Steve Matutis (links) und Uwe Wünstel von der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung klären Menschen darüber auf, welche Hilfsmittel sie beantragen können. Foto: Gottfried Stoppel

Eine chronische Krankheit oder ein Unfall kann das Leben auf den Kopf stellen. Eine unabhängige Beratungsstelle in Schorndorf gibt Betroffenen Tipps und Hilfe für die Rückkehr ins Leben.

Manchmal braucht es einen langen Atem. Uwe Wünstel weiß das aus eigener Erfahrung. Fünf Jahre lang hat der Leiter der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) in Schorndorf für Hörgeräte gekämpft, die sein schlechtes Hörvermögen so gut ausgleichen, dass er voll am Arbeitsleben teilhaben kann. Die High-End-Geräte, die ein Richter Uwe Wünstel nach jahrelangem Hin und Her zusprach, sind so leistungsfähig, dass der Teilhabeberater selbst am Telefon so gut klarkommt, dass ein Gesprächspartner nichts von der fast vollständigen Ertaubung ahnt.

„Es wird viel über Hilfsmittel gestritten, die absolut notwendig sind, die Menschen werden oft monatelang vertröstet“, sagt Uwe Wünstel. So manche Leistung, die verpflichtend wäre, werde den Betroffenen erst verwehrt. Diese seien dann irgendwann am Ende und zermürbt – und geben auf. Da kommen die Mitarbeiter der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung ins Spiel. „Unsere Rolle ist es, darauf hinzuweisen, was es gibt. Wir dürfen keine Rechtsberatung machen, aber wir können Wege zeigen, die Betroffene gehen könnten“, sagt Steve Matutis.

Hilfe für chronisch Erkrankte und Menschen mit Behinderungen

Die Teilhabeberater unterstützen Menschen mit einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit, Leute, die eine Reha brauchen, oder Arbeitnehmer, die nach einem Unfall oder einer Krebserkrankung wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren möchten und dazu bestimmte Hilfsmittel oder eine Arbeitsassistenz benötigen. Oftmals lasse man die Betroffenen im Regen stehen, ist die Erfahrung von Uwe Wünstel und Steve Matutis. Viele suchten auch Rat dazu, ob sie sich im Falle einer Krankheit outen oder den Schwerbehindertenstatus beantragen sollen, weil sie eine Etikettierung fürchteten. „Wichtig ist es, den Leuten einfach mal zuzuhören“, sagt Uwe Wünstel.

Auch Angehörige können sich bei der Beratungsstelle in Schorndorf, die für den gesamten Landkreis zuständig ist, kostenlos informieren und unterstützen lassen. „Wir sind eigentlich Gesundheitsmanager, Lotsen und Wegweiser und verpflichtet, Ratsuchende unabhängig zu beraten“, sagt Uwe Wünstel. Das unterscheide die EUTB-Beratungsstellen von Anbietern wie zum Beispiel der Diakonie, Awo, Caritas oder Lebenshilfe, sagt er: „Diese haben eigene Angebote und ein Interesse, Kunden dazuzugewinnen.“

Chancengleichheit gibt es noch lange nicht

Die EUTB-Beratungsstellen sind entstanden, weil Deutschland die UN-Behinderterechtskonvention, welche die Rechte von Menschen mit Behinderungen stärken und mehr Chancengleichheit bringen soll, zwar bereits vor vielen Jahren unterzeichnet hat, es aber an deren Umsetzung immer noch sehr hapert. Ein Teil des Problems sei, dass Behindertenarbeit Sache der Bundesländer ist, sagt Uwe Wünstel: „Jede Kommune sieht es anders und hat auch eine andere Bedarfsermittlung.“

In den deutschlandweit mehr als 500 Beratungsstellen der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung arbeiten viele Menschen, die aufgrund eigener Erkrankungen Experten sind, das Prinzip nennt sich Peer-Beratung – Betroffene helfen Betroffenen. So arbeiten beispielsweise Menschen als Berater, die Autismus oder eine Seh- oder Hörbehinderung haben oder an Multipler Sklerose erkrankt sind. Das sei sehr hilfreich, betonen Uwe Wünstel und Steve Matutis. Im Zweifelsfall bringe man Ratsuchende, die aus dem Rems-Murr-Kreis anrufen, mit den für sie passenden Experten anderswo in Deutschland zusammen, genauso beraten die Schorndorfer auch Anrufer aus Norddeutschland oder Bayern.

Geduld lohnt sich im Dschungel Sozialsystem

„Wir haben in Deutschland ein gutes Sozialsystem – über die Höhe der Leistungen kann man natürlich streiten – die Schwierigkeit ist, sich darin zurechtzufinden“, sagt Matutis: „Wir zeigen auf, was möglich ist. Ob man diese Möglichkeiten als Betroffener nutzt, ist eine andere Frage.“ Er und Uwe Wünstel sehen es auch als ihre Aufgabe, Betroffenen Mut zu machen, selbst wenn die Situation aussichtslos erscheint: „Geduld lohnt sich. Wir sagen den Menschen bei Beratungen auch, dass sie sich darauf einstellen müssen, dass ihr Antrag nicht sofort durchgeht.“

Mehr zur unabhängigen Beratung unter: www.lag-selbsthilfe-bw.dewww.teilhabeberatung.de

Mehr Selbstbestimmung und Teilhabe

Beratung
Im Rems-Murr-Kreis können sich Ratsuchende für eine kostenlose Beratung an die EUTB-Stelle in Schorndorf wenden. Sie sitzt derzeit im Familienzentrum in der Karlstraße 19. Uwe Wünstel ist unter 0 71 81 / 8 87 71 32 oder per E-Mail an wuenstel@eutb-schorndorf.de erreichbar. Montags bis freitags gibt es von 10 bis 13 Uhr eine offene Beratung, sonst nach Terminvereinbarung.

Teilhabegesetz
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist ein Gesetzespaket, das in vier Stufen bis ins kommende Jahr in Kraft tritt und das Menschen mit Behinderungen mehr Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeits- und Sozialleben sowie Bildung und mehr Selbstbestimmung ermöglichen soll.