Wer wegen eines Unfalls oder einer Krankheit im Rollstuhl sitzt, braucht oft Hilfsmittel, um wieder ins Berufsleben einzusteigen. Foto: dpa/Stefan Puchner

Chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung müssen oft für Hilfsmittel kämpfen, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Ein Verein in Schorndorf unterstützt sie dabei.

Viele wünschen sich einen sicheren Job. Uwe Wünstel vom Verein Teilhabeberatung Baden Württemberg wäre hingegen froh, wenn es seine Arbeit gar nicht bräuchte. „Wenn wir irgendwann mal überflüssig sind, dann haben wir unser Ziel erreicht“, sagt Wünstel, der mit seinen Kolleginnen und Kollegen Menschen mit Behinderungen oder drohenden Behinderungen sowie deren Angehörige in Fragen der Rehabilitation und Teilhabe an der Gesellschaft und am Arbeitsleben berät.

Die Berater bringen eigene Erfahrungen ein

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) lautet der etwas sperrige Name des kostenlosen Angebots, das Ratsuchende vom Kind bis zum Senior in Anspruch nehmen können. Das Konzept basiert auf dem Prinzip des Peer Counseling, sprich: Betroffene beraten Betroffene und bringen dabei ihre eigenen Erfahrungen ein. Das vierköpfige Team am Hauptstandort in Schorndorf ist beispielsweise besonders bewandert in den Spezialgebieten Hörstörungen, Schwindel und Herzrhythmusstörungen sowie Körper- und Sehbehinderungen. In der Beratungsstelle im benachbarten Landkreis Göppingen sitzen Mitarbeitende, die erfahren sind mit Asperger-Autismus, AD(H)S, psychischen Erkrankungen und Krebserkrankungen bei jungen Menschen. Wer Ansprechpartner zu einem anderen Thema sucht, wird garantiert ebenfalls fündig, denn die beiden Standorte in Schorndorf und Göppingen sind nur zwei von rund 500 EUTB-Stellen im gesamten Bundesgebiet. Deren Träger sind verschiedenste Verbände und Vereine, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für ihre Beratungsarbeit Geld erhalten.

Acht Anlaufstellen im Großraum Stuttgart

Der im vergangenen Jahr gegründete Verein Teilhabeberatung Baden Württemberg ist Träger von derzeit acht Anlaufstellen im Großraum Stuttgart. Oberstes Gebot aller Anlaufstellen sei eine unabhängige Beratung, sagt Jonas Beck, der seit Anfang des Jahres in Schorndorf tätig ist und zuvor fünf Jahre als EUTB-Berater im Ostalbkreis gearbeitet hat. Das unterscheide die EUTB-Beratungsstellen von anderen Anbietern wie zum Beispiel der Diakonie, Awo, Caritas oder Lebenshilfe, die eigene Angebote und ein Interesse daran hätten, Kunden zu gewinnen. „Wir beraten nur parteiisch bezogen auf den Ratsuchenden“, sagt Uwe Wünstel. „Und im Gegensatz zu früher denken wir nicht angebotsorientiert, sondern personenorientiert“, erklärt sein Kollege Jonas Beck. Die Aufgabe der EUTB-Berater beschreibt er folgendermaßen: „Wir lotsen Menschen durch das Dickicht der Sozialrechtsgebung und schauen zunächst, welcher Bedarf besteht, bevor überhaupt ein Antrag gestellt wird.“

Mit den Betroffenen loten die Beratenden also aus, was deren Vorstellungen und Ziele sind, welche Unterstützung sie benötigen und welche Schritte sie tun müssen. Ein Rollstuhlfahrer braucht vielleicht ein behindertengerechtes Fahrzeug, um zur Arbeit zu kommen, eine junge Frau mit einer schweren Muskelerkrankung ist auf eine 24-Stunden-Assistenz angewiesen, um selbstbestimmt leben zu können. „Bei uns stehen der Selbstbestimmungsgedanke und die Bestärkung und Befähigung im Mittelpunkt“, betont Jonas Beck: „Ich unterstütze die Leute, damit sie in der Lage sind, das für sich zu regeln, aber ich schreibe keine Anträge für sie.“

Oft müssen Betroffene Leistungen erstreiten

Auch eine Rechtsberatung dürfen die EUTB-Mitarbeiter nicht vornehmen, aber sie können Wege aufzeigen, die die Betroffenen gehen könnten, um eine Leistung, die ihnen zusteht, auch zu bekommen. Denn das ist nach der Erfahrung der Berater keine Selbstverständlichkeit. So manche Leistung, zu der die Kostenträger verpflichtet sind, wird den Antragstellern erst verwehrt. Dann heißt es dranbleiben. „Zu uns kommen die meisten Menschen mit einem Grummeln im Magen“, sagt Uwe Wünstel, der selbst mehrere Jahre für hochwertige Hörgeräte gekämpft hat, die sein schlechtes Hörvermögen so gut ausgleichen, dass er voll am Arbeitsleben teilhaben kann.

Viele Klienten suchten auch Rat dazu, ob sie sich im Falle einer Krankheit outen oder den Schwerbehindertenstatus beantragen sollen, weil sie Nachteile fürchten. Was die Quote der Mitarbeitenden mit einer Behinderung betrifft, so ist die Teilhabeberatung Baden-Württemberg ein echtes Musterbeispiel. Von den 17 Mitarbeitenden, die sich acht Vollzeitstellen teilen, seien 70 Prozent Menschen mit einer Beeinträchtigung, sagt Uwe Wünstel – und damit deutlich mehr, als das in einem klassischen Inklusionsunternehmen der Fall sei. Dort liegt die Quote bei maximal 50 Prozent.

Mehr zum Thema unter diesen Adressen: www.eutb-thbw.de ; www.teilhabeberatung.de

Mehrere Anlaufstellen im Rems-Murr-Kreis

Konzept
In allen EUTB-Beratungsstellen gilt die Devise „Betroffene beraten Betroffene“. An jedem Standort gibt es Spezialisten für bestimmte Themen. Ratsuchende müssen sich nicht unbedingt in der EUTB-Stelle des Landkreises, in dem sie leben, beraten lassen.

Beratung
Der gemeinnützige Verein Teilhabeberatung Baden Württemberg existiert seit dem Jahr 2022. Sitz der Geschäftsstelle und des Hauptstandorts ist in Schorndorf. Dort unterstützt der Verein Menschen, die in der Teilhabe eingeschränkt sind und Behinderungen haben. Zudem berät der Verein Kommunen und kommunale Einrichtungen und Vereine zu inklusiven Vorhaben. Sprechstunden gibt es nach Absprache auch vor Ort in den Kommunen Fellbach, Waiblingen, Murrhardt, Backnang, Winnenden und Welzheim.