Immer weniger Fliesenleger sind so gut ausgebildet, dass sie ihre Arbeit fehlerfrei hinbekommen und die Auftraggeber dadurch glücklich machen Foto: dpa

Beim Handwerk wird immer schlimmer gepfuscht, sagen Experten. Vor allem dort, wo kein Meisterbrief mehr Pflicht ist, um sich selbstständig zu machen, drängen auch unqualifizierte Firmen aus Osteuropa in den Markt – und verschlechtern die Situation weiter.

Stuttgart - Als Rita Müller (Name geändert) in ihre Wohnung in Herrenberg einzieht, trifft sie fast der Schlag. Bad, WC und Küche sind frisch gefliest, als die alleinerziehende Mutter von drei Kindern im Oktober 2014 in ihre neue Wohnung kommt.

Die Fugen sind bis zu 1,5 Zentimeter versetzt, die Farbe des Fugenmaterials beißt sich mit der Farbe der Fliesen und in der offenen Dusche wurde die Abdichtung gleich ganz vergessen, sodass das Wasser wahrscheinlich einen Stock tiefer bei den Nachbarn ankommen würde, duschte man. Keine nette Überraschung – und ein Fall für Titus Wolkober.

Der Sachverständige des Fliesenhandwerks der Handwerkskammer Stuttgart erlebt zwar nicht immer Fälle, die so drastisch sind. Dennoch warnt er: „Seit drei Jahren haben sich die Fälle, in denen Fliesen so verlegt werden, dass teilweise gravierende Schäden entstehen, um 15 bis 20 Prozent erhöht.“ Der Grund hängt nicht direkt mit der Handwerkszunft der Fliesenleger selbst zusammen. Viel mehr mit einer Entwicklung, die das gesamte Handwerk betrifft.

191 weniger Meisterbetriebe als 2013

Die Handwerkskammer Region Stuttgart hat unlängst ihre Zahlen für das Jahr 2014 veröffentlicht. Sie verzeichnet einen Rückgang auf 29 428 Meisterbetriebe, 191 weniger als noch im Vorjahr. Fachkräftemangel herrscht laut dem Bericht vor allem im Körperpflege- und im Reinigungsgewerbe, allein 19 Betriebe in der Kosmetikbranche haben vergangenes Jahr im Ballungsraum das Handtuch geworfen.

In Handwerksbranchen, in denen Neugründungen keinen Meisterbrief mehr benötigen, läuft es dagegen umgekehrt. Wie eben bei den Fliesenlegern. Die an Neugründungen gemessen am stärksten wachsende Berufsgruppe im Handwerk hat ein Plus von 77 neuen Betrieben gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen, gefolgt von den Fotografen mit 59 und Raumausstattern mit 24 Neugründungen in der Region.

Seit 2004 kann jeder ein Fliesenlegergewerbe anmelden, ohne dafür irgendeine Qualifikation nachweisen zu müssen. „Seitdem hat sich die Branche komplett verändert“, sagt Karl-Hans Körner, Obermeister der Fliesenlegerinnung Stuttgart, „und zwar zum schlechten.“ In den letzten elf Jahren ist die Zahl der Fliesenleger in Stuttgart von etwa 300 auf 1800 angestiegen – wobei nur noch 150 Betriebe von einem Meister geführt werden.

Immer mehr Mitbewerber aus Osteuropa

Dadurch sind Fachkräfte im Fliesenlegerhandwerk Mangelware geworden. Auch, weil immer mehr Mitbewerber aus osteuropäischen Staaten in den deutschen Markt drängen.

„Zwar sind mit Sicherheit nicht alle Handwerksbetriebe aus dem Ausland schlecht“, sagt Körner. Dennoch habe es dort häufig nie ein Qualitätssigel wie den Meistertitel gegeben, der professionelle Arbeit gewährleiste. Der Zentralverband des deutschen Handwerksgewerbes hatte vor einigen Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, die zu dem Ergebnis kam, dass 20 000 von insgesamt 70 000 Fliesenlegerbetrieben in Deutschland einen osteuropäischen Hintergrund haben.

Nochmal neu - bei grobem Pfusch hilft alles nicht

So verhält es sich nicht nur in der Fliesenlegerbranche. „Insgesamt kommen im zulassungsfreien Handwerk 42 Prozent der Betriebe aus dem osteuropäischen Ausland“, hat Jürgen Rüdinger, Leiter der Handwerksrolle bei der Handwerkskammer Stuttgart, hier beobachtet. Tendenz steigend. In Handwerksberufen, in denen man um einen Meistertitel nicht herumkommt, sei es dagegen nur etwa ein Drittel.

Woher die Handwerker kamen, die Rita Müllers Wohnung verpfuscht haben, weiß Sachverständiger Titus Wolkober nicht. Allerdings werden von Bauherren immer mehr Subunternehmer aus dem Ausland beschäftigt.

Auch im Fall Herrenberg hat die Baufirma einen externen Fliesenleger angeheuert. Müller muss noch mal ausziehen, nachdem sie eingezogen war, damit die Wohnungseigentümer die Mängel ausbessern können. Oder genauer: „Bei so grobem Pfusch hilft alles nichts, die Fliesen müssen komplett rausgerissen und neu gemacht werden“, sagt Titus Wolkober.