Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel. Foto: dpa/Abir Sultan

Israel hat eine Online-Kampagne über den Krieg in Gaza gestartet. Das Ziel: Die Menschen in Europa mit den erschütternden Bildern und Berichten über den Angriff auf Israel zu konfrontieren.

Israel hat eine Online-Kampagne zum Gazakrieg gestartet, die vor allem Menschen in Europa mit erschütternden Bildern und Berichten von dem Angriff der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel vom 7. Oktober konfrontieren soll. Dutzende Videos mit Bildern verbrannter Leichen, trauernder Familien und schnell hintereinander geschnittenen Schreien und Sirenen werden auf den offiziellen Social-Media-Kanälen des israelischen Außenministeriums und in bezahlten Werbekampagnen gezeigt.

Damit soll der Öffentlichkeit im Ausland vor Augen geführt werden, wie die Hamas vom Gazastreifen aus nach Israel eindrang und nach Angaben israelischer Behörden mehr als 1400 Menschen ermordete, hauptsächlich Zivilisten, und mindestens 240 Geiseln nahm. 

Zusätzlich zielt die Online-Kampagne darauf ab, Israels Bombardierung des Gazastreifens zu begründen, bei der nach nicht unabhängig überprüfbaren Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums bislang mehr als 8500 Menschen getötet wurden, darunter mehr als 3000 Kinder.  

„Steht zu Israel, steht zur Menschlichkeit“

Einige der Videos sind sehr drastisch: In einer Aufnahme beschreibt ein Pathologe Bilder eines verbrannten Kindes. In anderen sind Einhörner zwischen Regenbögen zu sehen, bevor in großen Buchstaben auf dem Bildschirm zu lesen steht: „So wie Sie alles für Ihr Kind tun würden, werden wir alles tun, um unsere zu schützen.“ 

„So kommunizieren wir im Jahr 2023“, erklärte der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Emmanuel Nahshon, die Kampagne gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Mit den Videos solle die Botschaft gesendet werden, dass die Gräueltaten der Hamas mit denen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) vergleichbar seien, die für die Veröffentlichung von grausamen Bildern ihrer Massaker und Geiselnahmen bekannt ist. 

Die israelischen Videos sind mit Slogans versehen, die Nutzer teilen und so weiter verbreiten können. Sie lauten etwa „Stand with Israel, Stand with Humanity“ („Steht zu Israel, steht zur Menschlichkeit“) oder „Bring Them Home“ („Bringt sie nach Hause“) mit Blick auf die Geiseln. Auch einen teilbaren Slogan mit der Gleichsetzung der Hamas mit dem IS gibt es.

Hauptziel der Kampagne ist Frankreich

Nahshon zufolge sind die Videos bereits mehr als eine Milliarde Mal angesehen worden. Daten der US-amerikanischen Marketingfirma Semrush stützen dies. Demnach erreichte die Kampagne mindestens 1,1 Milliarden Aufrufe in etwa 30 Ländern. Die israelische Regierung habe „ein paar hunderttausend US-Dollar“ investiert, erklärte Nahshon. Nach Berechnungen von Semrush dürften sich die Kosten jedoch auf 8,5 Millionen Dollar (8,03 Millionen Euro) belaufen.

Das Hauptziel der Kampagne ist Frankreich mit den europaweit größten jüdischen und arabisch-muslimischen Gemeinschaften. Dort wurden laut Semrush 4,6 Millionen Dollar für die Kampagne ausgegeben. Danach folgen der Aufstellung zufolge Deutschland mit 2,4 Millionen Dollar und Großbritannien mit 1,2 Millionen Dollar. 

Stephanie Lamy, Expertin für Kommunikationsstrategien in Kriegszeiten, argumentierte, Israels Kampagne verfolge einzig das Ziel, seine Bombardierung des Gazastreifens zu legitimieren. „Das Ziel ist es, Gewalt zu rechtfertigen und sogar zu versuchen, Straffreiheit im Falle eines Verstoßes gegen das Völkerrecht zu erreichen“, erklärte sie. 

Hamas auf den meisten Social-Media-Plattformen westlicher Länder gesperrt

Die Hamas versucht ihrerseits, mit einer Online-Kampagne ihre Position zu stärken, indem sie das israelische Vorgehen und dessen Auswirkungen auf Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen hervorhebt. Da die Hamas von den USA und der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft wird, ist sie jedoch auf den meisten Social-Media-Plattformen in den westlichen Ländern gesperrt.

Die radikalislamische Palästinenserorganisation nutzt offizielle Telegram-Kanäle, um ihre Botschaft zu verbreiten, unter anderem mit drastischen Videos israelischer Bombardierungen des Gazastreifens sowie mit Aufnahmen, die einige der Hamas-Angreifer am 7. Oktober machten. Diese Kanäle wurden in den vergangenen Tagen von Googles Android-Plattform entfernt. 

Auch Israels Kampagne wurde inzwischen eingeschränkt. So erklärte Google gegenüber AFP in der vergangenen Woche, dass das Video zu Aufnahmen eines verbrannten Kindes für Jugendliche nicht mehr abrufbar sei und dass eine Warnung vor explizitem Inhalt hinzugefügt worden sei. 

Riskante Strategie für Israel

Die finnische Firma Rovio, die das Spiel „Angry Birds“ entwickelt hat, erklärte, sie habe ihre Werbepartner gebeten, eine israelische Anzeige zu deaktivieren, nachdem sich Nutzer in Online-Netzwerken beschwert hatten. Nichtsdestotrotz verzeichnet Israel mit seiner Kampagne zu dem gegenwärtigen Krieg immer noch weit mehr Aufrufe als die Hamas.

Dennoch sagen einige Experten, dieser Reichweitenerfolg könnte eine Kehrseite haben. „Die Menschen Bildern auszusetzen, die im wahrsten Sinne des Wortes unerträglich sind, ist für Israel eine riskante Strategie“, erklärte Kommunikationsexperte Arnaud Mercier. „Es könnte kontraproduktiv sein für ein Publikum, das nicht darum gebeten hat, dem ausgesetzt zu werden.“