Matthias Bühler nennt die staatliche Förderung ein „Armutszeugnis“ Foto: dpa

Matthias Bühler kann als Spitzensportler nicht mal selbst die Miete zahlen – ein Unding, wie der Hürdensprinter findet. Nun prangert der Hürdensprinter die fehlende finanzielle Förderung in Deutschland offen an.

London - Am Tag danach sitzt Matthias Bühler in einer ruhigen Ecke des trubeligen Mannschaftshotels neben der Londoner Tower Bridge und sieht müde aus. Auch weiterhin vibriert das Mobiltelefon in seiner kurzen Trainingshose, so geht das schon seit dem späten Vorabend. Ständig erreichen ihn neue Nachrichten auf allen Kanälen, von seinen Freunden, anderen Sportlern, unbekannten Fernsehzuschauern. In sehr vielen steht sinngemäß: „Toll, dass endlich mal einer richtig auf den Tisch gehauen hat. Wurde höchste Zeit.“

Matthias Bühler ist bei der Leichtathletik-WM am Sonntagabend über 110 Meter Hürden gelaufen. Er war etwas enttäuscht, weil er Letzter seines Halbfinals wurde, aber trotzdem stolz darauf, unter den besten 16 der Welt gestanden zu haben. Für weitaus mehr Aufsehen allerdings sorgte sein anschließender Auftritt vor der Kamera des ZDF, wo er öffentlichkeitswirksam die Sportpolitik in Deutschland zerpflückte: „Es kann nicht sein, dass wir Athleten so wenig Förderung bekommen. Bei der EM nächstes Jahr in Berlin werden 80 000 Zuschauer deutsche Starter anfeuern, die nicht einmal Miete bezahlen können.“

In seinem Falle ist das wörtlich zu verstehen. Wenn Bühler, bald 31 Jahre alt, an diesem Dienstag aus London in seinen Heimatort Haslach im Kinzigtal zurückkehrt, dann wird er wieder das Kinderzimmer im Haus seiner Eltern beziehen.

„Man muss Dienste schieben und im Schlamm robben“

Der Schwarzwälder ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie schwer es in Deutschland ist, als Leistungssportler über die Runden zu kommen, zumindest dann, wenn man nicht zufällig Fußballprofi ist.

Bühler ist siebenmaliger Deutscher Meister und hat sein Land bei je zwei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften vertreten. Trotzdem hätte er ohne Unterstützung seiner Eltern längst aufhören müssen. „Das ist für ein Land wie Deutschland ein absolutes Armutszeugnis.“

Um besser zu werden, ist Bühler vor vier Jahren in die USA gegangen. Amerika ist das gelobte Land der Sprinter. Dort gibt es die besten Trainer, die stärksten Trainingsgruppen, die modernsten Methoden. Dem Leichtathletik-Zentrum in Phoenix schloss er sich an, sein Coach ist der Deutsch-Amerikaner Andreas Behm, der auch Arries Marritt, den Hürden-Olympiasieger von 2012 trainiert; zu seiner Gruppe gehört der kanadische Weltklasse-100-Meter-Läufer Andre de Grasse. „Man muss auf diesem Niveau trainieren, wenn man als Sprinter weiterkommen will“, sagt Bühler.

Allerdings: es ist ein teures Vergnügen. Auf 30 000 Euro belaufen sich seine Ausgaben pro Jahr. Ihnen stehen Einnahmen von maximal 20 000 gegenüber, aber nur wenn es optimal läuft und es ein WM- oder Olympiajahr ist. Das Defizit gleichen seine Eltern aus. Geld bekommt er von seinem Verein Eintracht Frankfurt, sein Ausrüster steuert etwas dazu, ein paar hundert Euro sind durch Antrittsgelder oder Prämien bei Meetings zu verdienen. Von der Deutschen Sporthilfe gibt es monatlich 300 Euro. Medaillengewinner bekommen mehr – „aber wie will man als deutscher Sprinter jemals auf dem Treppchen stehen?“

Bis 2011 war Bühler in der Sportfördergruppe der Bundeswehr, neben der Bundespolizei ein zentrales Instrument der Sportförderung in Deutschland. Es sei toll, dass es so etwas gibt, sagt er. Andererseits: „Man muss Dienste schieben und im Schlamm robben. Das bedeutet sportliche Einschränkungen und Trainingsrückstand und verhindert damit eine optimale Vorbereitung auf Meisterschaften.“

Neidisch schaut er in die USA ode rnach Frankreich oder Großbritannien

Mit neidischem Blick schaut Bühler nicht nur in die USA, wo es an den Universitäten Stipendien gibt und Athleten allein mit ihren Ausrüsterverträgen genug Geld verdienen. Sondern auch nach Frankreich und Großbritannien. „Da ist die staatliche Förderung vorbildlich.“ In Frankreich bekomme jedes Mitglied des Nationalteams 2000 Euro, in England noch mehr. In Deutschland gebe es nichts – „trotzdem verlangen alle Medaillen und fragen ‚Was war denn los?’, wenn man keine gewinnt. Das passt überhaupt nicht zusammen. Die Leute müssen verstehen, dass wir von unserem Sport nicht leben können.“

Wie ihm, sagt er, geht es vielen deutschen Athleten, nicht nur in der Leichtathletik, sondern im gesamten olympischen Sport. Und viele Talente gingen dem Land früh verloren, weil sie sich fragten: „Warum sollte ich auf die Karte Leistungssport setzen, wenn ich mich damit nicht einmal über Wasser halten kann?“ Er verlange nicht, dass er durch den Sport reich werde, sagt Bühler, „aber die Basis zum Leben muss vorhanden sein. Das hat jeder Sportler verdient, der Deutschland auf der internationalen Bühne repräsentiert“.

Schon oft hat Matthias Bühler, gelernter IT-Systemkaufmann, darüber nachgedacht, seine Spikes für immer auszuziehen. „Mal ist der Frust kleiner, mal ist er größer.“ Noch größer allerdings ist noch immer seine Liebe zum Sport. „Er gibt mir, trotz allem, eine wahnsinnige Energie.“