Der 64-jährige William Lai wurde ins Präsidentenamt gewählt. Foto: --/kyodo/dpa/--

Die Präsidentschaftswahl in Taiwan hat gezeigt, die Bewohner lassen sich nicht einschüchtern. Doch im Reich der Mitte möchte man davon schlicht nichts wissen.

Faktisch gibt es nicht den leisesten Zweifel, dass die Präsidentschaftswahl in Taiwan eine herbe Niederlage für Xi Jinping, den chinesischen Staatspräsidenten, darstellt. Nach außen hin jedoch weigert man sich in China schlicht, die offensichtlichen Gegebenheiten anzuerkennen. Vom Büro für Taiwan-Angelegenheiten in Peking hieß es, die Wahl könne „den generellen Trend hin zu einer unausweichlichen Wiedervereinigung“ mit dem Festland nicht verändern: „Die Ergebnisse der beiden Wahlen zeigen, dass die Demokratische Fortschrittspartei nicht in der Lage ist, die vorherrschende öffentliche Meinung zu repräsentieren“. Dabei hat deren Kandidat den Sieg eingefahren.

Von China enttäuschte Insulaner

Mit stolzen 40 Prozent haben die Taiwaner den 64-jährigen William Lai ins Amt gewählt. Damit haben sich die 23 Millionen Inselbewohner deutlich für eine Fortsetzung der Regierungspolitik von Vorgängerin Tsai Ing-wen ausgesprochen, die selbstbewusst gegenüber China auftritt und die Beziehungen zum Westen verstärkt. Hou Yu-ih von der chinafreundlichen Kuomintang (KMT) erreichte mit rund 33 Prozent deutlich weniger Zustimmung. Und „chinafreundlich“ ist nur eine graduelle Unterscheidung: Hou fordert genau wie Lai ebenfalls eine Verstärkung von Taiwans Verteidigung, um sich gegen eine mögliche Invasion der chinesischen Volksbefreiungsarmee zu schützen.

Durch die Wahl rücken Pekings Versuche zu einer „friedlichen Wiedervereinigung“ nun in noch weitere Ferne. Das war allerdings nicht immer so: Pekings Versprechen an Taiwan – „ein Land, zwei Systeme“ – gewann vor gar nicht allzu langer Zeit durchaus an Beliebtheit. Denn China entwickelte sich zur aufstrebenden Weltmacht und machte mit ihrem riesigen Markt Taiwans Volkswirtschaft abhängig.

Doch seit der Autokrat Xi Jinping vor über zehn Jahren an die Macht kam, hat sich der Glanz der Volksrepublik in Abschreckung gewandelt. Ein Schlüsselmoment stellte der Sommer 2020 dar, als die Demokratiebewegung in Hongkong niedergeschlagen wurde. Damit wurde China für die meisten Taiwaner zum roten Tuch.

Hu Xijin, einer der führenden Kommentatoren des Landes, meint dennoch nicht, dass Chinas Führung ihre Politik ändern solle. Er schreibt: „Ist die friedliche Wiedervereinigung nur von der Bereitschaft der Menschen in Taiwan abhängig? Was denken Sie nur! Die Option von Gewalt ist die Voraussetzung für eine friedliche Wiedervereinigung.“

Taiwaner zu ihrem Glück zwingen?

Auf seinen Beitrag erhält Hu jede Menge Zustimmung. „Taiwans Wiedervereinigung rückt näher und näher!“, lautet einer der Kommentare, den die User lemmingartig wiederholen. Dass weit über 95 Prozent aller Taiwaner keine Wiedervereinigung wollen, spielt im chinesischen Diskurs keine Rolle. Sämtliche Konflikte werden fast ausschließlich durch die anti-amerikanische Brille gesehen. Dass der Konflikt demnächst eskalieren wird, glaubt Professor Chen Ming-Chih nicht: „Wir wissen, dass Xi Jinping mit allen möglichen innenpolitischen Problemen konfrontiert ist. Deshalb glaube ich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Invasion derzeit sehr niedrig ist.“