Fährt Peter Sagan am Sonntag allen davon? Foto: AFP

Peter Sagan hat viele Radrennen gewonnen, nicht aber den Kopfstein-Klassiker von Paris nach Roubaix. Das will er am Sonntag ändern, was nicht leicht wird: Alle schauen auf den Weltmeister.

Paris - Die Trophäe ist ebenso bekannt wie begehrt. Doch wer am Sonntagabend den riesigen Pflasterstein in die Höhe stemmen will, den es für den Triumph beim Rad-Klassiker Paris–Roubaix gibt, muss einiges leisten – auch schon vor der Siegerehrung. 257 km lang ist das Rennen, davon führen 54,5 km (in 29 Sektoren) über Kopfsteinpflaster. Die „Hölle des Nordens“, wie die Tortur genannt wird, trägt ihren Namen zurecht. Und übt gerade deshalb eine große Faszination aus. Auch auf Peter Sagan.

Der extrovertierte Slowake gilt nicht nur als Popstar des Pelotons. Er ist auch sportlich ein Hit. Der dreimalige Weltmeister (2015, 2016, 2017), der bei der Tour de France fünf mal das Trikot des Punktbesten holte, hat als Profi 102 Rennen gewonnen. Und obwohl er sagt, dass ihm eine gute Show fürs Publikum wichtiger sei als jeder Sieg, setzt er sich hohe Ziele. Vor allem im Frühjahr, wenn vier der fünf Monumente des Radsports ausgetragen werden. Bei der Flandern-Rundfahrt triumphierte Sagan 2016, Erfolge bei Mailand–Sanremo, Paris–Roubaix und Lüttich–Bastogne–Lüttich aber fehlen ihm noch (wie auch bei der Lombardei-Rundfahrt im Herbst). Einen Platz im Geschichtsbuch des Radsport hat der 28-jährige Kapitän des deutschen Rennstalls Bora-hansgrohe zwar sicher, ein paar Kapitel aber will er noch hinzufügen: „Es ist immer besser, ein Rennen irgendwann mal zu gewinnen, als es nie gewonnen zu haben.“

„Sagan ist die Referenz im Rennen“

Eine einfache Weisheit für einen komplexen Sport. Der umso komplizierter wird, wenn man ständig das Regenbogen-Trikot trägt. Weil jeder auf den Weltmeister schaut, sich an ihm orientiert, ihn schlagen will. „Sagan ist die Referenz im Rennen“, sagt Patxi Vila, Sportlicher Leiter bei Bora, „so ist das nun mal.“ Anders ausgedrückt: Es bleibt dem Superstar nichts anderes übrig, als diese besondere Rolle anzunehmen. Er kann sie genauso wenig abschütteln wie die Stärksten unter seinen Konkurrenten – die sein Hinterrad nie aus den Augen verlieren.

Die Rennen, in die Sagan mit Ambitionen startet, laufen folglich meist ganz ähnlich ab: Der Champion und sein Team tun alles, damit es am Ende zum Spurt einer möglichst kleinen Spitzengruppe kommt. Die anderen Mannschaften? Geben ihren Sprintern mit auf den Weg, dann noch aussichtsreich im Rennen zu sein. Und fordern ihre Allrounder zur Attacke auf. Das hat zuletzt gleich zweimal funktioniert. Vincenzo Nibali (Italien) gewann Mailand–Sanremo, Niki Terpstra (Niederlande) die Flandern-Rundfahrt – beide nach einer erfolgreichen Soloflucht. Peter Sagan hatte das Nachsehen, wurde zweimal Sechster. Seine Motivation blieb trotzdem nicht auf der Strecke. Im Gegenteil. „Ich bin zufrieden, wenn ich mein Maximum gegeben habe“, sagt der Weltmeister. Und sein Sportdirektor Enrico Poitschke erklärt: „Wie Sagan mit Niederlagen umgehen kann, habe ich noch bei keinem anderen Rennfahrer gesehen. Wenn er keinen Fehler gemacht oder einfach nur Pech hatte, steckt er Rückschläge ohne Probleme weg.“ Vielleicht ja auch, weil er weiß: Der nächste Sieg kommt ganz sicher. Irgendwann.

In der „Hölle des Nordens“ haben sich schon viele verzockt

Und ein wichtiges Rennen hat Sagan (1,84 m/73 kg) ja auch in diesem Jahr schon gewonnen. Nach 250,3 Kilometern und elf giftigen Steigungen siegte er zum dritten Mal nach 2013 und 2016 bei Gent–Wevelgem, im Sprint einer 30-köpfigen Spitzengruppe. Auf diesen Erfolg bin ich sehr stolz“, sagt Sagan, „die Form stimmt.“ Auch für den Ritt ins Radstadion von Roubaix. Dazu kommt: Der Slowake, dem es noch nie an Selbstvertrauen gemangelt hat, ist seit dieser Woche die Nummer eins der Weltrangliste. Das gibt Sicherheit – ihm und seinem Team, das ebenfalls gut unterwegs ist. „Wir haben uns im Vergleich zum Frühjahr 2017 weiterentwickelt und stark verbessert“, sagt Bora-Teamchef Ralph Denk. Das liegt auch am Italiener Daniel Oss, Neuzugang vom Team BMC. „Er verfügt über eine hohe Qualität“, sagt Sagan, „durch ihn haben wir viele neue taktische Möglichkeiten, vor allem im Finale. Wir können nun verschiedene Spielchen spielen.“

Allerdings haben sich in der „Hölle des Nordens“ schon viele verzockt. Weil es am Ende eben doch vor allem darauf ankommt, wer nach 257 km über die meisten Kraftreserven verfügt. Auf der Zielgerade in Roubaix. Und wenn es darum geht, die Pflasterstein-Trophäe nach oben zu stemmen.