Jetzt werfen gleich mehrere Frauen Donald Trump vor, er habe sie gegen ihren Willen geküsst und begrapscht. Foto: AFP

Hillary Clinton könnte Gedchichte schreiben und als erste Frau ins Weiße Haus einziehen. Doch nicht sie macht das zum großen Thema, sondern die vulgäre Frauenverachtung ihres Rivalen Donald Trump

Washington/Stuttgart - Am vergangenen Sonntagabend schoss Jessica Leeds die Zornesröte ins Gesicht. In ihrem Magen zog sich alles zusammen. Sie verfolgte die zweite TV-Debatte zwischen dem Republikaner Donald Trump und seiner demokratischen Rivalin Hillary Clinton in ihrem Apartment in Manhattan. Der Polit-Krawallmacher räumte ein: Ja, er habe sich damit gebrüstet, Frauen gegen ihren Willen geküsst und begrapscht zu haben. Das aber natürlich nie in die Tat umgesetzt. Alles bloß Gerede unter Kerlen in der Umkleidekabine, beteuerte er vor einem Millionenpublikum.

„Da wollte ich nur noch auf den Bildschirm einschlagen“, erzählte Leeds jetzt aufgebracht der „New York Times“. Denn vor mehr als dreißig Jahren saß sie auf einem Flug nach New York in der ersten Klasse zufällig neben dem Immobilienunternehmer. Die beiden waren sich nie zuvor begegnet. Etwa 45 Minuten nach dem Start, erinnert sie sich noch gut, habe Trump plötzlich die Armlehne nach oben geklappt und angefangen, sie zu begrapschen, „Er war wie eine Krake…seine Hände waren überall“, sagte Leeds, die damals 38 Jahre alt war.

„Seine Hände waren überall“

Auch Rachel Crooks erinnterte sich an eine Attacke Trumps 2005. Die damals 22-Jährige arbeitete zu dieser Zeit am Empfang im Trump Tower in Manhattan. Eines Tages begegnete ihr Trump zufällig vor dem Fahrstuhl. Nachdem sie sich vorgestellt hatte, fing er an sie abzuküssen. „Ich war so wütend, weil er wohl dachte, ich sei so unbedeutend, dass er das mit mir machen konnte“, sagte sie jetzt. Beide Frauen wandten sich nicht an die Behörden, erzählten aber Freunden und ihren Familien davon. Und zwei weitere Frauen beklagen sich über ähnliche sexuelle Übergriffe – auch wenn noch nichts bewiesen ist.

Trumps geballter Vulgärsexismus – er streitet die Taten natürlich vehement ab – könnte das politische Ende des Unternehmers bedeuten. Weil, abgesehen von der Mehrzahl der Amerikanerinnen, auch viele männliche US-Bürger diese Frauenverachtung nicht mehr hinnehmen wollen, zumal von einem Mann, der ihr Präsident werden will. Eine gewisse Ironie in diesem an Extremen reichen Präsidentschaftswahlkampf 2016: Es ist Donald Trump, der auf seine eigene abstoßende Art und Weise die Geschlechterfrage aufwirft und nicht die Frauenrechtlerin Clinton. Immerhin wäre es historisch, wenn auf den ersten schwarzen Präsidenten zum ersten Mal in der US-Geschichte eine Frau ins Weiße Haus einzöge. Doch Clinton und ihre Wahlkampfstrategen spielen diesen Aspekt lieber herunter. „Hillary Clinton will nicht nur die Präsidentin der Frauen werden“, erklärt der Tübinger Historiker Georg Schild. Sie wende sich in ihrem Wahlkampf an alle Amerikaner und betone ihr Frausein nicht allzu sehr, weil sie die Männer nicht vor den Kopf stoßen wolle, für die eine Präsidentin im Oval Office noch ein Problem sei.

Alpha-Männchen-Wahlkampf

Trump interpretierte in seinem Alpha-Männchen-Wahlkampf die Frauenfrage von Anfang an auf seine Weise: Der Fox-News Journalistin Megan Kelly warf er vor, sie würde ihn aggressiv befragen, weil „Blut aus ihr herausfließt“. Seine republikanischen Mitbewerberin Carly Fiorina beleidigte er wegen ihres Aussehens: „Schaut euch nur dieses Gesicht an, würde irgendjemand dafür seine Stimme abgeben?“ Und besonders natürlich warf er Hillary Clinton immer wieder vor, sie hätte weder das „präsidiale Aussehen“ noch das Stehvermögen, um Oberkommandierender zu sein. Sie würde nur die „Frauenkarte“ spielen.

In der amerikanischen Populärkultur werden Frauen gefeiert, die es verstehen, Macht und Erfolg auf sich zu vereinen. Ein gutes Beispiel dafür: die Facebook-Chefin Sheryl K. Sandberg, der halb Amerika an den Lippen klebt, wenn sie sich dazu äußert, wie sie die Anforderungen eines anstrengenden Spitzenjobs mit denjenigen ihres Familienlebens austariert. Doch trotz vieler Fortschritten in Richtung Gleichheit zwischen den Geschlechtern in der vergangenen Jahrzehnten, kämpfen auch die Frauen in den USA immer noch um gleiche Bezahlung oder gleichberechtigten Zugang zu Spitzenjobs in der Geschäftswelt.

Und gerade die Politik bleibt eine Männer-Domäne. Nach einem Anstieg bei der Zahl weiblicher Kongressabgeordneter in den frühen 90er Jahren, waren die Zahlen zuletzt wieder rückläufig oder stagnierten: Derzeit sind 20 Prozent aller Abgeordneten und Senatoren Frauen, deutlich unter den von der UN-Frauenkonferenz empfohlenen Richtmarke von 30 Prozent.

Machokultur im Washingtoner Politikbetrieb

Anstecker und T-Shirts, die Hillary Clinton auf obszöne oder sexistische Weise verhöhnen, fehlen auf keiner Trumpschen Wahlveranstaltung. Und Frauen, die sich im Washingtoner Politikbetrieb erfolgreich durchzusetzen vermochten, beklagen die Macho-Kultur, die Frauen am Weiterkommen hindere. So erinnerte sich vor Jahren die erste US-Außenministerin Madeleine Albright, dass sie bei männlichen Kollegen zuhause oft auf mehr Widerstand stieß als bei arabischen Staatsoberhäuptern.

Ähnliche Einstellungen seien bis heute anzutreffen, berichten Frauen mit Washington-Erfahrung. Die Stuttgarterin Christine Heinke hat dies als Mitarbeiterin im Büro von Senatorin Hillary Clinton vor einigen Jahren aus der Nähe erlebt. „Frauen stehen immer unter dem Druck, Durchsetzungsfähigkeit und Stärke zu beweisen“, sagt die Historikerin, die heute im Strategieteam des Rektorats der Universität Stuttgart arbeitet. Doch weshalb führen Trump und andere Rechtsausleger den Geschlechterkampf mit derart schriller Frauenfeindlichkeit? Das gemäßigte und das liberale Amerika reagieren darauf doch nur zutiefst zutiefst verstört. „Er glaubt das, was er sagt und benutzt es, um seine Kernwählerschaft zu mobilisieren“, sagt die US-Historikerin Susan Matt. In ihren Augen basiert Trumps emotionaler Wahlkampfstil, sein verschlüsselter und offener Sexismus, auf einem überholten männlichen Ehrenkodex aus den US-Südstaaten des 19. Jahrhunderts. Demnach hat ein Mann hart und aggressiv zu sein. Ohne ihn an ihrer Seite kommt eine schwache Frau nicht aus. Diesem Mythos trauerten viele von Trumps Anhängern aus der Arbeiterklasse bis heute hinterher, meint Matt. Aber Trump ist nicht an allem schuld. Clinton leidet in Umfragen bei US-Wählern unter hohen Negativwerten. Auch Frauen sehen sie kritisch – als undurchsichtige Persönlichkeit, deren langes politisches Leben geprägt ist von vielen Skandalen und der ultimativen Macht-Ehe mit Bill Clinton. Jüngere Amerikanerinnen stellen daher ihre Glaubwürdigkeit infrage. Sie wollen sie nicht allein deshalb unterstützen, weil sie eine Frau ist.

Hillary Clinton weiß um ihre Probleme: „Ich verstehe, dass einige Leute einfach nicht wissen, was sie von mir halten sollen“, räumte sie auf dem Parteitag der Demokraten im Sommer ein. Doch immerhin stand sie dort zu ihrer möglichen historischen Leistung: Bei ihrem allerersten Auftritt in Philadelphia war sie auf einer riesigen Videoleinwand zu sehen, umgeben von Splittern einer zerborstenen gläsernen Decke.