In der Leonhardskirche gibt es bis zum 2. März täglich Essen, Gespräche, Seelsorge und medizinische Versorgung. An sieben Tagen für sieben Wochen bietet die Vesperkirche wieder ein „Zuhause auf Zeit“.
Stuttgart - Wenn der Pfarrer der Leonhardskirche den aus Brot gebackenen, großen Schlüssel an Diakoniepfarrerin Gabriele Ehrmann übergibt, dann ist die Vesperkirche offiziell eröffnet. Zum 25. Mal überlässt die Evangelische Leonhards-Kirchengemeinde ihr Haus für mehrere Wochen den Armen und Obdachlosen dieser Stadt. „Wir freuen uns, dass wir seit einem Vierteljahrhundert Gastgeber sein dürfen“, sagt Pfarrer Christoph Doll.
Im Jahr 1995 hatte der Stuttgarter Diakoniepfarrer Martin Fritz zum ersten Mal eine Vesperkirche veranstaltet. Seine Idee war, die Armen dieser Stadt an einen Tisch zu bringen – zumindest für eine gewisse Zeit. Ihm ging es zwar auch darum, hungrige Mägen zu füllen, aber im Vordergrund stand für ihn doch auch das Gemeinschaftserlebnis; nämlich Menschen zusammen zu bringen, die sonst nirgends so richtig dazu gehören in der Gesellschaft. Schon damals habe es kritische Stimmen gegeben, sagte Prälatin Gabriele Arnold. Die Kritik habe von „Das hat es doch noch nie gegeben“ über „Ist das Aufgabe der Kirche?“ bis hin zu „Wer soll denn das bezahlen?“ gereicht. „Wer Martin Fritz kannte, der weiß, solche Einwände haben ihn nicht irritiert – im Gegenteil.“
Angefangen hat alles mit 50 Gästen und ein paar Maultaschen
Das Motto in diesem Jahr erinnert daher auch an die Idee des Begründers der Vesperkirche: „Gemeinsam an einem Tisch“. Längst ist die soziale Aktion viel größer geworden: Bei der ersten Veranstaltung kamen damals um die 50 Leute, es gab Maultaschen.
So überschaubar ist die Vesperkirche schon lange nicht mehr. In den kommenden Wochen, bis 2. März, werden die rund 850 ehrenamtlichen Helfer täglich wohl wieder um die 700 und 800 Mahlzeiten ausgeben.
Auch das Programm ist umfangreicher geworden: Jeden Sonntag gibt es nachmittags ein hochkarätiges Kulturprogramm für die Besucher der Vesperkirche. Am Eröffnungstag war das Böblinger Vokalensemble zu Gast. Den Abschluss bildet auch in diesem Jahr wieder das eigene Projekt: die Band-Chor-Mischung „Rahmenlos und frei“ unter Leitung von Patrick Bopp. Erstmals gibt es in diesem Jahr einen Nachtschicht-Gottesdienst. Am Sonntag, 10. Februar, ist der Soziologe Hartmut Rosa zu Gast.
Natürlich ist die Vesperkirche nur eine Linderung von Symptomen. „Noch immer lebt fast jeder zehnte Stuttgarter in Armut“, sagte Ehrmann beim Eröffnungsgottesdienst am Sonntag. Und genau darum bleibe man aber auch nach 24 Jahren noch dran: „Es ist unsere Aufgabe als Kirche, auf der Seite derer zu stehen, die bedürftig sind.“
Die soziale Aktion soll nicht nur helfen, sondern auch auf Armut aufmerksam machen
Die Bilanz des Cannstatter Dekans Eckart Schultz-Berg zu 25 Jahren Vesperkirche ist gemischt: „Einerseits ist das Jubiläum ein erfreuliches Ereignis, denn die Vesperkirchen-Gäste fragen schon seit Wochen, wann es wieder losgeht, wie es wohl werden wird“, sagte er im Vorfeld. Andererseits sei es eben immer auch ein Moment, um innezuhalten und nachzufragen, was sich in den vergangenen 24 Jahren für arme Menschen in so einer „reichen Stadt wie Stuttgart“ verändert habe. „Wo stehen wir heute und was muss sich noch ändern?“
So habe der Weg, den man damals eingeschlagen habe, ja doch Früchte getragen: Zwischenzeitlich gebe es von der Stadt Stuttgart die Bonus-Card für Menschen, die ALG II oder Grundsicherung bekommen. Es gebe die Familien-Card für Familien, die armutsgefährdet sind. „Und in 2019 wird eine Armutskonferenz in Stuttgart stattfinden“, sagte er. Dennoch, die Armut ist damit natürlich nicht abgeschafft.
Was brauchen Langzeitarbeitslose? Was können Politiker wirklich tun?
Um das Thema Armut mehr auf die politische Agenda zu bringen, gibt es seit dem letzten Jahr das Format „Politiker hören zu“. Auch in diesem Jahr sind wieder Vertreter verschiedener Parteien eingeladen, um mit einigen Langzeitarbeitslosen zu sprechen – allerdings dürfen dabei auch nur diese sprechen, wie der Name der Veranstaltung schon sagt. Die Politiker hören dabei ausnahmsweise nur zu.