deutschen nach dem Sparbuch ist ein Narrativ, das gerne von den Kreditinstituten erzählt wird. Das ist reine Psychologie. Wenn ein Sparbuch gut verzinst wird, geht es der deutschen Wirtschaft gut, so die Hypothese. Nein, ich glaube das nicht. Die Menschen sind heute finanziell so weit gebildet, dass sie nicht nur auf die Zinsen achten. Sie können heute eigentlich nur noch Geld mit der Wertänderungsrendite verdienen. Ein Beispiel: Die Rendite bei einer vermieteten Immobilie liegt aktuell bei etwa einem Prozent, was bei einer Inflationsrate von zehn Prozent einem Negativzins von neun Prozent entspricht. Dagegen hat sich der Wert in den letzten 25 Jahren einer Immobilie nahezu verdreifacht. Da liegt der Gewinn.

Wer kann sich denn heute überhaupt noch Immobilien leisten?

In den 1990er Jahren war der Einstiegspreis für eine Immobilie noch gering. Das Thema ist heute durch die Wertsteigerung durch. Unter einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von mindestens 3000 Euro braucht sich keiner Gedanken über den Immobilienerwerb zu machen, wenn keine Erbschaft oder zum Beispiel die Unterstützung der Eltern zu erwarten ist.

Wie sieht die Zukunft aus?

Wir haben in der Vergangenheit einen Wechsel auf Wohlstand unterschrieben, der jetzt eingelöst wird. Jetzt müssen wir dafür zahlen, dass wir uns von der Energie und von autokratischen Systemen abhängig gemacht haben. Wir haben allerdings keine Energiekrise, auch wenn uns das die täglichen Nachrichten immer wieder glauben lassen wollen. Die wird herbeigeredet. Markt ist immer Psychologie. Als Ökonom ist eine Krise für mich wie eine Krankheit. Ein Körper, der Fieber hat. Und eine Krise hat auch immer etwas Heilendes. Wenn man selbst in der Krise ist, tut das natürlich weh – wie jeder Heilungsprozess auch. Aber am Ende sollten wir gestärkt daraus hervorgehen, wie das immer in der Geschichte so war. Der anstehende Heilungsprozess wird aber mindestens bis 2025 anhalten.

Schwarzer Löwe

Wirtschaftspreis
Am 3. November 2022 wird erstmals Baden-Württembergs größter Wirtschaftspreis, der Schwarze Löwe, von den Tageszeitungen in der Metropolregion Stuttgart auf der Messe Stuttgart im Rahmen einer großen Galaveranstaltung verliehen. Noch wissen die Bewerber um eine der begehrten Auszeichnungen nicht, ob sie in diesem Jahr zu den Preisträgern zählen. Das wird erst bei der Gala bekannt gegeben.

Kategorien
Der Preis wird an kleine, mittelständische und große Unternehmen vergeben, die mindestens drei Jahre am Markt sind. Ausgewählt wurden die Preisträger in sechs Kategorien (Innovation, Nachhaltigkeit, Digitale Transformation, Diversity, Gründer und Corporate Social Responsibility) von einer Jury renommierter Vertreter aus Wirtschaft, Medien und Wissenschaft. Wissenschaftlich unterstützt wurde die Jury dabei von einer der renommiertesten Hochschulen des Landes: der DHBW Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart.

Online-Voting
Mit Ausnahme des Sonderpreises CSR Corporate Social Responsibility: Diese Preisträger werden noch aktuell bis Ende Oktober von den Leserinnen und Lesern der beteiligten Tageszeitungen über ein Online-Voting bestimmt.