Barbara Saebel ist Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg. Über manches staunt die gebürtige Ostberlinerin bis heute.
Stuttgart - Barbara Saebel lebt in Ettlingen, aber ihre Heimat könnte auch Wien sein. Manches ist Zufall im Leben der inzwischen 60 Jahre alten Landtagsabgeordneten. 1989, im September, kam die Ostberlinerin über Budapest nach Wien. Ungarn hatte die Grenzen zu Österreich geöffnet, Zehntausende DDR-Bürger flohen auf diesem Weg. Dass sie überhaupt in den Flieger steigen konnte, verdankt sie dem ungarischen Flugkapitän. „Der hat sich seine Passagiere selbst zusammengesucht“, berichtet Saebel mit einem kleinen Lachen. Ein einzelner Platz war noch frei, den hat der Pilot der allein reisenden blonden Frau im Hintergrund angeboten. „Von selbst wäre ich nie nach vorne vorgedrungen“, erinnert sich Barbara Saebel.
Spott über unnötigen Umweg
Sie fand es schon erstaunlich, dass sie im Spätsommer 1989 tatsächlich ein Urlaubsvisum für Budapest bekommen hatte. Dann ging es gleich weiter nach Wien zu Freunden. Dort wäre die gelernte Kauffrau auch geblieben, aber sie hatte keine Papiere. Die musste sie in Deutschland beschaffen. So kam sie für eine Woche ins Auffanglager Gießen und dann nach Westberlin. Als am 9. November die Mauer fiel, lebte Saebel in der Bernauer Straße nahe dem Grenzübergang. Dort war sie bei einer Freundin untergekommen, die aus der DDR geflohen war. Als sie die Freunde aus Ostberlin unverhofft in die Arme schließen konnte, spotteten diese: „Das ist typisch Barbara, sie nimmt immer den längeren Weg. Wir sind einfach mit der S-Bahn gekommen.“
Dennoch hat Barbara Saebel nie gedacht, es wäre leichter gewesen, einfach abzuwarten, statt sich aktiv zur Ausreise zu entschließen. „Ich hätte mir das nicht schenken können“, unterstreicht sie. In den zwei Monaten hat sie viel erlebt. „Ich habe mich getraut, mit zwei Koffern wegzugehen.“ Selbst den Mut gehabt zu haben zu gehen – das gibt Kraft für die Zukunft, betont Saebel. „Wenn einen dagegen die Ereignisse überrollen, fühlt man sich ausgeliefert.“ Die damals 30-Jährige wollte sich selbst verwirklichen und einen Neubeginn wagen.
Als Neigschmeckte angekommen
Das sei weitestgehend gelungen, sagt die Ettlingerin heute. Über ein Jobangebot ist sie nach Baden-Württemberg gekommen und geblieben. „Als Neigschmeckte habe ich es in den Gemeinderat und in den Landtag geschafft“, sagt die Grüne stolz. Und das, obwohl ihr vor allem in den ersten Jahren sofort jeder von negativen Erfahrungen mit Menschen aus dem Osten erzählt habe. Sie hat sich den Respekt erarbeitet, sagt sie. Den ersten Kontakt mit den Grünen hatte sie bereits in Gießen. Vom Auffanglager aus besuchte sie einen Vortrag von Joschka Fischer. Begleiter habe sie im Lager nicht gefunden, also ging sie allein, erinnert sie sich.
Manchmal staunt Saebel nach wie vor. „Man kriegt erklärt, wie es in der DDR war, und zwar von Leuten, die höchstens einmal in ihrer Schulzeit mit der Klasse da waren und sich über die Grenzkontrollen aufgeregt haben.“ Das Interesse an der DDR „ist in den alten Ländern ohnehin überschaubar“, hat die Berlinerin festgestellt. Sie würde ja als Zeitzeugin in Schulen auftreten, „das könnte dieses Kapitel deutscher Geschichte für junge Leute interessant machen“, meint sie. „Aber die Nachfrage ist extrem gering.“
Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung
Hierzulande macht die Politikerin „eine gewisse Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung aus“. Vieles beruhe auf „wechselseitigen Missverständnissen“. Dabei könnten die Deutschen froh sein, dass „das Trauma der Teilung mit der friedlichen Wiedervereinigung beendet wurde“. Ihre Jugend in Ostberlin im Kalten Krieg war von Angst überschattet. Dass der Konflikt so aus der Welt geschafft wurde, „das war befreiend“.
Sie hofft, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl sich nicht wieder verschlechtert, und versucht etwas dagegen zu tun. Sie selbst fährt jedes Jahr in die neuen Bundesländer in den Urlaub. „Es ist wichtig, dass wir im Kontakt bleiben.“ Ihre 1994 in Karlsruhe geborene Tochter, für die die ganze DDR natürlich Geschichte ist, macht in Potsdam ihren Master. Beim Erasmus-Programm in Canterbury hat die Tochter nicht nur Studenten aus den USA und Kanada getroffen, sondern sich auch mit einem Mädchen aus Jena angefreundet. Dass immer mehr Westdeutsche in den ostdeutschen Unistädten studieren, stimmt sie zuversichtlich. „Ich habe das Gefühl, das wächst langsam zusammen.“