Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul (links), mit Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (rechts) lauschen der Museumsdirektorin Inés de Castro beim Besuch im Lindenmuseum. Foto: Linden-Museum, D. Drasdow

Im Rassenwahn wurden einst Schädel und andere menschliche Überreste aus den Kolonien ins deutsche Kaiserreich geschafft. Heute arbeiten Bund und Länder intensiv an der Rückgabe, die sich allerdings schwierig gestaltet.

Es ist ein Stück verdrängter Geschichte – Kolonialgeschichte – die sich nach mehr als 100 Jahren bohrend zurückmeldet, weil Geschichte sich nicht dauerhaft verdrängen lässt, egal, wie viele Schichten darüber liegen. Gemeint ist der Umgang mit „Human Remains“, menschlichen Überresten von Indigenen, die zwischen 1884 und 1919 aus den damaligen Kolonien nach Deutschland gebracht wurden. Pseudowissenschaftliche Rassentheorien lagen diesem Frevel zugrunde.

Erst müssen Wissenslücken geschlossen werden

Etliche Tausend solcher menschlichen Überreste, vorwiegend aus Afrika, werden seitdem in deutschen Universitäten, Museen und zum Teil auch in Privatsammlungen aufbewahrt. Baden-Württemberg hat 2019 eine umfassende Umfrage bei den Hochschulen und Museen des Landes durchgeführt. Auf der Basis dieser Umfrage geht das Wissenschaftsministerium davon aus, „dass in wissenschaftlichen und musealen Sammlungen Baden-Württembergs mindestens 2000 Einheiten ,menschlicher Überreste‘ aufbewahrt werden, die aus ehemals kolonisierten Ländern stammen.

Die Schädel und Gebeine wurden während der Kolonialzeit aus Gräbern geraubt oder stammen von Hingerichteten. Gemeinsames Ziel von Bund und Ländern sei es, diese menschlichen Überreste in würdiger Form zurückzuführen, sagte Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt jetzt bei einem Besuch im Stuttgarter Linden-Museum, an dem auch die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Petra Olschowski und der kulturpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Erhard Grundl, teilnahmen.

Allerdings stellen sich praktische Probleme. Viele der Überreste lassen sich offenbar nicht mehr eindeutig zuordnen. Dazu kommen große Wissenslücken. „Wir haben diesen Teil der Geschichte so verdrängt, dass das Wissen darüber teils gar nicht mehr vorhanden ist“, sagte Olschowski. Außerdem gibt es in den betroffenen Ländern wie Kamerun, Tansania, Kenia oder Ruanda offenbar noch keine eingespielten Rückgabeverfahren – anders zum Beispiel als im Fall von Hawaii. Anfang April hatte das Naturkundemuseum in Stuttgart in einer feierlichen Zeremonie die Überreste von 19 Indigenen übergeben. „In Afrika stehen wir da am Anfang“, sagte Keul. „Ich versuche, proaktiv auf die Länder zuzugehen, um mögliche Rückgaben zu unterstützen.“ Das Negativbeispiel ist Namibia, wo das Prozedere um die Restitution von Kulturgütern festgefahren ist.

Stimmen aus Afrika: „Warum hat euch das so lange nicht interessiert?“

Keul und Olschowski sind sich einig über das Vorgehen, das zügig aber mit gebotener Gründlichkeit erfolgen soll. Jedes Land müsse eigens betrachtet und beachtet werden, betonen sie. Es gelte, besondere Rücksicht auf die betroffenen Gruppen und Communitys und die jeweiligen Rituale und Totenkulte zu nehmen. Inés de Castro, Direktorin des Linden-Museums, formulierte es so: „Die Handlungshoheit liegt bei den betroffenen Communitys. Sie sollen frühzeitig in die Prozesse einbezogen werden.“ Keul unterstreicht dies. Sie sieht in manchen afrikanischen Ländern „eine große Affinität zu Deutschland“. Sie betont allerdings auch: „Wir hören auch die schwierige Frage, warum uns das so lange nicht interessiert hat, der wir uns stellen müssen.“

Die Frage richtet sich nicht nicht nur an Museen und Universitäten. „Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, meint die Staatsministerin. Dazu zählt Keul auch ein würdiges Gedenken: „Die menschlichen Überreste, die nach sorgfältiger Provenienzforschung nicht einer Herkunftsgesellschaft zugeordnet werden können, müssen würdig im Rahmen eines Gedenkortes bestattet werden.“ Hier stellt sich die Frage eines zentralen Gedenkortes in Deutschland. Für Keul ist es jedenfalls „ethisch nicht vertretbar, dass sie, wie bisher, irgendwo in Kisten lagern“.

Lindenmuseum

Bestände
Das 1889 gegründete staatliche Museum für Völkerkunde mit seinen rund 160 000 Kunst-, Ritual- und Alltagsobjekten aus aller Welt beherbergt nach den Worten von Museumsdirektorin Inés de Castro nur wenige sogenannte unbearbeitete menschliche Überreste aus kolonialer Vergangenheit. Kulturgüter, in die menschliche Überreste wie Haare oder Zähne eingefügt sind, die ebenfalls zur Kategorie der „Human Remains“ gezählt werden, gebe es jedoch im Lindenmuseum etliche. red