In Mali hat die Bundeswehr ihren größten Einsatz. Noch ist kein deutscher Soldat durch gegnerische Angriffe zu Schaden gekommen. Dies könnte sich bald ändern. Das Machtvakuum frisst sich aus dem Norden nach Zentralmali vor. Ein Besuch bei der Truppe in Gao und Koulikoro.
Bamako - Das ganze Land liegt unter einem rotbraunen Schleier. Der Staub der Sahara ist allgegenwärtig – angetrieben von einem heißen Wind dringt er in die Waffe ein, färbt die Schuhe, legt sich auf die Uniform und gelangt in die Lunge, wo er Atemwegserkrankungen auslöst. Jede Helikopterlandung abseits geteerter Plätze löst einen Sandsturm aus.
Die Widrigkeiten der Natur machen den deutschen Soldaten in Nordmali das Leben schwer, wie sie es selbst in Afghanistan nicht gewohnt waren. Es ist der größte Einsatz der Bundeswehr, bei dem bald bis zu 1000 Soldaten als Teil der UN-Mission Minusma das Friedensabkommen zwischen der Regierung und den Tuareg-Rebellen absichern und Terroristen bekämpfen.
Gao ist der Frontstandort der deutschen Blauhelme. Anfang 2013 haben französische und tschadische Elitetruppen die 90 000-Einwohnerstadt den Islamisten entrissen. Die gesichtslose Ansammlung flacher Lehmbauten ist sozusagen das malische Kundus. Der Vergleich mit Afghanistan drängt sich auf, obwohl es wichtige Unterschiede gibt: In Mali bietet Deutschland fast nur Spezialisten auf – die kämpfende Infanterie wird von kleineren Nationen gestellt.
Der Verteidigungsstaatssekretär besucht die Truppe im Einsatz
Wird unsere Freiheit jetzt auch in der Sahara verteidigt? „Deutschland muss sich stärker bei den Friedenssicherungsmissionen der Vereinten Nationen engagieren“, sagt der Verteidigungsstaatssekretär Markus Grübel (CDU) auf einer viertägigen Reise nach Mali und Niger. „Mit unseren besonderen Fähigkeiten können wir die Missionen erfolgreicher machen.“ Gemeint sind etwa die vier Hubschrauber NH90 im Camp Castor am Rande von Gao. Mit ihnen werden Verwundete ins Lager geflogen. Betagte Transall-Maschinen der Bundeswehr stehen im benachbarten Niger für den Weitertransport in Nigers Hauptstadt Niamey bereit – wenn sie fliegen dürfen angesichts der Hitze. Die Sanitäter sind reichlich frustriert, weil sie gerne zuverlässigere Flugzeuge anbieten würden.
Krankentransporte deutscher Soldaten nach Niamey sind zwar rar. Wegen Attacken auf zivile Fahrzeuge sind die NH90 dennoch gefordert: So wurde Anfang März 150 Kilometer nördlich von Gao ein Anschlag auf einen Tanklastwagen von Minusma verübt. Dessen Fahrer wurde so schwer verletzt, dass die Heeresflieger ausrückten und die Männer ins Camp holten.
Die Tiger werden eingeflogen
Anfang Mai werden zudem vier Kampfhubschrauber Tiger bereitstehen, die – in Einzelteile zerlegt – derzeit von Deutschland in die malische Hauptstadt Bamako gebracht werden, um in den nächsten Tagen eigenständig nach Gao zu fliegen. Mit ihnen kommen 120 weitere Soldaten. Die deutschen Flieger ersetzen die Niederländer, die peu à peu das Camp Castor verlassen. Ihrerseits wollen sie Mitte 2018 wieder abziehen, sofern sich Nachfolger finden.
Zweiter Schwerpunkt ist die Aufklärung – auch am Boden. Dazu verlassen immer wieder Trupps in gepanzerten und bewaffneten Fahrzeugen das Camp, um Kontakt zu malischen Checkpoints aufzunehmen. Dort lassen sie sich zum Tee einladen und tauschen Nettigkeiten aus, wenn möglich auch hilfreiche Informationen. Andere deutsche Soldaten erforschen auf dem Markt die Preisentwicklung und erkunden die Stimmungslage der Händler – auffällige Veränderungen könnten auf einen verstärkten Einfluss von Rebellen hindeuten.
Riesige Umwege statt direkter Warnungen vor der Gefahr
Für die Luftaufklärung hat die Bundeswehr drei Heron-Drohnen in Gao stationiert. Bis zu zwölf Stunden lässt sie die unbemannten Flieger in den Himmel aufsteigen, um maximal 900 Kilometer weit den nordmalischen Raum ins Visier zu nehmen. Oft werden patrouillierende Einheiten eskortiert, die nicht in Hinterhalte geraten oder Opfer von Sprengsätzen werden sollen. Da zeigt sich eines der vielen Probleme des UN-Einsatzes: Der Heron-Leitstand in Gao verfolgt die Patrouille live, kann aber kaum Kontakt aufnehmen, wenn Gefahr im Verzug ist. Zunächst einmal schreibt der Luftbildauswerter – derzeit ein Belgier – nach der Landung der Drohne seinen Bericht, den er zur Weiterbearbeitung an den schleswig-holsteinischen Fliegerhorst Jagel sendet. Von dort aus gehen die Informationen binnen zwei Tagen ins Minusma-Hauptquartier nach Bamako, wo dann entschieden wird, was damit passiert. Ob diese Prozedur für die Auftraggeber „sinnvoll ist, wage ich zu bezweifeln“, sagt der Staffelchef. „Wenn ich zwei Stunden später erfahre, wer hinter der Hecke sitzt, ist es besser, als wenn ich es zwei Tage danach erfahre.“
Die vertraglich vereinbarten Umwege haben mit bürokratischen Hürden über diverse UN-Kommandoebenen zu tun und dem Wunsch, die Hand auf den Daten zu haben. Zudem ist die Bundeswehr nicht erpicht darauf, alle ihre Informationen ungefiltert den Vereinten Nationen zu überlassen, weil dann alle 50 Missionsmitglieder darauf zugreifen könnten – China zum Beispiel. Das Misstrauen ist greifbar.
Die Bundeswehr muss rasch dazu lernen
Gerade begleitet der Heron-Leitstand in Camp Castor eine Patrouille aus dem Senegal. Da achten die Spezialisten etwa auf Manipulationen der Straße, weil Wärmebildkameras unterschiedliche Temperaturen des Belags erkennen. Ein Routineeinsatz. Vor zwei Wochen verfolgte die Drohne eine togolesische Einheit. Dabei erkannten die Deutschen eine Person, die unter einer Brücke hervorlief, in Richtung Patrouille blickte und wieder zurückrannte. Hatte sie einen Sprengsatz, im Militärjargon IED, platziert? „Konvoi! Stop! Stop!“, brüllte Major S. in seine Funksprechanlage. Doch die Verbindung war so schlecht, dass die Togolesen ungerührt weiterfuhren. Als sie an die Brücke kamen, konnten die Deutschen nur atemlos zuschauen – und erleichtert aufatmen, als nichts passierte.
Zuweilen wird über Handy per SMS-Kurznachricht kommuniziert, um die mangelhafte Ausstattung mancher Nationen zu überbrücken, was keineswegs den deutschen Vorschriften zur Verschlüsselung sensibler Daten entspricht. In Mali muss die an Nato-Standards gewöhnte Bundeswehr dazulernen, denn bei den UN werden andere Maßstäbe angelegt. Die Vereinten Nationen bezahlen die Truppensteller, was für ärmere Länder die lukrativste Einnahmequelle ist, um eine Armee zu unterhalten. Gut ausgerüstet und ausgebildet treten sie nicht auf.
Blutiger Anschlag gleich neben Camp Castor
Die Diskrepanz mit UN-Gepflogenheiten stellen deutsche Soldaten in vielen Randgesprächen fest – ausgerechnet im bisher gefährlichsten Einsatz der Vereinten Nationen. Diese Brisanz wurde zuletzt am 18. Januar aufgezeigt, als Islamisten einen mit Sprengstoff beladenen Lkw wenige Steinwürfe von Camp Castor entfernt auf ein kaum gesichertes Gelände steuerten, wo gerade malische Sicherheitskräfte und moderate Rebellen angetreten waren. 70 Menschen kamen ums Leben. Es war das bisher blutigste Signal gegen gemeinsame Aktionen von Separatisten und Militär.
2015 hatten lediglich zwei aufständische Tuareg-Gruppen mit der Regierung den Friedensvertrag geschlossen. In dieser Woche wurde der Verfassungsvertrag unterzeichnet, in dem die damals geforderte Dezentralisierung der Machtstrukturen fixiert wurde. Trotz diverser Übergangsverwaltungen im Norden bleibt die Lage aber verworren, weil sich immer neue Allianzen von Rebellen und Terroristen bilden – mittendrin eine Bevölkerung, die immer heftiger grollt, weil kaum Fortschritte sichtbar werden. Der Generalstabschef von Mali, Generalmajor Didier Dacko, findet dafür im Gespräch mit Staatssekretär Grübel ein plastisches Bild: Dies sei ungefähr so, „als ob man Eiweiß und Eigelb miteinander verührt und nachher versucht, beides wieder voneinander zu trennen“, sagt er. Ein Ding der Unmöglichkeit also?
Wenig Interesse an Beseitigung dunkler Geschäfte
Auf halbem Weg zwischen Bamako und Gao liegt Mopti – ein Umschlagplatz zwischen Nord und Süd für den regulären Handel, aber auch für Waffen- und Drogenhandel sowie Menschenschleuser. Mali ist ein Transitland für dunkle Geschäfte. Die Regierung macht wenig Anstalten, dort für Ordnung zu sorgen. Mit den Profiteuren will man es sich nicht verderben. Auch die Franzosen, die mit ihrer Operation „Barkhane“ eine Sonderrolle beanspruchen, ändern den Zustand eher nicht. Da wären die Vereinten Nationen gefordert. „Aus meiner Sicht müssten sie deutlich mehr tun, um auch in dieser Region Minusma-Kräfte zu stationieren und die Schritte des Friedensvertrags dort umzusetzen“, sagt Grübel.
60 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, in Koulikoro, beteiligt sich die Bundeswehr an der EU-Trainingsmission. Grundlage ist ein weiteres Bundestagsmandat, das den Einsatz von bis zu 300 Soldaten erlaubt. Auf dem Gelände einer malischen Militärschule gibt der deutsche Kontingentführer Michael Andritzky eine düstere Einschätzung ab: „Die Sicherheitslage in Zentralmali verschlechtert sich“, sagt er. „Es entsteht ein Machtvakuum.“ Der Verfall staatlicher Strukturen mit Organisierter Kriminalität, Entführungen und Überfällen frisst sich demnach gen Bamako vor.
„Die Sicherheitslage in Zentralmali verschlechtert sich“
Immerhin will die 20 000-köpfige malische Armee 5000 statt 2500 Rekruten ausbilden. Die EU-Mission intensiviert daher ihr Training von Offizieren und Unteroffizieren, damit diese ihr Wissen rasch weitergeben. Die Malier zeigen sich hochmotiviert, doch die Offiziere müssen noch lernen, als Führer voranzugehen. Wenn ihnen gezeigt wird, wie Verwundete fachkundig versorgt werden, entfernen sie sich nicht mehr so oft vom Gefecht, so die Hoffnung. Dann wissen sie, dass sie als Haupternährer ihrer Familie überleben können.
Andritzky setzt darauf, bald einen Großverband in das zentralmalische Machtvakuum zu beordern. „Der kann den Unterschied ausmachen“, sagt er. „Der Feind rechnet nicht mit so gut trainierten Kräften.“ Auch Grübel sieht „echte Fortschritte bei der Ausbildung der malischen Streitkräfte“. Es sei ein „Mittel- oder Langstreckenlauf“, bis sie wirkungsvoll eingesetzt werden könnten. Aber „das Land sich selbst zu überlassen, ist keine Alternative“.
1200 Kilometer liegen zwischen Bamako und Gao. Großgerät muss in Schwerlastzügen gen Norden gebracht werden, weil Frachtmaschinen in Gao nicht landen können. Das dauert fünf Tage auf der schlaglochreichen Piste. Für die heikle Tour gibt es kaum zivile Fahrer, die die Gefahr auf sich nehmen. Zu oft werden sie überfallen. Für einen Großtransport zahlt die Bundeswehr dem deutschen Spediteur bis zu 100 000 US-Dollar, damit er die durch malische Soldaten gesicherte Tour abwickelt. Vier Fahrer habe die Firma schon verloren, sagt ein Bundeswehrangehöriger; deren Familien erhielten je 5000 Dollar. Auch so etwas kennt die Bundeswehr aus Afghanistan – es lässt für Mali nichts Gutes ahnen.