Gegen den Freihandel wird mit harten Bandagen gekämpft: Greenpeace veröffentlicht geheime Verhandlungsdokumente. Foto: dpa

250 Seiten mit geheimen Dokumenten aus den Verhandlungen zwischen den USA und der EU über TTIP hat Greenpeace veröffentlicht. Kritiker sehen in den Papieren den Beleg, dass die USA die Europäer massiv unter Druck setzen, ihre Standards beim Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz dramatisch zu senken. Die EU-Kommission wehrt sich.

Brüssel - TTIP-Kritiker sehen in den Papieren den Beleg, dass die USA die Europäer massiv unter Druck setzen, ihre Standards beim Verbraucher-, Tier- und, Umweltschutz dramatisch zu senken. Die EU-Kommission wehrt sich. Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um die Dokumente.

Was steht in den Papieren?

Die Dokumente geben nicht den aktuellsten Stand der Verhandlungen wieder. Sie stammen überwiegend aus früheren Verhandlungsrunden. Die Entwicklungen, die es in der vergangenen Woche der Verhandlungen, dies war die 13. Runde, gegeben hat, sind überwiegend noch nicht abgebildet. Etliche Experten, die sich mit den Verhandlungen auskennen, halten die Veröffentlichungen daher für banal. Ein Unterhändler sagte in Brüssel: „Greenpeace macht viel Lärm um etwas, das eigentlich belanglos ist.“ Die veröffentlichten Dokumente enthalten keine Hinweise darauf, was eines Tages in dem Abkommen stehen könnte. Bislang haben sich die Verhandlungsparteien darauf auch noch gar nicht geeinigt. Sie bilden vielmehr ab, wie die Positionen der USA und der EU bei einigen Themen sind. Viele Passagen sind unter Vorbehalt. Es steht dort, welche Forderung die USA aufstellt und wie die Position der EU dazu aussieht.

Wie gelangte das Papier an die Öffentlichkeit?

Auch die Dokumente, die Zwischenstände der Verhandlungen abbilden, sind geheim. Sie dürfen nur in eigens eingerichteten Lesesälen und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen eingesehen werden. Klar ist, dass die Dokumente nicht kopiert worden sind, man geht davon aus, dass Personen, die befugt waren, sie einzusehen, sie abgetippt und Greenpeace zugespielt haben. Die EU-Kommission hat Untersuchungen angekündigt, um das Leck zu finden.

Wie reagiert die EU-Kommission auf die Enthüllungen?

Die EU-Kommission ist in die Offensive gegangen. Die zuständige EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat sich umgehend zu Wort gemeldet. Ihre Strategie ist klar: Sie will den Kritikern eines Abkommens nicht die Deutungshoheit überlassen. „Es ist normal“, so Malmström, „dass beide Seiten in einer Verhandlung möglichst viele ihrer Positionen durchsetzen wollen.“ Das heiße aber noch lange nicht, dass die eine Seite solchen Forderungen nachgebe. Es bedeute auch ebenso wenig, dass man sich hinterher auf der Mitte einigen werde. Und weiter: „In Bereichen, in denen wir zu weit auseinander liegen, werden wir uns schlicht nicht einigen.“ Sie halte den Wirbel, den die angeblichen Enthüllungen verursacht haben, für einen „Sturm im Wasserglas“. Malmström schickte ihren Chef-Unterhändler, Ignacio Garcia Bercero, zu den Brüsseler Korrespondenten. Sein Auftrag: Dinge richtig stellen, nicht lange um den heißen Brei herum reden, sondern transparent über Verhandlungsstände informieren. Der Spanier machte deutlich: „Die Kritiker stellen in mehreren Bereichen handfeste Falschbehauptungen auf.“ Es sei etwa schlicht falsch, dass die EU bereit sei, dass Vorsorgeprinzip über Bord zu werfen und der Industrie neue Möglichkeiten zu eröffnen, Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen. Bercero dazu: „Das ist falsch.“ Die Kommissarin Malmström stellt zudem klar, dass die Absenkung von Standards nicht zur Debatte steht: „Kein EU-Handelsabkommen wird das Schutzniveau für Verbraucher und Umwelt oder bei der Lebensmittelsicherheit absenken.“ Ein Handelsabkommen mit den USA ändere „nicht unsere Gesetze, wie etwa sicheres Rindfleisch produziert wird.“ Der Chef-Unterhändler der EU, Bercero, unterstreicht: „Die USA haben inzwischen akzeptiert, dass wir kein Abkommen unterschreiben werden, mit dem die EU-Gesetzgebung unterlaufen würde.“

Wo stehen die USA und die EU in den Verhandlungen?

Klar ist, EU und USA sind noch weit auseinander. Dies unterstreichen nicht zuletzt die veröffentlichen Dokumente. Bislang sind in den meisten Bereichen lediglich die jeweiligen Positionen formuliert. Alle wissen: Damit das Abkommen noch in diesem Jahr unterschriftsreif ist, müssen bei der nächsten Verhandlungsrunde im Juli bei wichtigen Themen handfeste Erfolge erzielt und Vertragstexte stehen. Bercero sagte: „Da liegt noch viel Arbeit vor uns.“ Eindeutig ist zum Beispiel, dass man bei Kosmetik nicht weiter komme. In den USA seien viele Inhaltsstoffe zugelassen, die in der EU verboten seien. Ein Unterhändler: „Keiner wird versuchen, dem anderen seine Position aufzuzwingen.“ Im Bereich der gentechnisch veränderten Lebensmittel hätten die USA inzwischen akzeptiert, „dass wir in Europa unsere Position nicht aufgeben“. Heikel wird auch die Frage nach hormonbelastetem Fleisch angesehen. Dazu heißt es von EU-Seite: „Das Verbot bleibt erhalten.“ Auch der Streit um geografische Herkunftsbezeichnungen von Produkten wie etwa Champagner – Sekt mit dieser Bezeichnung wird auch in Kalifornien produziert – ist noch nicht beigelegt. Beobachter sagen, dass die Verhandlungspositionen beim Thema Regulierung von Unternehmen und Branchen wohl am schwierigsten zu vereinbaren seien. In den USA hätten Interessengruppen, Lobbyisten und Unternehmensvertreter ein viel größeres Mitspracherecht als in der EU. In den USA müsse die Regierung etwa nachweisen, dass Einwände der Lobby gegen die Regulierung unbegründet seien. „So ein Regulierungsregime ist mit unseren Vorstellungen nicht vereinbar.“

Belasten die Veröffentlichungen die Verhandlungen?

Bislang steht eine offizielle Reaktion von US-Seite aus. Die EU-Seite macht sich aber Sorgen, dass die Enthüllung der als geheim eingestuften Dokumente das Klima zwischen den Verhandlungspartnern vergiften könnte. Der EU-Chefunterhändler: „Bislang war das Klima gut, wir hatten keine Probleme mit dem gegenseitigen Vertrauen.“ Die US-Seite habe aber stets Vertraulichkeit erwartet. „Ich möchte jetzt nicht darüber spekulieren, welche Folgen die Veröffentlichung bei unseren Gesprächspartnern hat.“

Was sagt die Industrie, die auf TTIP hofft?

Der Maschinenbau-Verband VDMA warnt die TTIP-Kritiker vor voreiligen Schlüssen: Sie dürften die Veröffentlichungen nicht als Bestätigung ihrer ablehnenden Position verstehen. „Tatsächlich zeigen die veröffentlichten Dokumente, dass die EU-Kommission die im Verhandlungsmandat festgelegten Vorgaben befolgt.“ Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) warf den TTIP-Kritikern Foulspiel vor: Die Indiskretionen zielten darauf ab, „Misstrauen in der Bevölkerung gegen TTIP zu schüren“. Mit politisch fairen Spielregeln habe dies nichts zu tun, erklärte VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann. Ähnlich sieht das VDA-Präsident Matthias Wissmann. Mit der Veröffentlichung von Verhandlungs-Zwischenständen würden bewusst Ängste geschürt. Natürlich gebe es schwierige Fragen. „Aber wer das Abkommen als solches in Frage stellt, erweist Verbrauchern und Wirtschaft einen Bärendienst.“ Es gebe keine Alternative zur Globalisierung. „Wer ihre Chancen nicht rechtzeitig erkennt oder gar bewusst ignoriert, verbaut sich selbst den Weg zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand.“