Schatten über TTIP: Nun denken auch die politisch Verantwortlichen über einen teilweisen Rückzieher nach. Foto: dpa

Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA ist so umstritten, dass an diesem Sonntag wieder Zehntausende dagegen auf die Straße gehen dürften. Bei den politischen Gesprächen mit dem US-Präsidenten in Hannover wird daher über eine kleine und vielleicht realistischere Version gesprochen.

Berlin - Der Protest gegen das TTIP-Abkommen, der an diesem Samstag anlässlich des Besuchs von US-Präsident Barack Obama in Hannover einen neuen Höhepunkt erreicht, zeitigt Wirkung: Die Regierungen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zweifeln nach Informationen dieser Zeitung daran, ob der umstrittene Freihandelsvertrag in der bisher geplanten Form noch zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann. Das liegt einem belgischen Regierungsvertreter zufolge auch an den stockenden Verhandlungen selbst: „Es gibt quasi einen europäischen Konsens, dass TTIP in vollem Umfang in Obamas Amtszeit nicht mehr zu stemmen ist.“

Dessen Verhandlungsführer Mike Froman hat daher in den vergangenen Wochen die europäischen Hauptstädte bereist und für eine kleine und somit schnellere Variante geworben, wobei er laut dem im Europaparlament bei TTIP federführenden SPD-Abgeordnete Bernd Lange auf „wenig Gegenliebe gestoßen ist“. Allerdings steht das Thema nun bei den Chefs auf der Tagesordnung: Bei Obamas politischen Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela und weiteren europäischen Regierungschefs am Sonntag und Montag wird es auch um eine deutlich abgespeckte Version des Abkommens gehen. „Ein TTIP light“, so ein hochrangiger Vertreter der Brüsseler EU-Kommission, die die Verhandlungen mit Washington führt, „ist realistischer als jetzt in die Vollen zu gehen und krachend zu scheitern.“

Dies könnte bedeuten, dass es weder zu den umstrittenen Investoren-Schiedsgerichten noch zu den ebenfalls heftig kritisierten Regulierungsräten käme, in denen vor neuen Gesetzesinitiativen erst die transatlantische Wirtschaft informiert würde. Auch die allgemein als sinnvoll anerkannte Angleichung von Industrienormen würde in einer solchen Variante vermutlich keine Rolle mehr spielen - es ginge dann vor allem um die Streichung der Einfuhrtarife. „Alle Zölle abzuschaffen wäre schon mal ein sehr großer Schritt“, meint der Kommissionsvertreter. Ein solches Abkommen hätte aus seiner Sicht zudem den Vorteil, dass es von den politischen Zuständigkeiten her kein gemischtes Abkommen mehr wäre, sondern allein von den EU-Institutionen beschlossen werden könnte.

Der öffentliche Widerstand gegen TTIP ist enorm

„Wir haben die Sorge, dass vielen Regierungen die Kraft fehlt, die notwendigen politischen Mehrheiten für TTIP in ihren jeweiligen Ländern zu organisieren“, sagte der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. So hatte eine diese Woche veröffentlichte Umfrage der Bertelsmann-Stiftung noch einmal gesunkene Zustimmungswerte ergeben. In den Niederlanden beispielsweise gibt es Überlegungen, eine Volksabstimmung wie zuletzt gegen ein Abkommen mit der Ukraine nun auch gegen die transatlantische Freihandelszone anzustoßen.

Neben dem Widerstand in der europäischen Öffentlichkeit sind es auch die TTIP-Verhandlungen an sich, die sich weitaus schwieriger gestalten als gedacht. Oettinger sieht zwar „Fortschritte in den Gesprächen, aber auch viele strittige Punkte, die am Ende zusammengeführt werden müssen“. Vor allem beim Investitionsschutz, der Landwirtschaft, den Arbeitnehmerrechten oder dem öffentlichen Beschaffungswesen sind die USA bisher nicht bereit gewesen, auf die Europäer zuzugehen. „Wir als EU haben zu allen 24 Verhandlungskapiteln Angebote unterbreitet, die Amerikaner nur zu 14“, klagt der Europaparlament bei TTIP federführende SPD-Abgeordnete Bernd Lange, „und die sind zum Teil indiskutabel.“ Sollte die US-Seite „nicht zwei Gänge zulegen, wird TTIP auf Eis gelegt werden müssen“.

In Berlin wird nicht dementiert, dass in Hannover über eine solche Light-Version von TTIP geredet werden wird. Als sonderlich wahrscheinlich wird sie jedoch nicht eingeschätzt. Frankreichs Präsident François Hollande will seine Landwirte schützen, und Kanzlerin Merkel müsste den Bundestag dafür gewinnen, die Zustimmung zu einem reinen Handelsvertrag ohne Murren dem Europaparlament zu überlassen. Auch der ranghohe Kommissionsvertreter taxiert die Wahrscheinlichkeit daher nur bei etwa 30 Prozent. Er verweist jedoch auf die beiden Alternativen aus seiner Sicht: Entweder es gibt „in Hannover einen Durchbruch hin zu einem TTIP 1 mit der Zusage, anschließend bis 2018 über ein TTIP 2 zu verhandeln, oder es wird vor 2018 gar kein Abkommen geben“. Insofern seien die Treffen mit Obama am Sonntag und Montag eigentlich „die letzte Chance für TTIP“. Darauf drängen demnach vor allem die ebenfalls anwesenden Regierungschefs Matteo Renzi und David Cameron, der vor dem britischen EU-Referendum zumindest einen kleinen europäischen Erfolg verbuchen will.