Stramm rechts: Marine Le Pen (M.), Chefin des Front National Foto: dpa

Der Politikwissenschaftler Frank Decker sieht die Rechten auf dem Vormarsch. Im Interview erklärt er den Rechtsruck in Europa und schlägt Antworten darauf vor.

Herr Decker, wir erleben eine Welle von Wahlerfolgen rechter Parteien in Europa. Gibt es Erklärungen dafür, die auch länderübergreifend überzeugen?
Allgemein haben wir es mit den Konsequenzen von ökonomischen und kulturellen Modernisierungsprozessen zu tun, die Teile der Gesellschaft auf der Strecke lassen. Diese Menschen müssen nicht objektiv Verlierer sein, sondern fühlen sich vielleicht nur als Verlierer. Sie sorgen sich um die Zukunft und haben Angst vor dem sozialen Abstieg. Wir beobachten diese Entwicklung in den europäischen Ländern seit den 80er Jahren.
Welche Rolle spielt die Zuwanderung?
Die vorwiegend aus den muslimischen Ländern stattfindende Zuwanderung ist das wichtigste Anti-Thema der Rechtspopulisten. Sie wird von vielen als Bedrohung empfunden, wobei die Anschläge vom 11. September 2001 die Ressentiments noch verstärkt haben. Seit den Anschlägen von Paris im Januar und vor wenigen Wochen erleben wir nun eine weitere Zuspitzung. Das treibt den Rechtspopulisten Wähler zu, weil es ihre Anti-Positionen scheinbar bestätigt.
Was macht die Menschen anfällig für rechtspopulistische Parolen?
Die etablierten Parteien haben keine wirkliche Antwort darauf, wie die Spaltungstendenzen in unserer heutigen Gesellschaft bekämpft und ihre Folgen abgemildert werden können. In Ländern wie Frankreich spiegeln sich diese Tendenzen auch in einem wachsenden Gefälle zwischen wenigen prosperierenden Zentren und den sich abhängt fühlenden Räumen in der Provinz. Die Menschen in den urbanen Zentren sind kulturell offen und denken kosmopolitisch, die Bewohner der Provinz nehmen die Zuwanderer dagegen vor allem als soziale Konkurrenz und Bedrohung ihrer angestammten Identität wahr.
Weshalb spielt die Zuwanderung in Frankreich eine so große Rolle?
Anders als bei uns gibt es eine starke räumliche Konzentration von Migranten in Problemstadtteilen. Das sind soziale Brandherde. Um diese Probleme weiß man seit langem, sie sind aber nie richtig angegangen worden und haben sich in den vergangenen Jahren weiter verschärft.
Warum ist es für die etablierten Parteien so schwierig, solche Gefühlslagen aufzunehmen und zu kanalisieren? Der ganze Zorn wird ja bei ihnen abgeladen.
Es objektiv sehr schwierig, der Probleme Herr zu werden. Früher hatten die Nationalstaaten gewisse Steuerungsmöglichkeiten, etwa über die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Man konnte zum Beispiel die eigene Währung abwerten und so die Konjunktur ankurbeln. Das geht in Zeiten des Euro nicht mehr. Auch bei der Integration der Zuwanderer hat man die Schwierigkeiten lange Zeit übersehen oder unterschätzt.
Was also tun?
Was die ökonomischen Probleme angeht, wäre eigentlich mehr Europa die richtige Antwort, nicht der von den Rechtspopulisten propagierte Rückzug in die Nationalstaatlichkeit. Warum gibt es zum Beispiel keine europäische Arbeitslosenversicherung? Damit könnte man gezielt etwa die in manchen Ländern sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. Bei der Zuwanderungspolitik muss darauf geachtet werden, dass sich die Konkurrenzsitationen im unteren Drittel der Gesellschaft nicht verschärfen.
Heißt das, dass die Zuwanderung begrenzt werden muss?
Offenbar sind unsere Gesellschaften nicht in der Lage, Zuwanderung zu verkraften, wenn sie ein bestimmtes Maß übersteigt. Dann kommt man sehr schnell in eine Situation, in der soziale Konflikte in ethnische oder kulturelle Konflikte umdefiniert werden. Das ist genau das, was die Rechtspopulisten tun. Sie fordern dann beispielsweise, die angeblich Nicht-Dazugehörigen von Sozialleistungen auszuschließen.
Auch in Deutschland sorgen Rechtspopulisten für Schlagzeilen. Allerdings sind sie von zweistelligen Wahlergebnissen weit entfernt. Wie lange noch?
Durch die Flüchtlingskrise werden die Themen Zuwanderung und Integration noch geraume Zeit auf der Tagesordnung stehen. Von der Nachfrageseite her, von Seiten der Wählerinnen und Wähler, besteht also durchaus die Möglichkeit, dass eine Partei wie die AfD sich dauerhaft etabliert. Da unterscheidet sich Deutschland nicht mehr von anderen europäischen Ländern. Was für die AfD zum Problem werden könnte, ist der Zustand der Partei selbst.
Inwiefern?
Es zeichnet sich ja deutlich ab, dass wachsende Teile der Partei nach ganz rechtsaußen abdriften. So wird zum Beispiel der Schulterschluss mit der Pegida-Bewegung immer enger. Kommt es zum Verbot der NPD, wird die Gefahr einer Unterwanderung durch rechtsextreme Kräfte noch steigen. Darüber werden innerhalb der AfD unweigerlich Konflikte ausbrechen, die ihr öffentliches Erscheinungsbild ruinieren könnten. An diesem Problem sind bisher noch alle rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen in der Bundesrepublik gescheitert.