Auch neue Wohnhochhäuser, wie hier im Stuttgarter Norden, werden aktuell wieder diskutiert. Foto: dpa

Trotz der Vielzahl an Berechtigten schmilzt der Bestand an Sozialwohnungen in Stuttgart Jahr für Jahr weiter zusammen. Die Liste der Haushalte, die auf dringend auf eine der begehrten Wohnungen warten, wird während dessen immer länger.

Stuttgart - Das Anrecht auf eine bezuschusste Wohnung bemisst sich am Einkommen – im reichen Stuttgart verdienen mehr als 100 000 Mieterhaushalte so wenig, dass sie als Kandidat für eine solche Wohnung in Frage kommen. Nun will das Land diese Einkommensgrenzen sogar weiter erhöhen. Die Stadt hingegen will den Kreis der Berechtigten am liebsten möglichst klein halten. Fakt ist: der Bestand an Sozialwohnungen wird stetig kleiner und 2016 wurden lediglich 736 an neue Mieter vergeben.

Jeder zweite Stuttgarter Mieter könnte ein Sozialwohnung kriegen - Sie auch? Machen Sie den Test.

Zum Test

„Rund 50 Prozent der Stuttgarter Mieterhaushalte erfüllen die Einkommensgrenzen für einen Wohnberechtigungsschein“, berichtet der Sprecher der Stadt, Sven Matis. Etwa zwei Drittel der Stuttgarter, und damit mehr als 200 000 Haushalte, sind Mieterhaushalte. Das bedeutet, dass mehr als 100 000 Stuttgarter Haushalte im gesetzlichen Sinn förderwürdig sind. Zur Erklärung: die Einkommensgrenzen werden im Rahmen des Wohnbauprogramms des Landes vorgegeben und orientieren sich an der durchschnittlichen Einkommensentwicklung eines Arbeitnehmerhaushalts, derzeit abzüglich 25 Prozent. Sie liegen im Moment zwischen 40 500 und 67 000 Euro Bruttoeinkommen pro Jahr für eine Sozialwohnung – je nach Größe des Haushalts.

Von 22 000 auf 14 814 Sozialwohnungen

Doch der stetig wachsenden Gruppe der Förderbedürftigen steht ein ebenso stetig abschmelzendes Angebot an subventionierten Wohnungen gegenüber. Den größten Teil der öffentlich bezuschussten Wohneinheiten machen klassische Sozialwohnungen aus. Davon gibt es in Stuttgart noch 14 814 Einheiten. Zum Vergleich: in den 1990er Jahren lag der Bestand an Sozialwohnungen noch bei knapp 22 000. Im Gegenzug steigt die Zahl der Haushalte, die in der städtischen Vormerkdatei, also der Warteliste für dringende Fälle, gelistet sind, kontinuierlich an. Aktuell rechnet die Stadt mit rund 4000 Einträgen – 2015 waren 3679 Haushalte vorgemerkt.

Die Stadt kennt das Problem. „Ich halte wenig davon, die Einkommensgrenzen anzuheben“, erklärt Stuttgarts Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) auf Anfrage. Und: „Es ergibt wenig Sinn, den Kreis der Berechtigten weiter zu vergrößern, wenn man im Gegenzug nur wenige bedienen kann.“ Damit spielt der Bürgermeister auf die aktuellen Pläne seiner Parteikollegin, Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, an. Denn die Einkommensgrenzen festzulegen, ist Sache des Landes. Und genau diese Summen will das Land nun deutlich anheben. Man dürfe die Augen nicht mehr davor verschließen, dass es in den Ballungszentren auch für Haushalte mit mehr als nur einem geringen Einkommen immer schwieriger werde, Zugang zum Wohnungsmarkt zu finden, so die Ministerin. Derzeit liegt etwa das Gehaltslimit für eine Familie mit zwei Kindern bei 58 500 Euro pro Jahr. Nach dem Willen der Landesregierung soll diese Grenze künftig bei 65 000 Euro liegen. Wie sich diese Anpassung auf Stuttgart auswirkt, kann die Verwaltung derzeit noch nicht beziffern. Grundsätzlich soll der Abschlag vom Bruttoeinkommen künftig 15 statt bislang 25 Prozent betragen.

Doch wie viele Menschen kommen angesichts Hunderttausender potenziell Berechtigter jedes Jahr in den Genuss, eine Sozialwohnung neu beziehen zu können? Im Jahr 2016 wurden in ganz Stuttgart 736 Sozialwohnungen neu vermietet. Im Jahr davor wurden 66 neue Sozialwohnungen fertiggestellt. Experten gehen jedoch davon aus, dass in Stuttgart rund 450 Wohneinheiten jährlich aus der sozialen Bindung fallen – dort kann die Miete dann frei verhandelt werden und steigt in der Regel.

Wohnberechtigungsschein ist nur ein erster Schritt

Auf Anfrage heißt es aus dem Wirtschaftsministerium: „Der Anteil der Haushalte, die die Einkommensgrenze einhalten, dürfte im Land nicht überall gleich hoch sein.“ Darüber hinaus bedeute die Einhaltung einer Einkommensgrenze keinesfalls ein direktes Anrecht auf den Bezug einer Sozialwohnung. Wenn die Grenze eingehalten werde, sei durch die Gemeinde auf Antrag ein Wohnberechtigungsschein zu erteilen, der dem Inhaber lediglich die Möglichkeit eröffnet, Mieter einer solchen Wohnung zu werden, so eine Sprecherin des Ministeriums.

Um vom Berechtigungsschein zum Einzug zu gelangen, müssen weitere Kriterien erfüllt werden. So werden die Haushalte der Vormerkdatei (der städtischen Warteliste für eine Sozialwohnung) mit Punkten bewertet. Damit soll die Dringlichkeit erfasst werden. Im ersten Jahr bekommt ein Kandidat alle drei Monate einen Punkt , Deutschkenntnisse werden mit fünf Punkte honoriert. Wer in gesundheitsgefährdenden Verhältnissen lebt, beispielsweise starker Schimmelbefall vorliegt, erhält 30 Punkte. Wenn die Umstände gar lebensbedrohend sind, das Haus etwa einsturzgefährdet ist, werden 40 Punkte angerechnet. Nach Angaben der Stadt besteht ab 60 Punkten die Chance auf den Bezug einer Sozialwohnung.

Stuttgart steht mit diesem Problem im Übrigen nicht allein dar. Die Experten des Empirica-Instituts gehen davon aus, dass der Anteil der förderwürdigen Haushalte in fast allen deutschen Großstädten ähnlich hoch sein dürfte.