Hürdenläufer Matthias Bühler: Harsche Kritik an der deutschen Spitzensport-Förderung Foto: dpa

Spitzensportler nehmen viele Nachteile in Kauf, um internationale Erfolge feiern zu können – und fühlen sich bisweilen von der deutschen Sportförderung im Stich gelassen.

Stuttgart - Sporthilfe-Chef Michael Ilgner über die Finanzierung des Spitzensports, die Risiken der Athleten und die Bedrohung durch Doping. „Man kann die Risiken abfedern“, sagt Ilgner, „aber wahrscheinlich nie ganz beseitigen.“

Herr Ilgner, wie viel Sportler unterstützt die Stiftung Deutsche Sporthilfe?
Es sind derzeit über 4000 Sportler, die wir je nach Leistungsfähigkeit fördern.
Wie hoch ist das Fördervolumen?
Wir werden im Jahr 2016 mit einem Rekordhaushalt von rund 15,2 Millionen Euro abschließen.
Die Sporthilfe-Förderung ist für den Athleten der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
(runzelt die Stirn) Nein, in den vergangenen Jahren ist es mehr geworden als das. Wir haben inzwischen das Sport-Stipendium der Deutschen Bank mit einem monatlichen Volumen von 400 Euro, dazu kommt die Basis-Förderung für einen Topathleten von 300 Euro. Aber wir sind natürlich noch lange nicht am Ziel. . .
. . . das auf welcher Höhe liegt?
Wir haben uns als strategisches Ziel gesetzt, monatlich 1000 Euro pro Athlet und Toptalent zu ermöglichen. Es ist aber nicht unsere Absicht, dass die Sportler reich werden oder einzelne, besonders erfolgreiche Athleten übermäßig profitieren. Wir wollen es Talenten ermöglichen, sich dem Leistungssport zu widmen, ohne dass sie gravierende Nachteile für die spätere berufliche und soziale Entwicklung in Kauf nehmen müssen.

Nur 626 Euro netto

Wie viel Geld bekommt ein von der Sporthilfe geförderter Athlet durchschnittlich?
Wir sind inzwischen bei rund 500 Euro monatlich angelangt. Wobei es natürlich große Bandbreiten gibt. Einzelne Athleten beziehen alles in allem bis zu 1800 Euro brutto. Laut einer Sporthilfe-Studie aus dem Jahr 2013 hat ein Topsportler ein durchschnittliches Netto-Einkommen von 626 Euro zur Verfügung. Das dürfte sich bis heute nicht wesentlich verändert haben.
Da bleibt Schmalhans der Küchenmeister.
Als ich noch Wasserball gespielt habe, hatte ich mit Unterstützung meiner Eltern, Vereinszuschuss und Sporthilfe vielleicht 500 Euro. Wir sind schon einen großen Schritt weitergekommen. Klar ist aber auch: Es ist noch immer zu wenig - gemessen an dem, was unsere Gesellschaft an Ansprüchen an die Leistungsfähigkeit unserer Topsportler formuliert.
Leichtathlet Matthias Bühler kritisierte während der WM, dass die öffentliche Unterstützung nicht mal reiche, um die Miete zu bezahlen. Ärgert Sie das?
Nein, überhaupt nicht. Es ist richtig, dass Athleten ihre Situation beschreiben und Ansprüche formulieren. Die Wortwahl ist freilich jedem selbst überlassen und unterschiedlich.
Deutsche Spitzensportler blicken neidvoll auf die Spitzensportförderung in England.
Ja, mancher Frust liegt darin begründet, dass es andere Nationen gibt, die offensichtlich mehr Geld zur Verfügung haben. Aber der Preis in England ist beispielsweise der, dass dort peinlich genau darauf geachtet wird, wie profitabel die Investitionen sind.
Die Rendite bemisst sich in Medaillen.
Natürlich. Es wird geschaut, für wie viel Geld bekomme ich wie viel Medaillen in welchen Sportarten.
Ist das das unter gesellschaftspolitischen Aspekten erstrebenswert?
Man sollte ausgesprochen sensibel und differenziert mit solchen Strategien umgehen. Gerade in der deutschen Sportgeschichte gibt es diesbezüglich auch negative Erfahrungen. Es besteht haben jedoch für den Sport zweifelsohne die Verpflichtung, mit den öffentlichen Geldern auf der einen Seite effizient umzugehen, aber gerade auch die Vielfalt des Sports zu fördern.

Immer auf Kante genäht

Das Leben im Leistungssport hat seine Reize, dafür nehmen Athleten finanziell prekäre Verhältnisse oft in Kauf.
Deutschland ist finanziell sicher kein Paradies für Leistungssportler, trotzdem bietet es im Vergleich zu anderen Gesellschaftssystemen viel – beispielsweise die grundsätzliche Möglichkeit – sich während der Karriere beruflich fit zu machen für die Zeit danach. Die Zeit im Leistungssport ist ja immer auf Kante genäht. Von sechs bis acht Juniorenweltmeistern kommen vielleicht zwei ganz oben an. Die anderen leben zehn Jahre lang von monatlich 600 Euro, strecken ihr Studium auf 18 Semester, schließen es mit einer zwei bis drei statt einer eins ab und haben dann vielleicht erst mal Schwierigkeiten beruflich Tritt zu fassen. Dieses Risiko muss man abfedern, man wird es aber wahrscheinlich nicht ganz beseitigen können.
Angeblich stehen Leistungssportler weit oben auf den Wunschlisten der Personalabteilungen
Viele von ihnen machen trotz aller Probleme Karriere, weil sie es aus dem Sport gewohnt sind zu fokussieren, in Vorleistung zu treten, im Team zu arbeiten und Verantwortung zu übernehmen. Aber es gibt auch diejenigen, die diesen Schritt nicht schaffen.
Das ist im Rest der Gesellschaft nicht anders.
Deshalb muss man überlegen: Kann ich es verantworten, unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen Leistungssport zu betreiben? Gleichzeitig ist ein wenig Demut gefordert. Denn es ist ja nicht selbstverständlich, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den Leistungssport in seiner Vielfalt mittragen.
Ein Drittel der deutschen Topsportler flüchtet sich aus Gründen der sozialen Absicherung unter das Dach von Bundeswehr und Bundespolizei. Sind Staatssportler noch zeitgemäß?
Der Staatssportler war in der Bundesrepublik noch nie zeitgemäß, das ist auch nicht der Anspruch der Bundeswehr. Grundsätzlich ist es gut, dass es Arbeitgeber gibt, die Athleten die Möglichkeit geben, Leistungssport mit einer beruflichen Entwicklung zu verbinden. So sind auch Maßnahmen von Bundeswehr und Bundespolizei zu sehen. Es darf aber nicht sein, dass ein Athlet darauf angewiesen ist, seine gesamte spätere berufliche Karriere dieser Option unterzuordnen, weil es ansonsten keine sinnvollen Alternativen für ihn gibt. Da brauchen wir flexiblere Modelle.
Sind berufliche Bildung oder Studium überhaupt noch vereinbar mit den Anforderungen des Hochleistungssports?
Das kommt ganz darauf an. Es gibt sicherlich Phasen, in denen beides nebeneinander möglich ist. Aber spätestens in der Saison vor einer wichtigen Weltmeisterschaft oder Olympischen Spielen trainiert ein Sportler zwei bis dreimal täglich. Da bleibt für Beruf oder Studium wenig Zeit. Man muss dann eben abschnittsweise Ausbildung und Sport hintereinander schalten.

20 000 Euro für Gold in Pyeongchang

Bleibt die Sporthilfe auch bei den anstehenden Winterspielen beim Prämiensystem für Medaillen?
Ja, wir zahlen die gleichen Summen wie bei den Sommerspielen 2016 in Rio. 20 000 Euro für eine Goldmedaille, 15 000 für Silber, 10 000 für Bronze – und weiter abgestuft bis Platz acht.
Die Praxis ist in Zeiten ständiger Doping-Skandale umstritten.