Das Einkaufen im Internet ist bequem, doch es benachteiligt den stationären Handel. Denn viele Online-Händler aus Asien zahlen in Deutschland auf ihre Verkäufe keine Umsatzsteuer, obwohl sie dazu genauso verpflichtet wären wie die anderen Händler auch. Foto: dpa-Zentralbild

Drei, zwei, eins, meins: Auf Marktplätzen wie Amazon und Ebay wechseln Waren im Milliardenwert den Besitzer. Nur das Finanzamt geht oft leer aus – zum Nachteil der ehrlichen Händler. Das soll nun geändert werden – auch auf Initiative aus Baden-Württemberg.

Stuttgart - Deutschland wird die Betreiber von Handelsplattformen im Internet voraussichtlich schon zu Beginn des kommenden Jahres in Haftung nehmen, wenn sie mit Händlern zusammenarbeiten, obwohl diese in Deutschland ihre Umsatzsteuer nicht bezahlen. Das kündigt Finanzministerin Edith Sitzmann an.

Frau Sitzmann, Konzerne wie Amazon und Ebay erobern im Einzelhandel immer größere Marktanteile. Zahlen die Verkäufer auf deren Plattformen genauso ihre Steuern wie Händler, die hierzulande ein Geschäft betreiben?
Natürlich müssen Onlinehändler auf ihre Verkäufe genauso Umsatzsteuer zahlen wie alle anderen auch. Es ist aber leider so, dass diese Pflicht auf Plattformen in beträchtlichem Ausmaß umgangen wird – vor allem von Händlern aus Asien.
Um welche Größenordnung geht es dabei?
Ich schätze, dass es sich hier um mittlere dreistellige Millionenbeträge handelt. Dadurch geht nicht nur dem Staat viel Geld verloren, das er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Vielmehr führt dieser Steuerbetrug auch dazu, dass ehrliche Händler im Wettbewerb benachteiligt werden. Bezieht man dies mit ein, gehen die Schäden sogar in den Milliardenbereich.
Finanzbehörden klagen darüber, dass viele Händler aus China sich hier gar nicht erst steuerlich registrieren lassen. Gibt es überhaupt eine Chance, an die diese heranzukommen?
Das Problem ist vielschichtig. Händler aus Drittstaaten geben oft bereits beim Zoll nicht alle Waren so an, wie sie es müssten. Und wenn sie diese verkaufen, führen viele auch keine Umsatzsteuer ab. Deshalb soll es in Deutschland ab Anfang 2019 eine neue gesetzliche Regelung geben.
Was planen Sie?
Ich gehe davon aus, dass die Finanzministerkonferenz nächste Woche den Weg für eine Haftungsregelung freimacht. Dann müssen die Betreiber solcher Plattformen sicherstellen, dass alle Händler, die bei ihnen Umsätze machen, steuerlich registriert sind.
Heißt das, dass sie dann auch Steuern zahlen?
Das müssen sie. Durch die Registrierung sind diese Händler dem Finanzamt bekannt und es kann prüfen, ob sie Steuern zahlen. Wenn sie ihre Steuern nicht bezahlt haben, muss die Plattform die Händler ausschließen. Ansonsten nehmen wir die Plattformbetreiber für die hinterzogenen Steuern in Haftung.
Wie kam es zu dieser Regelung?
Baden-Württemberg hat vor einem Jahr zusammen mit Hessen eine Initiative gestartet. Seither beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern damit. Wenn wir Finanzministerinnen und Finanzminister nun Einvernehmen erzielen, dürfte einem Beschluss des Bundestags für eine Haftungsregel nichts mehr im Wege stehen. Es ist ein schönes Ergebnis, wenn wir das gemeinsam hinbekommen.
Die Plattformen haben bisher immer argumentiert, sie seien lediglich ein Marktplatz, der keine Verantwortung für die Händler und deren Steuerzahlungen trage.
Die Plattformen haben Verträge mit den Händlern und verdienen auch an deren Umsätzen. Deshalb halten wir es für angemessen, dass sie auch bei der Steuer auf diese Umsätze mit in die Pflicht genommen werden und sich vom Händler regelmäßig eine Bescheinigung des Finanzamts vorlegen lassen. Das wird nicht sehr kompliziert sein, auch nicht für die Händler.
Müssen auch deutsche Händler eine solche Registrierung vorlegen, wenn sie weiter über Amazon, Ebay & Co. Waren verkaufen wollen?
Die Regelung zielt natürlich auf Händler in Drittstaaten, aber sie betrifft auch deutsche und europäische gewerbliche Händler. Ansonsten würden Verzerrungen entstehen. Wir wollen auch verhindern, dass Händler aus Drittländern Standorte in Europa anmelden, um ihrer Steuerpflicht weiter entgehen zu können.
Wenn die Plattform ohnehin das Geld vom Verkäufer einzieht, könnte sie die Steuer ja auch direkt abführen.
Baden-Württemberg ist dafür, eine solche Art Quellensteuer auf Onlineverkäufe einzuführen. Die Möglichkeit, Plattformbetreiber beim Erheben der Umsatzsteuer von Händlern aus Drittländern einzubeziehen, wird auf EU-Ebene erst 2021 eingeführt. Wie das genau aussehen soll, wird noch geklärt. Solange wollen wir nicht warten. Deshalb beginnen wir nun bereits zwei Jahre früher mit der Haftungsregelung.
Nicht nur bei Onlineverkäufen, sondern auch bei Bargeldzahlungen in Restaurants oder Taxis wird viel Umsatz an der Steuer vorbei erzielt.
Ab nächstem Jahr muss über Sicherheitseinrichtungen gewährleistet sein, dass eingesetzte Registrierkassen nicht mehr nachträglich manipuliert werden können. Es wird dann nicht mehr möglich sein, Buchungen nachträglich zu verändern und zum Beispiel registrierte Verkäufe wieder zu löschen. Auch dies trägt dazu bei, dass die ehrlichen Steuerzahler nicht im Nachteil sind.
Thomas Eigenthaler, der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, sieht in den Regeln aber noch ein großes Schlupfloch. Kassen müssen zwar manipulationssicher sein, aber es gibt auch künftig keine Pflicht, überhaupt eine Kasse einzusetzen. Die Schubladenkasse, bei der abends per Kassensturz die Umsätze ermittelt werden, bleibt erlaubt.
Die Sicherheitseinrichtungen sind ein Baustein von vielen. Wir haben auch die Kontrollen vor Ort deutlich intensiviert. Seit 2015 sind in Baden-Württemberg 60 Kassenprüfer im Einsatz, die vor Ort nachschauen, ob Verkäufe, Lager- und Kassenbestände zusammenpassen. Diese haben 2016 fast 10 Millionen Euro zusätzlich eingenommen. Seit diesem Jahr dürfen Kassen außerdem unangemeldet kontrolliert werden.
Der Bundesrechnungshof schätzt aber, dass bundesweit rund 10 Milliarden Euro Steuern durch Bargeldgeschäfte hinterzogen werden.
Das zeigt nur, wie viel noch zu tun ist.
Organisationen wie der Deutsche Fußballbund, der Bauernverband und die Gastronomie wehren sich gegen Kontrollen mit dem Argument, dadurch würden alle Händler unter Generalverdacht gestellt.
Die meisten Händler sind steuerehrlich. Die Kontrollen sollen bewirken, dass auch die anderen ihren Pflichten nachkommen. Im Zeitalter der Digitalisierung ist das keine Überforderung mehr. Wenn man sieht, wie viele elektronische Geräte heute in Firmen und Privathaushalten eingesetzt werden, kann man moderne Systeme auch bei Kassen erwarten. Nur Hofläden und Marktstände nehmen wir aus, weil wir sie nicht über Gebühr belasten wollen.
Kapitalerträge werden in Deutschland über die Abgeltungsteuer erfasst und tauchen normalerweise nicht in der Steuererklärung auf. Muss sich das ändern?
Ich verstehe den Impuls, der hinter den Forderungen steht, die Abgeltungsteuer abzuschaffen. Damit werden Menschen mit Kapitalerträgen gegenüber Lohnempfängern privilegiert. Wir müssen das aber sorgfältig abwägen: Die Kapitalerträge wieder in die Einkommensteuer aufzunehmen, würde die Besteuerung deutlich komplizierter machen. Zudem wären damit wieder Werbungskosten absetzbar. Es ist fraglich, ob die Abschaffung tatsächlich zu höheren Einnahmen führen würde. Wir sollten deshalb erst einmal genau klären, ob die angestrebten Ziele durch eine Abschaffung der Abgeltungsteuer tatsächlich erreichbar sind.

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