Werner Wölfle will dezentrale Strukturen: Die Bezirke sind der Kern der Stadt. Foto: Steinert

Der Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle will die Bezirksbeiräte nicht von den Bügern wählen lassen. Darin läge kein Gewinn.

Stuttgart – - Als früherer Fraktionsvorsitzender der Grünen weiß Werner Wölfle um die Segnungen und Wirrungen der direkten Demokratie. Seit einem halben Jahr aber ist der 58-jährige Badener Verwaltungsbürgermeister in seiner Wahlheimat Stuttgart – und damit auch für die Abläufe im Gemeinderat und den Bezirksbeiräten zuständig. Eine Direktwahl der Bezirksbeiräte lehnt er ab. Die Bürger sollen auf andere Weise beteiligt werden.
Herr Wölfle, als Verwaltungsbürgermeister sind Sie für 23 Stadtbezirke zuständig. Fremdeln Sie noch ob der Größe der Aufgabe oder sind Sie schon mit allen Ecken auch in den Neckarvororten vertraut?
Ich kenne natürlich alle Bezirke, auch alle Bezirksvorsteher. Ich war ja viele Jahre Leiter der mobilen Jugendarbeit in Stuttgart, da kommt man automatisch viel in der Stadt herum. Aber die Vielfalt unserer Stadtbezirke ist so groß, dass ich natürlich noch neue Ecken entdecken kann.

Welchen Bezirk haben Sie am liebsten?
Den Westen. Dort wohne ich.

Und wo sollten Sie sich dringend mal wieder sehen lassen?
In Hausen zum Beispiel war ich schon lange nicht mehr.

Wie haben sich die Stadtbezirke im zu Ende gehenden Jahr entwickelt?
Als zuständiger Bürgermeister kann ich die Entwicklung zwar nur ein halbes Jahr überblicken, aber in dieser Zeit habe ich bei zwei Gesprächsrunden mit den Bezirksvorstehern festgestellt, dass die Kollegen mit einer besonderen Lust zu Werke gehen. Diese Motivation spüren auch die Bürger, die ihre Anliegen bei den Bezirksvorstehern platzieren.

Welche Sorgen und Nöte haben Ihnen die Bezirksvorsteher in den beiden Gesprächsrunden geschildert?
Sie wollen, dass man sie hört. Sowohl als Personen als auch in ihrer Funktion als Vorsitzende des Bezirksbeirats. Sie wollen über Entwicklungen rechtzeitig informiert und im Zweifel auch gefragt werden.

Das müsste doch eigentlich ein selbstverständlicher Zustand sein, oder?
In der Tat: Der Bezirksbeirat muss gehört werden. Das heißt aber nicht, dass man auch allem zustimmt. Wenn etwas abgelehnt wird, bedeutet das wiederum nicht, dass man die Gremien nicht ernst genommen hätte. In der Wahrnehmung kann das zu Missverständnissen führen. Das ist eine Sache, die man gegenseitig lernen muss.

Wie zentral muss eine Stadt wie Stuttgart verwaltet werden?
Die Bezirksvorsteher sagen einstimmig, dass die Verwaltung die Originalität der Stadtbezirke respektieren und dafür sorgen soll, dass sich keine zentralistischen Strukturen einschleichen.

Und was sagen Sie?
Ich bin auch ein Freund von dezentralen Strukturen. Beispiel: unsere Bürgerbüros, die in gewisser Weise unter ihrem Erfolg leiden. Und warum? Weil wir eine ganze Menge von Dienstleistungen für die Bürger vor Ort verlagert haben. Und der Bürger nimmt sie gerne in Anspruch. Ich selbst wusste zum Beispiel nicht, dass man im Bürgerbüro auch seinen Führerschein abholen kann. Andere aber wissen das und nutzen diesen Service entsprechend. Die Beschäftigten arbeiten an der Belastungsgrenze. Der Gemeinderat und die Verwaltung haben auch dafür gesorgt, dass das Angebot der Jobcenter vor Ort vorgehalten wird. Im Sinne der Wirtschaftlichkeit ist das nicht zwingend. Für ein qualitativ hochwertiges Angebot braucht man eine gewisse Grundmasse an Nutzern. Da muss man abwägen, ob eine Konzentration auf eine fachlich hochwertig qualifizierte Stelle nicht besser ist.

Wo ist da die Grenze?
Die gibt es abstrakt nicht.

Aber die Bürgerbüros bekommen doch jetzt mehr Personal.
Ja , der Gemeinderat hat reagiert und achteinhalb Stellen bewilligt.

Eigentlich sollte auch das Verfügungsbudget der Stadtbezirke erhöht werden. Warum ist das nicht geschehen?
Darüber hat man im Zuge der Haushaltsberatungen wieder geredet, dafür gibt es aber keine Mehrheit. Deswegen geht es vor allem um eine andere Steuerung der Mittel. Es gibt Bezirke, die innovativ damit umgehen und Entwicklungen anstoßen, andere schreiben eher Fördertatbestände fort.

Zum Beispiel?
(lacht) Ich bin zu lange im Geschäft, um darauf zu antworten.

Was sind denn die positiven Beispiele?
Positiv ist, wenn durch dieses Geld etwas angestoßen wird, das dann im Stadtbezirk auch angenommen wird. Wenn man allerdings in der Kernverwaltung überlegt, wie man den Stadtbezirken hilft, müssen trotzdem die Leute vor Ort den Hut aufhaben.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund das Stadtteilmanagement?
Das wurde in manchen Stadtbezirken positiv, in anderen nicht so positiv aufgenommen. Das kommt immer darauf an, wie man auf die Akteure vor Ort zugeht. Ich sehe das so, dass der Bezirksvorsteher der Auftraggeber ist für das Konkrete. Man sieht die Notwendigkeit zur Stärkung der Stadtbezirke am besten vor Ort. Das ist eine Struktur, die bleibt: Der Bezirk ist der Kern. Ein Externer kann die Strukturen in einem Stadtbezirk gar nicht so gut kennen. Der weiß nicht gleich, an wen er sich vor Ort für ein bestimmtes Projekt wenden muss oder woher mögliche Störfeuer kommen.

Wäre es dann nicht konsequent, die Bezirksbeiräte auch direkt wählen zu lassen?
Darüber haben wir in der Stadt ja schon viele Jahre diskutiert. Da gibt es Für und Wider. Den Mehrgewinn durch Direktwahl sehe ich noch nicht. Wichtiger ist doch, die Arbeit des Bezirksbeirats aufzuwerten und noch direkter mit dem Bürger zu kommunizieren. Der Bezirksbeirat ist das ideale Gremium, um etwas in Gang zu setzen und zu moderieren.

Dann stellt sich die Frage ja umso mehr: Warum lassen Sie die Leute ihre Bezirksbeiräte nicht selbst wählen?
Weil der Aufwand immens wäre. In Obertürkheim wäre es vielleicht noch so, dass man die Leute kennt, die man wählt. Aber das ist nicht in allen Stadtbezirken so. Der Bezirksvorsteher Körner hat gezeigt, wie es gehen kann. Wenn es im Bezirksbeirat Ost etwas Konkretes gibt, lädt er die Betroffenen direkt per Postkarte zur Sitzung ein – und es kamen mehr Bürger, die sich aktiv beteiligt haben.

Für diese Einladungen hatte er aber den Botendienst der Stadtverwaltung genutzt – und ist deswegen zurückgepfiffen worden.
Stimmt. Aber er hat ganz pfiffig reagiert, die überschaubaren Druckkosten für die Einladungskarten selbst übernommen und für das Austragen jemanden aus dem Stadtbezirk gefunden. Ich habe bei den Bezirksvorstehern dafür plädiert, so etwas auch anderswo auszuprobieren: Jeder in seinem Bezirk in der Art und in dem Maße, wie er das für richtig findet. Die Druckkosten übernimmt die Stadt.

In anderen Bezirken dürfen die Bürger in den ersten fünf Minuten einer Sitzung ihre Anliegen vorbringen . . .
Spötter nennen das „die Fünf-Minuten-Terrine“. Das ist gut gemeint, aber wirkt etwas merkwürdig. Es entsteht der Eindruck, der Bürger hat nur fünf Minuten Zeit, dann brauchen wir ihn nicht mehr. Dieser Eindruck ist verheerend.

Wie weit kann so eine Beteiligung denn gehen, wenn man sieht, dass beim Experiment Bürgerhaushalt der Erhalt des Sillenbucher Bädles zur Nummer eins avancierte?
Ich war nie ein sklavischer Verfechter des Weges, die Entscheidungen der Vertreter der repräsentativen Demokratie durch Entscheidungen der Bürger im Internet bei überschaubarer Beteiligung zu ersetzen. Die erweiterte Bürgerbeteiligung ist für mich ein weiteres zusätzliches demokratisches Element. Das sind Meinungsäußerungen, keine Gesetze.

Aber am Schluss braucht es jemanden, der entscheidet.
Entscheiden tun die, die dafür gewählt und bestimmt sind, sowohl der Bezirksbeirat als auch der Gemeinderat. Aber jeder einzelne sollte immer wissen, was andere denken, wo es Bedenken gibt.

Als Grüner haben Sie ja schon viel erlebt und probiert. Vor welchen Elementen der direkten Demokratie würden Sie denn warnen?
Beteiligung ohne klaren Rahmen funktioniert nicht. Es geht meist schief, wenn Bürgerbeteiligung als Wunschkonzert gestaltet wird. Nehmen wir die Spielplatzgestaltung. Ich starte mit der Ansage: Wir haben soundsoviel Geld zur Verfügung. Und nicht mit der Frage: Was hättet ihr gerne? Damit produziert man Enttäuschungen.

Behalten Sie die Tradition der Stadtteilspaziergänge Ihres Vorgängers bei?
Ich habe die schon terminierten von ihm übernommen und habe jetzt allen Bezirksvorstehern gesagt, dass ich die Stadtbezirke regelmäßig besuchen will. Die Form dürfen die Bezirksvorsteher bestimmen. Ich bin für fast alles zu haben.

Und sonst ist alles gut in den Stadtbezirken?
Vieles ist gut, aber noch nicht alles. In allen Stadtbezirken braucht es zum Beispiel Begegnungsräume und Begegnungsmöglichkeiten. Das kann eine Keimzelle werden. Ich war zum Beispiel in Rohracker in der Alten Schule. Das begeistert mich, wenn ich sehe, was Menschen für andere auf den Weg bringen. So funktioniert Gemeinwesen. Wenn ich dort im zweiten Stock sehe, wie tamilische Frauen ihre Kurse machen und nebenan die deutschen Omas etwas nähen, dann fühle ich mich in mein Haus 49 im Stuttgarter Norden zurückversetzt. Dort haben wir genau das gelebt. Es dient bis heute als gelungenes Beispiel.

Das Gespräch führten Jürgen Brand und Holger Gayer.