Ein Metzger bei der Arbeit – die Frage lautet: Müssen Fleischesser ein schlechtes Gewissen haben? Foto: dpa

Was zeichnet gutes Fleisch aus? Ist es die Tatsache, dass das geschlachtete Tier zuvor ein glückliches Leben hatte oder die messbare Qualität für unsere Ernährung? Und: Wäre es nicht am besten, gleich ganz auf den Verzehr von nichtpflanzlichen Lebensformen zu verzichten? Ulrike Weiler zeigt in ihrem Buch „Fleisch essen? Eine Aufklärung“, wie stark die Diskussion von der Suche nach einfachen Antworten geprägt ist.

Stuttgart - Frau Weiler, müssen wir ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir im Supermarkt an der Wursttheke stehen, statt unser Biofleisch direkt ab Hof zu kaufen?

Das hängt davon ab, was der Supermarkt anbietet. Natürlich ist ein Bioproduktzunächst einmal eine gute Sache. Die konventionelle Tierhaltung und ihre Produkte sind aber längst nicht so schlecht wie ihr Ruf. Verheerend sind gerade nur die Preise, die den Landwirten gezahlt werden. Das ist bei Bio sicher besser. Meiner Ansicht nach bedient der Bio-Markt aber zu einem nicht unerheblichen Teil auch das Bedürfnis des Verbrauchers nach einem reinen Gewissen. Er will das Gefühl haben, dass das Tier, das er verzehrt einmal beim Bauern auf der Wiese gestanden hat – entsprechend dem idyllischen Bild vom kleinen, beschaulichen Bauernhof.

Ist dieses Bild denn so realitätsfern?

Die Frage ist, ob der Verbraucher immer sieht, was wirklich artgerecht und gute landwirtschaftliche Praxis ist. Viele Tierfreunde sind schlecht informiert und neigen daher zu undifferenzierten Urteilen. Nehmen wir die emotionalisierte Diskussion um die Kastration beim Schwein: Dass seit Jahrhunderten aus guten Gründen Eberferkel kastriert werden, um neben dem Geschlechtsgeruch auch problematisches Aggressions- und Sexualverhalten auszuschalten, wissen die meisten nicht. Unter dem Aspekt des Tierschutzes finden sie es gut, wenn Handelsketten propagieren ab dem kommenden Jahr nur noch Fleisch von unkastrierten Schwein zu verkaufen. Dass Eber sich aber während der Mast zum Teil schwerste Verletzungen zufügen, ist den Verbrauchern nicht bekannt. Dass sich unkastrierte männliche Tiere so massiv verletzen, ist dabei kein spezifisches Problem der Massentierhaltung. Untersuchungen an freilebenden Wildschweinkeilern zeigen, dass das nicht unnatürlich ist. Wenn die Verbraucher sich Aufnahmen der Verletzungen ansehen würden, würde ihnen vermutlich schnell klar, wie viel Tierleid durch einen Kastrationsverzicht entstehen kann.

Wirken die Wachstumshormone aus der Tierzucht auf den Menschen?

Besonders kritisch wird der Einsatz von Hormonen in der Tierzucht beäugt.

Ich bin für Transparenz, wenn es darum geht, was Tieren verabreicht wird. Für eine vernünftige Risikobeurteilung muss man sich dann aber auch mit den Substanzen auseinandersetzten. Hier gibt es leider unglaubliche Schauergeschichten. Im „Fleischatlas“ für 2014 wird behauptet, das in Milchpulver enthaltene Wachstumshormon Ractophamin habe in China bei Mädchen im Säuglingsalter zu Brustwachstum geführt. Das Brustwachstum wird allerdings durch Östrogene gesteuert und nicht durch Beta-Agonisten wie Ractophamin. Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass das Wachstumshormon eines Rinds oder Schweins beim Menschen gar keine Wirkung zeigt. Schon deshalb, weil es bei oraler Aufnahme verdaut und damit unwirksam wird.

Sind Hormone im Fleisch also unbedenklich?

Man muss unterscheiden. Fleisch enthält immer natürliche Hormone, die sind unbedenklich und werden abgebaut, ehe sie beim Verbaucher wirken können. Stoffe wie Paylean, das in den USA eingesetzt wird, sind dagegen auch oral wirksam und besonders bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht ungefährlich. Verharmlosen möchte ich den Einsatz von Hormonen sicher nicht. Vor allem darf man sie dem Verbraucher nicht einfach unterjubeln, wenn er sie ablehnt.

Glaubt man einigen Veganern, sind tierische Produkte per se ungesund.

Der Verzehr tierischer Produkte hat einen immensen Beitrag zur Entwicklung des Menschen geleistet, indem er die Energieversorgung sicherstellte, die für die Herausbildung unseres Gehirns notwendig war. Dass unsere Vorfahren begannen, mehr Fleisch zu essen, ermöglichte eine Verkürzung der Stillzeit, weil die Nahrung genügend Proteine lieferte. Das hat dazu beigetragen, dass unsere Spezies so erfolgreich wurde. Auch heute liefern Fleisch und Innereien wesentliche Mikronährstoffe.

Was bietet der Metzger an der Ecke?

Ihr Buch wird durch Rezepte von Sternekoch Markus Eberhardinger ergänzt…

Ich denke, die Fähigkeit Fleisch zu genießen, ist grundlegend für ein Umdenken hinsichtlich unseres Konsums. Kulturtechniken wie das Kochen gehen leider immer mehr verloren. Am Ende haben wir dann die Masse jener, die Billigprodukte essen und einen kleinen Kreis, der Höchstpreise für Gourmetprodukte ausgibt. Ich finde es problematisch, dass das Mittelsegment wegbricht: Der Metzger an der Ecke, der gute Qualität bietet. Die Beiträge von Herrn Eberhardinger sollen Lust auf Genuss machen und zeigen, wie vielfältig Fleisch essen sein kann.

Erst recht, wenn man auch das Hirn oder Innereien verzehrt.

Wenn wir ein Tier schlachten, sollten wir es ganz verwerten. Auch hier ist Vieles wieder eine Frage der Wertschätzung. Während ein Rinderpenis in Deutschland höchstens als „Ochsenziemer“ ins Hundefutter kommt – zum Preis von 80 Cent pro Kilo – wird er gleichzeitig für fünf Euro pro Kilo als Delikatesse nach Asien geliefert. Das entspricht etwa dem dreifachen, was ein Landwirt hier pro Kilo Schweineschlachtkörper bekommt. Gutes Fleisch sollte uns mehr wert sein.