Teile Ohios, einem wichtigen Staat bei der US-Präsidentschaftswahl, wurde von der Abwanderung der Industrie hart getroffen. Foto: GETTY

Die Chancen auf einen politischen Neuanfang in Washington stehen nicht gut. Egal, wer das Rennen ums Weiße Haus gewinnt, meint unser Kommentator Michael Weißenborn.

Stuttgart/Washington - Viele amerikanische Wähler hadern mit der US-Politik. Für ihre Präsidentschaftswahl am heutigen Dienstag wünschten sie sich am liebsten einen Neustart mit zwei ganz anderen Kandidaten. „Ich verstehe nicht, warum sich kein besserer Kandidat gefunden hat“, meinte jüngst ein Soldat bei einer Umfrage der „Military Times“. Denn Donald Trump und Hillary Clinton polarisieren, haben Probleme mit der Glaubwürdigkeit und sind extrem unbeliebt. Die Demokratin Clinton steht da dem republikanischen Hasardeur Trump kaum nach.

Völlig zu Recht sind die US-Bürger unzufrieden mit dem Zustand ihrer politischen Verhältnisse in Washington. In den vergangenen 20 Jahren wurde die politische Selbstlähmung und eine immer schmutzigere Schlammschlacht zum Normalfall. Der Kongress machte Schlagzeilen vor allem, als er die Regierung zwang, alle öffentlichen Einrichtungen zeitweise zu schließen oder weil er offen mit dem Staatsbankrott liebäugelte. Große Gesetze zur Eindämmung der Staatsverschuldung, zum Kampf gegen die Ungleichheit oder zur Einwanderungsreform? Fehlanzeige.

Rechtsruck der Republikaner

Darüber sind sogar jene US-Konservative frustriert, die die Passivität der Gesetzgebung oft mit einem schwachen Staat verwechseln. Doch die Republikaner tragen die Hauptschuld. Nicht einmal der konservative Säulenheilige Ronald Reagan, der nichts für Abtreibungsgegner tat und sogar einmal die Steuern erhöhte, hätte heute eine Chance, von den Republikanern zum Präsidentschaftskandidaten gekürt zu werden. So weit ist die Partei nach rechts abgedriftet. Pragmatische Republikaner der Mitte sind in Washington eine vom Aussterben bedrohte Art. Dafür überboten sich ihre Parteigranden in jüngster Vergangenheit damit, den Politikbetrieb in der US-Hauptstadt als durch und durch korrupt zu brandmarken und die gegnerischen Demokraten zu dämonisieren: Sie würden die Zukunft des Landes aufs Spiel setzen.

Nun ernten sie, was sie gesät haben: Der selbstverliebte Krawallmacher Trump hat die Partei gekapert und will nichts weniger, als das politische System der Altdemokratie Amerika zerschlagen – getragen von der unpolitischen und reichlich naiven Vorstellung seiner Anhänger, dass danach auf wundersame Weise ein besseres Amerika wiederersteht. In dieser Hinsicht ist die Kandidatur Trumps – ganz egal, für wie verwerflich man seine Ziele halten mag – vor allem ein Symptom für die Sehnsucht vieler Amerikaner nach politischer Runderneuerung.

Clinton-Präsidentschaft treibt Land weiter nach rechts

Höchste Zeit also für eine Wende im Washingtoner Politikbetrieb. Der Pessimismus vieler Amerikaner ist übertrieben: Außerhalb Washingtons gibt es auf lokaler und einzelstaatlicher Ebene genug Beispiele überparteilicher Zusammenarbeit, um Schulen und Straßen besser, die Städte lebenswerter zu gestalten. Auch Nachrichten über das Ende der Innovationskraft von US-Wirtschaft und Spitzenuniversitäten sind stark übertrieben. Wie die Unkenrufe vom bevorstehenden Niedergang der Weltmacht. In seiner unübersichtlichen Vielfalt wird Amerika seit jeher unterschätzt.

Die Chancen für eine Überwindung der Selbstblokade in Washington stehen jedoch nicht gut: Gewinnt Trump, muss er all die Erwartungen als Heilsbringer erfüllen. Das wird das Land ärmer und schwächer machen und weiter innerlich zerreißen. Gewinnt Clinton, fällt ihr die unmögliche Aufgabe zu, Millionen Trump-Wählern die Hand zu reichen. Fällt der Kongress dabei an die Republikaner, ist das nur der Ausgangspunkt für weitere Grabenkämpfe. Der rechte Altrevolutionär Newt Gingrich jubiliert schon: „Eine Clinton-Präsidentschaft wird das Land noch weiter nach rechts treiben.“