Der Kongress muss einen Kompromiss finden. Foto: dpa/Carolyn Kaster

Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus versucht, den Schuldendeckel als Hebel zu benutzen, Joe Biden den Geldhahn abzudrehen. Ohne Einigung kann das US-Finanzministerium keine neuen Staatsanleihen ausgeben.

Die 31,4 Billionen Dollar an Schulden haben Demokraten und Republikaner über mehr als 200 Jahre gemeinsam angehäuft. US-Staatsanleihen gelten als eine der sichersten Anlagen. Bis jetzt.

Warum drohen die USA zum ersten Mal in der Geschichte ihre Schulden nicht zurückzahlen zu können?

Die Krise ist ein hausgemachtes Problem, das ein Symptom der politischen Polarisierung des Landes ist. Der Kongress führte die Schuldenobergrenze 1917 ein, um der Regierung während des Ersten Weltkriegs mehr Flexibilität bei der Kriegsfinanzierung zu geben. Bis dahin musste jede Neuverschuldung individuell genehmigt werden. Ein Verfahren, das sich auch während des Zweiten Weltkriegs bewährte. Seitdem hat der Kongress unter Führung beider Parteien das Limit mehr als 100-mal angehoben. Eine Formalie. Die neue republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus versucht, den Schuldendeckel jetzt als Hebel zu benutzen, Präsident Joe Biden den Geldhahn abzudrehen. Ohne Einigung mit dem Weißen Haus kann das US-Finanzministerium keine neuen Staatsanleihen ausgeben. Dann droht die Zahlungsunfähigkeit.

Wann droht das sogenannte X-Datum?

Finanzministerin Janet Yellen hatte den Kongress bereits im Januar darüber informiert, dass die USA die Grenze von 31,4 Billionen Dollar schon erreicht haben. Mithilfe von „außerordentlichen Maßnahmen“ sei es möglich, noch einige Monate Zeit zu gewinnen. Vergangenen Sonntag erklärte Yellen dann, der 1. Juni sei eine „harte Frist“. Das erklärt den Druck, unter dem Speaker Kevin McCarthy und Biden verhandeln.

Was wollen die Republikaner, und warum lässt sich der Präsident darauf nicht ein?

Die Republikaner bestehen darauf, im kommenden Haushaltsjahr weniger Geld auszugeben als in diesem. Sie wollen für sechs bis zehn Jahre Obergrenzen für alle Ausgaben im Staatshaushalt festschreiben, die nichts mit Verteidigung oder der Alterssicherung zu tun haben. Der Präsident besteht darauf, dass die Verbindlichkeiten bedingungslos bezahlt werden müssen, weil es sich um Zinsen auf Ausgaben handelt, die der Kongress bereits getätigt hat. Staatsschulden sind bereits angefallene Kosten, während es im Budget um künftige Ausgaben geht. Biden ist bereit, für zwei Jahre die Haushalte einzufrieren.

Wie stehen die Aussichten auf eine Einigung?

Beide Seiten verbreiten Zweckoptimismus, bleiben in der Sache aber weit auseinander. Die Märkte reagieren bislang gelassen. Kaum jemand glaubt, dass die Politiker ernsthaft das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit der USA auf das Spiel setzen würden. Viele denken an 2011, als die Republikaner dieses Drehbuch benutzten, Barack Obama Zugeständnisse abzuringen. Damals einigten sie sich in letzter Minute.

Welchen Spielraum gibt es für einen Kompromiss?

So gut wie keinen. McCarthys Macht hängt am seidenen Faden der Rechtsaußen-Abgeordneten vom Freedom Caucus, die seine Wahl zum Speaker in 14 Wahlgängen verhindert hatten. Erst als er weitgehende Zugeständnisse an die rund zwei Dutzend Abgeordneten machte, wurde er gewählt. Mit einer Mehrheit von neun Stimmen benötigt er die Hardliner für jede Einigung mit Biden. Falls er auf demokratische Stimmen zurückgreifen wollte, droht ihm der Amtsverlust.

Und der Präsident?

Biden erwägt die Möglichkeit, den Kongress zu umgehen. Entweder unter Berufung auf den 14. Verfassungszusatz, der vorschreibt, dass die Regierung ihre Verbindlichkeiten bezahlen muss, oder durch die Herausgabe einer Platinmünze im Gegenwert von einer Billion Dollar. Beide Wege gelten als fragwürdig, enden definitiv vor Gericht und verunsichern die Märkte. Realistischer wäre eine sogenannte „Discharge Disposition“, ein parlamentarisches Manöver, mit der eine überparteiliche Mehrheit im Repräsentantenhaus den Speaker umgehen könnte.

Was passiert, wenn der Kongress das Limit nicht rechtzeitig anhebt?

Dann droht Chaos an den Finanzmärkten, die ein solches Szenario bisher nicht erwogen haben. 2011 sackte der S&P-500-Aktienindex vor der Einigung um 16 Prozent ab. Die Ratingagentur Standard & Poor stufte die Kreditwürdigkeit der USA von AAA auf AA+ ab. Genau das könnte auch diesmal passieren. Das Finanzministerium muss dann entscheiden, wer zuerst nicht bezahlt wird: Rentner, Veteranen, Ärzte oder die Besitzer von Staatsanleihen. Je länger es keine Einigung gibt, desto mehr Gläubiger gehen leer aus.

Welche Konsequenzen hat ein Zahlungsausfall?

Experten halten dann eine Rezession für unvermeidbar. Die Regierung muss mehr Geld für künftige Staatsschulden bezahlen, weil Gläubiger ihr Risiko durch einen Aufschlag auf Staatsanleihen abgedeckt sehen wollen. Das führt zum Zinsanstieg bei Autokrediten, Kreditkarten bis zu Hypotheken. Es wird teurer für Unternehmen zu investieren und profitabel zu bleiben. Millionen Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.