Gemeinsam laufen macht Spaß – wie hier beim Stuttgart-Lauf. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Nach dem Corona-Einbruch kämpfen die Veranstalter um Athleten, die vom Laufvirus befallen sind. Ob die Teilnehmerzahlen je wieder an die guten Zeiten heranreichen werden, ist offen – auch weil es immer wieder neue Trends gibt.

Die Motive sind höchst unterschiedlich. Fit bleiben, etwas für die Gesundheit tun, Kondition aufbauen, Gewicht reduzieren, die Natur genießen oder einfach nur die Lust am Laufen – es gibt viele Beweggründe, die Joggingschuhe zu schnüren. Und keine einfachere Möglichkeit, Sport zu treiben. Ohne Verein, ohne Verpflichtung, ohne Vorplanung. Der Weg ist das Ziel, der Ort ziemlich egal. Hört sich einfach an? Ist es auch! Sogar wenn es darum geht, sich mit anderen zu messen. Es mangelt nicht an Rennen gegen die Uhr, an diesem Wochenende zum Beispiel findet der 30. Stuttgart-Lauf statt. Die Zeiten allerdings haben sich geändert. Auch durch die Coronapandemie.

„Leute, die vom Laufvirus befallen sind, wird es immer geben“, sagt Roland Pflieger, „aber der ganz große Boom ist vorbei, viele Veranstalter müssen kämpfen. Für sie geht es nun darum, kreativ zu sein, neue Ideen zu entwickeln, der Vielfalt gerecht zu werden.“

Weniger wettkampforientiert

Roland Pflieger spricht aus Erfahrung. Er war als Abteilungsleiter des TSV Hildrizhausen mehr als zwei Jahrzehnte lang der Hauptorganisator des Schönbuchlaufes. Der 25 Kilometer lange Wettbewerb über wunderschöne Waldwege gehört zu den ältesten Volksläufen in Baden-Württemberg. Erstmals fand er 1974 statt, nach der Jahrtausendwende lagen die Teilnehmerzahlen im vierstelligen Bereich, die Logistik stieß an ihre Grenzen. Während der Pandemie fielen zwei Rennen aus, bei der Neuauflage im Oktober 2022 waren es nicht mal 200 Starter. Auf seiner Homepage bat der TSV sie anschließend darum, für den nächsten Lauf am 22. Oktober im Bekanntenkreis zu werben und Interessenten mitzubringen. „Es wird weiterhin sehr viel gelaufen, aber oft etwas weniger wettkampforientiert“, sagt Roland Pflieger, „der Trend geht weg von der klassischen Veranstaltung, bei der vor allem die Leistung, die Platzierung und die Zeit zählen.“

Vor 50 Jahren gab es in Württemberg rund 30 Läufe mit 30 000 Teilnehmern. Bis Ende der 90er Jahre steigerten sich die Zahlen auf 237 Veranstaltungen mit knapp 67 000 Startern. Es folgte ein regelrechter Boom. 2009 wurde erstmals die Marke von 200 000 Läufern (bei nun 350 Wettbewerben) geknackt. Danach sank zwar die Zahl der Rennen auf 318 im Jahr 2019, allerdings nahmen so viele Athleten wie nie zuvor teil (225 960). Dann kam die Pandemie. Und der gescheiterte Versuch, an die guten Zeiten heranzukommen. Im vergangenen Jahr starteten bei immerhin noch 245 Läufen lediglich 124 505 Sportler. Alles auf Corona zu schieben wäre allerdings zu kurz gesprungen. Natürlich haben in der Phase, in der Sport nur draußen und individuell möglich war, manche Leute die Erfahrung gemacht, dass es für den eigenen Antrieb gar keine Wettkämpfe braucht.

Dazu kommt aber die Altersstruktur: Die geburtenstarken Jahrgänge erreichen langsam das läuferische Rentenalter. Sie sind zwar weiterhin viel unterwegs, Rennen gegen die Uhr werden aber weniger wichtig. Und dann gibt es noch die andere Seite der Medaille: Auch die Veranstalter haben Sorgen. Zum einen fehlen den Vereinen zunehmend ehrenamtliche Helfer, und gleichzeitig werden die bürokratischen Hürden bei den Themen Genehmigung, Sicherheit, Streckensperrungen oder Haftung immer höher. „Mittlerweile braucht es einen behördlich vorgeschriebenen Lehrgang, damit ich am Ende ein Stoppschild aufstellen darf“, sagt Roland Pflieger. Und trotzdem ist genügend Bewegung in der Szene, die weit davon entfernt ist, ein Auslaufmodell zu sein. Das zeigen viele Beispiele.

Mehr als ein Dutzend Läufe

Der frühere Triathlet Axel Stahl organisiert seit drei Jahrzehnten Wettbewerbe für Breitensportler, zusammen mit seiner Frau Karen hat er in Sindelfingen die Agentur Event Service Stahl gegründet. Allein in diesem Jahr richtet das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Vereinen in der Region mehr als ein Dutzend Veranstaltungen aus. Egal ob Schönbuch-Trophy, Stäffele-Teamlauf, Flugfeld-Firmenlauf oder City Night Duathlon: Jede hat ihren eigenen Charakter. „Junge Leute interessieren sich nicht mehr dafür, ihre Zehn-Kilometer-Zeit zu verbessern“, sagt Axel Stahl, „sie wollen heute laufen, morgen mit dem Rad unterwegs sein und übermorgen in den Bergen wandern. Veranstalter müssen deshalb offen für Trends sein und immer wieder neue Wettkampfformen anbieten.“

Perfekt funktioniert derzeit zum Beispiel die Verbindung zwischen Sport und Arbeitsplatz. Die 6000 Startplätze für den Firmenlauf am 28. Juni in Degerloch sind schon seit einem Monat alle vergeben, auch Kinderläufe boomen. Dazu kommen Mega-Märsche für die Walker, Trail-Runs für Geländeläufer, und auch die Kombination zwischen Laufen und Radfahren (am besten mit Mountain- oder Gravelbikes) stößt auf Interesse. „Wer etwas auf die Beine stellen will, benötigt Kreativität“, sagt Karen Stahl, „und jede Veranstaltung braucht ein umfangreiches Beiprogramm – man muss ein Event kreieren.“

Ein Lauf allein? Reicht heute nicht mehr. Auch wenn der Ausgangspunkt unverändert bleibt. „Die Lust an der Bewegung im Freien wird es immer geben“, sagt Axel Stahl, „sie wird nur anders ausgelebt.“