Mit handlichen Geräten lässt sich der Feinstaubgehalt der Atemluft messen. Foto: Dekra

Der Straßenverkehr produziert Feinstaub aus Abgasen und Abrieb von Reifen und Bremsen. Doch deutlich über die Hälfte der Belastung hat andere Quellen. Einige davon sind bisher nicht allzu bekannt.

Stuttgart - Die Feinstaubbelastung in Stuttgarter U- und S-Bahnhöfen ist deutlich höher als an der Neckartor-Kreuzung. Die haben Messungen des Prüfkonzerns Dekra ergeben.

Der Grenzwert

Die Bedingungen sind anspruchsvoll, auch für die Messgeräte. Denn die Zahl 50, das Maß aller Dinge für die Belastung der Luft mit Feinstaub, bedeutet: In einem Liter Luft dürfen sich im Tagesdurchschnitt höchstens 50 Milliardstel Gramm Feinstaub befinden. Anders ausgedrückt: Würde man über der gesamten Rasenfläche der Mercedes-Benz-Arena die Luft vom Boden bis zur Höhe eines dreistöckigen Gebäudes sammeln, dürfte sich darin nicht mehr Feinstaubmasse befinden als die drei Gramm, die ein Walnusskern wiegt. Diese Konzentration müsste die Luft an mindestens 330 Tagen im Jahr einhalten, und zwar an jeder einzelnen Stelle, an der sie gemessen wird.

Weil Feinstaub unsichtbar ist, weiß niemand, wo er anzutreffen ist. Deshalb spürten zwei Mitarbeiter des Stuttgarter Prüfunternehmens Dekra diesem Stoff vor wenigen Tagen in Stuttgart nach. Auf einer mehrstündigen Tour ermittelten sie mit zwei Testgeräten, wie viel Feinstaub an unterschiedlichen Stellen in der Luft schwebt.

Die U-Bahn
Gleich zu Beginn, auf der U-Bahn-Fahrt von Stuttgart-Vaihingen zum Charlottenplatz, sind die Messgeräte gefordert – die Konzentration liegt dort die meiste Zeit um die 25 Mikrogramm, also bei der Hälfte des Grenzwerts. Doch bereits kurz nach dem Aussteigen wartet die erste Überraschung: In der unteren Etage des Bahnhofs Charlottenplatz, wo sich ein Teil der Gleise befindet, schnellt der Messwert auf 100 Mikrogramm pro Kubikmeter hinauf – das ist das Doppelte des Tagesgrenzwerts. Solche Ausschläge sind zunächst mit Vorsicht zu genießen, sagt Clemens Klinke, Technischer Direktor und Chef der Autosparte von Dekra. Denn sie zeigten zunächst nur eines: wie empfindlich die Messgeräte sind, die derart geringe Konzentrationen aufspüren – und wie stark selbst kleinste Veränderungen in der unmittelbaren Umgebung die Werte beeinflussen. Das zeigt sich auch auf den weiteren U-Bahn-Fahrten, bei denen es ebenfalls kurzzeitig mit den Messwerten nach oben geht. „Um einen solchen kurzzeitigen Anstieg auszulösen, kann es schon reichen, wenn in der Bahn jemand vorbeiläuft und die Luft verwirbelt“, sagt Klinke.
Die Bahnhöfe

Doch zwei Stationen weiter gehen die Messwerte in den Bahnhöfen erneut steil nach oben. Dort befindet sich das Neckartor, das Stuttgart wegen seiner hohen Schadstoff-Messwerte bundesweite Bekanntheit verschafft hat. Auf der U-Bahn-Fahrt dorthin liegt der Feinstaubgehalt erneut die meiste Zeit um die 25 Mikrogramm, doch beim Aussteigen in dem unterirdischen Bahnhof schießen sie erneut nach oben - dieses Mal sogar auf 120 Mikrogramm. Allerdings nur in der Station. Kaum erreichen sie die vielbefahrene Durchgangsstraße an Deutschlands angeblich dreckigster Kreuzung, geht es wieder steil bergab mit der Feinstaubkonzentration – auf 25 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Wissenschaftlich ermitteln ließe sich die Ursache dieser hohen Feinstaubkonzentration in den unterirdischen U-Bahnhöfen nur durch eine Analyse der Partikel, die dort eingesammelt wurden. Aber es liegt nahe, dass zu den Ursachen auch der Abrieb aus dem Bahnbetrieb zählt, etwa von Rädern und Gleisen. Dazu passt auch der hohe Messwert von 100 Mikrogramm in der S-Bahn-Station Stadtmitte. Diese Reihe von hohen Werten ist nun doch mehr als Zufall, meint Klinke: „In unterirdischen U-Bahnhöhen ist die Belastung deutlich höher als an den Straßen – selbst wenn diese viel befahren sind“, sagt er. Und auch in der großen Bahnhofshalle des Hauptbahnhofs – ein gutes Stück entfernt von Auto- und Bahnverkehr – liegt der Messwert bei 75. „Vielleicht sollte man den Diesel auch in der Bahnhofshalle verbieten“, fügt Klinke augenzwinkernd hinzu.

Die Neckartor-Kreuzung

Wie stark die Feinstaubbelastung von der allernächsten Umgebung abhängt, zeigt sich am Neckartor ein weiteres Mal – aber auf eine ganz andere Weise als zu vermuten wäre. Direkt an der vielbefahrenen Kreuzung, die als Wurzel allen Übels bei der Feinstaubbelastung in Stuttgart gilt, steht derzeit eine Dekra-Messstation. Sie ist damit deutlich näher an dieser neuralgischen Stelle angebracht als die der Landesanstalt für Umwelt BW (LUBW), die den Vorgaben der EU entspricht und ihren Feinstaub in einer Entfernung von 40 Metern einsammelt. Doch die Ergebnisse widersprechen allen Erwartungen: Die Messwerte direkt an der Kreuzung schießen nicht etwa in die Höhe, sondern sind um rund 20 Prozent niedriger als die an der 40 Meter entfernten LUBW-Station. Wie ist das zu erklären?

Die LUBW-Station steht zwar nicht direkt an der Kreuzung, dafür aber vor einer großen Hausfront und hier wiederum in der Nähe eines Vorsprungs. Das könnte die Messwerte entscheidend beeinflussen, meint Klinke: „Offensichtlich hat der Luftstau an der Gebäudefassade einen stärkeren Einfluss auf die Messwerte als die Staus auf der Kreuzung.“

Der Raucher

Eine weitere Überraschung gibt es in der Stuttgarter Königstraße, als der Wert plötzlich von 20 auf 150 Mikrogramm hochschnellt. Die Ursache ist ein Raucher, der an den beiden Mitarbeitern vorbeiläuft und die Feinstaubkonzentration kurzzeitig weit über das hinaus steigert, was selbst in den U-Bahn-Stationen gemessen wurde.

Wie hoch muss die Konzentration dann erst in einem geschlossenen Raum sein, in dem sich Raucher aufhalten? Auch dieser Frage gehen die Tester nach. In einem geräumigen Raucher-Aufenthaltsraum in der Dekra-Zentrale in Stuttgart-Vaihingen springt die Konzentration auf 260 Mikrogramm.

Der Staubsauger

Selbst beim Staubsaugen in einem - nicht für Raucher vorgesehenen - Konferenzraum schnellen die Messwerte in die Höhe. In dem zunächst praktisch feinstaubfreien Raum steigt der Feinstaubgehalt nach einer Viertelstunde Saugen auf 75 Mikrogramm. Erst eine halbe Stunde nach Ende des Saugens sinkt er allmählich auf 50 Mikrogramm ab.

Der Luft in einem Raucherraum kann man entgehen, nicht aber der im Freien. Zurück also zum Neckartor, in dessen Nähe rund 500 Menschen leben. Zwar hält sich kaum jemand von ihnen jemals in der Nähe der Messstation auf, sehr wohl aber in den Wohngebieten im Hintergrund. Deshalb tragen die Tester das Gerät auch durch eine Seitenstraße vor den Eingang des Studentenwohnheims – wo sie zwischen zwei vielbefahrenen Verkehrsadern prompt nur noch 25 Mikrogramm messen.

Beim Feinstaub könnten dieses Jahr am Neckartor die zulässigen Überschreitungstage sogar eingehalten werden – anders als beim Stickoxid, bei dem der Jahresgrenzwert noch deutlich überschritten ist. Hier besteht eine bessere Verdünnung, so dass es sich nicht ganz so stark an der Messstelle sammelt wie der Feinstaub, sagt Klinke. Der grundsätzliche Effekt sei aber auch beim Stickoxid nicht auszuschließen.

Die Kerzen
Auch beim Stickoxid zeigt sich allerdings, dass manch eine Quelle, über die kaum jemand nachdenkt, weit höhere Belastungen erzeugen kann als der Diesel, für den derzeit ein Fahrverbot wegen der Stickoxide im Raum steht. Der Anteil aller Dieselfahrzeuge zusammen steht heute am Neckartor für eine Stickoxidkonzentration von rund 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Das entspreche einem Adventskranz mit vier Kerzen, der einige Minuten in einer kleinen Wohnung brennt und dessen Rauch sich danach gleichmäßig verteile, sagte Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), vor einigen Tagen bei einer Veranstaltung des Verkehrsministeriums. Wäre die seit zwei Jahren zu kaufende neue Dieseltechnologie komplett verfügbar, entspräche der Beitrag des Diesels sogar nur noch einer einzigen Kerze, die wenige Sekunden in einer kleinen Wohnung brennt.
Das Fahrrad
Beim Feinstaub könne sich ein moderner Dieselmotor sogar längst mit einem Verkehrsmittel messen, das Koch für besonders umweltfreundlich hält: mit dem Fahrrad. Dieses produziere wegen des Bremsenabriebs im Durchschnitt zwei bis vier Milligramm Feinstaub pro Kilometer – rund zehnmal so viel wie heute noch aus dem Auspuff eines Diesels kommt.