Pflege, Krankenhäuser, Schule, Handwerk und und und – kaum eine Branche ist nicht vom Fachkräftemangel betroffen. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Der Fachkräftemangel zieht immer weitere Kreise und treibt mitunter seltsame Blüten. Um aus dem Negativtrend herauszukommen, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden.

Egal ob Handwerksbetrieb, Schule oder Kita, Krankenhaus oder Pflege – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen – kaum eine Branche klagt nicht über eines der drängendsten aktuellen Probleme: den Fachkräftemangel. Die Lage scheint immer bedrohlichere Ausmaße anzunehmen. Dabei sind die Gründe komplex, Lösungen alles andere als einfach.

Am vergangenen Wochenende war der FDP-Finanzstaatssekretär Florian Toncar bei Holzgerlinger Handwerkern zu Gast, es ging um das Heizungsgesetz und die Flüchtlingsfrage, insbesondere aber um den Fachkräftemangel. Toncar brachte die Information mit, dass mit rund 46 Millionen Erwerbstätigen bundesweit eine Rekordbeschäftigung vorliege, aber: „Die Arbeitszeit pro Kopf sinkt.“ Der Trend zu mehr Teilzeit sei ein Aspekt des Problems. Will man Eltern mehr in Arbeit bringen, muss aber wiederum die Kinderbetreuung stimmen – doch die leidet ebenso unter dem Fachkräftemangel, Erzieherinnen und Erzieher sind gefragt, die Kitas reduzieren derzeit landauf, landab die Öffnungszeiten – ein Teufelskreis.

Sind manche Jobs schlichtweg zu unattraktiv? Am Albert-Einstein-Gymnasium in Böblingen wird seit zwei Jahren ein Schulleiter gesucht – ohne Erfolg. Vielleicht ein unglücklicher Einzelfall, doch klar ist, dass auch auf die Schulen insgesamt enorme Personalprobleme zurollen. Das Land Baden-Württemberg rechnet mit 5000 fehlenden Lehrkräften bis 2035, weil viele Pädagogen in Ruhestand gehen, eine entsprechende Zahl an Lehramtsstudenten aber nicht zu erwarten ist. Eine große Hoffnung besteht darin, Quereinsteiger gewinnen zu können – doch die fehlen dann ja wiederum anderswo.

Auch Krankenhausbetrieb und Pflege gehen derzeit am Krückstock. Die ökonomische Druck ist immens, hier fehlt es ebenso an Personal. „Nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte generell“, sagte der langjährige Böblinger Altenheimleiter Wolfgang Schaal diese Woche im Interview, „selbst die Stelle der Küchenhilfe kann heute nicht mehr besetzt werden.“ Speziell bei Kliniken und Pflege treibt der Mangel inzwischen bemerkenswerte Blüten. In der Not holen sich die Einrichtungen zusätzliches Personal bei Arbeitszeitfirmen. Doch die Lückenfüller kommen die Einrichtungen extra teuer, zudem können sich die Leasingkräfte die Einsatzzeiten aussuchen – was zu Missgunst in den Häusern und Abwanderung der Stammkräfte in die Leihfirmen führt. Eine unheilvolle Dynamik.

Die Politik versucht gegenzusteuern. Erst an diesem Freitag hat der Bundestag zwei Gesetze zur Bekämpfung des Fachkräftemangels beschlossen. Zum einen wird die Einwanderung erleichtert: Wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Ausland anerkannten Berufsabschluss hat, kann nun als Fachkraft kommen. Das ist ein Fortschritt, denn die bürokratischen Hürden waren bislang viel zu hoch, als ausländische Fachkraft in Deutschland arbeiten zu dürfen. Zum anderen will die Regierung die Aus- und Weiterbildung massiv fördern, das einheimische Potenzial soll möglichst ausgeschöpft werden.

Reicht das? Nein, aber es hilft – hoffentlich. Grundsätzlich gilt: In den besonders gebeutelten Branchen müssen die Rahmenbedingungen für Interessenten stimmen. Gerade in der Pflege hat sich in den vergangenen Jahren diesbezüglich viel getan, die Bezahlung ist besser geworden, die Aufstiegsmöglichkeiten sind gut. Aber ist das ausreichend bekannt? Viele Branchen müssen ihr Eigenmarketing ausbauen, an Schulen werben, über Ausbildungsmessen mehr Präsenz zeigen. Nur wenn Politik, Arbeitgeber und Gesellschaft gemeinsam an mehreren Stellschrauben drehen, kann sich die Lage nachhaltig verbessern.