Die Frankfurter Kunsthistorikerin Alice Selinger weiß, was im Mittelalter aufgetischt wurde. Foto: Michael Steinert

Die neue Sonderausstellung im Stadtmuseum Nürtingen räumt auf mit Mittelalter-Klischees wie dem opulenten Rittermahl und der Bratensoße, die nur so von den Bärten tropfte. Sie ist noch bis zum 2. Oktober zu sehen.

Nürtingen - W er glaubt, Essen im Mittelalter hätte auch nur im Geringsten mit Genuss zu tun gehabt, der irrt. Für den Großteil der in den Jahren zwischen 700 und 1400 lebenden Menschen ging es bei der Nahrungsaufnahme lediglich darum, einigermaßen satt zu werden. So war ungesalzener Haferbrei aus grobem, mit Wasser angerührtem Schrot über Jahrhunderte hinweg der wichtigste Bestandteil eines vorwiegend kargen Speiseplans. Die Sonderausstellung im Nürtinger Stadtmuseum „Klosterküche und Haferbrei – Esskultur im Mittelalter“ räumt auf mit der Mär vom opulenten Rittermahl, dem reichhaltigen Bauernschmaus und der Vorstellung von fettiger Bratensoße, die nur so von den Bärten der Esser tropfte.

Püriert, eingefärbt und völlig überwürzt

Alice Selinger, die Frankfurter Kunsthistorikerin und Ausstellungsmacherin, kämpft gegem die Klischees, die üblicherweise das Bild dieser Zeit zeichnen. Sie dokumentiert, was beim Adel und den Bauern tatsächlich auf den Tisch kam und sie ist sicher: „Keiner, der heute lebt, hätte auch nur ein Jahrzehnt im Mittelalter verbringen wollen.“ Mit ihren Informationstafeln und anschaulichen Dekorationen entführt sie in die Welt der mittelalterliche Esskultur, die unsere heutigen Geschmacksnerven und Mägen arg strapazieren würde. Der Adel, dessen Küche vergleichsweise abwechslungsreich mit Fleisch und Fisch gestaltet werden konnte, stellte selbst beim Essen bevorzugt Protz und Prunk zur Schau. So wurden beispielsweise Schwäne erst gekocht, um sie dann wieder mit Federn zu bestücken. Speisen jeglicher Art wurden püriert, der Effekthascherei wegen bunt eingefärbt und völlig überwürzt und gesüßt – man zeigte gerne, was man hat.

Im vierten Stand, der sich aus Bauern und Handwerkern zusammensetzte, gab es diesbezüglich nicht viel zu zeigen. Die Menschen konnten sich höchstens an Schlachttagen einmal vollstopfen – Mangelernährung und Hungerperioden waren an der Tagesordnung, Übergewicht kam nur in der Oberschicht vor. Und vom Mahlen des Getreides in den Mörsern waren die Zähne der armen Leute „vom Steinstaub total abgeschliffen “, erzählt Alice Selinger. Auch die Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen unterlag den Regeln der Ständegesellschaft. Je höher die Pflanze, desto edler die Früchte, lautete die Devise. Daher verwundert es nicht, dass der Begriff „Kraut und Rüben“ noch heute negativ belastet ist.

Knochenmehl und Kalk im Brotteig

Erst im Laufe des 13. Jahrhunderts wurde Brot zum Hauptnahrungsmittel, von dem es unterschiedliche Sorten für die verschiedenen Stände gab. Es galt: Je heller, desto kostbarer und teurer. „Ein Bauer hat nie in seinem Leben ein Weizenbrot gesehen“, sagt Alice Selinger. Entsprechend gab es Lebensmittelfälschungen aller Art. Etwa durch Bäcker, die dem Teig Knochenmehl oder Kalk beimischten, um Schwarzbrot aufzuhellen. Wurden sie erwischt, blühte ihnen als Strafe schon mal, in einem Käfig „über die Jauchegrube gehängt“ zu werden.

Im Gegensatz zum Rest der Gesellschaft ernährten sich Nonnen und Mönche ausgewogen und üppig. In den Klöstern wurde Pionierarbeit im Acker- und Weinbau, bei der Fischzucht, der Käseproduktion, dem Bierbrauen und der Züchtung von Obstsorten geleistet.

Wer zudem mehr erfahren will über die damals kostbaren Gewürze, die mittelalterlichen Bedeutung des Honigs, von höfischen Tischsitten, eingelegten Heringen und fantasievollen Wegen, die strengen Fastengebote zu umgehen, sollte sich die Ausstellung im Stadtmuseum Nürtingen nicht entgehen lassen.