Die Gäubahnzüge sollen am Flughafen nun doch nicht auf den S-Bahn-Gleisen fahren. Den Vorstoß aus Berlin will der Landesverkehrsminister aber ganz genau prüfen. Er hat ebenfalls eine Wunschliste für den Bahnknoten Stuttgart – und Forderungen an Stadt und Region.
Stuttgart - Die Gäubahnzüge sollen am Flughafen künftig nun doch nicht auf der S-Bahn-Strecke fahren, sondern in einem eigenen Tunnel. Was er von diesem Vorstoß aus Berlin hält und warum er einen Ergänzungsbahnhof in Stuttgart für nötig hält, sagt Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) im Interview.
Herr Hermann, der CDU-Politiker Steffen Bilgerhat einen Gäubahntunnel versprochen. Großer Coup von ihm?
Das ist nicht sein Konzept. Bei der Bahn hat man das schon länger überlegt, weil der Flughafenanschluss der Gäubahn nach alter Planung doch komplex und schwer zu bauen ist. Dann kam der neue Ansatz des Deutschlandtakts hinzu. Der bedeutet wirklich ein neues Denken bei Bahn und Bund. Endlich definiert auch der Bund den Netzausbau über die Netzwirkung in einem Deutschlandttakt.
Was halten Sie von der Entwicklung hier bei uns?
Den Ausbau des Nordzulaufs zum Hauptbahnhof hatten wir ja schon immer für nötig gehalten und gefordert. Große Freude also, dass man jetzt dafür einen Tunnel bei Zuffenhausen plant! Dazu sollen der neue Gäubahntunnel kommen und diverse weitere Ausbau-Maßnahmen bis zur Schweiz. Das scheint relativ viel Aufwand für etwas geringere Fahrzeiten, aber man erreicht die Knotenzeiten in Stuttgart und Zürich und hat erhebliche Reisezeitverkürzungen durch bessere Umstiege. Insofern ist es ein gutes Konzept, das neue Chancen eröffnet.
Aber?
Wir werden es gleichwohl sorgfältig prüfen. Insgesamt ist das ein neues Großprojekt, das gestemmt sein will. Das kriegt man nicht in fünf Jahren hin. Und es gibt dazu dringend zu klärende Fragen: Ist es wirtschaftlich und macht der Bund eine verbindliche Finanzierungszusage?
Imponiert Ihnen der Mut von Herrn Bilger wenigstens ein bisschen?
Er ging ein großes Risiko ein. Aber ob das so klug war? Momentan kann ja sein Ministerium noch kein grünes Licht geben, weil noch einige Prüfungen ausstehen. Und es gefährdet den Genehmigungsprozess für die bisherige Planung auf den Fildern. Warum soll eine Genehmigungsbehörde ein aufwendiges Verfahren machen, wenn der Bund als Eigentümer sagt, eigentlich wollen wir etwas ganz Anderes?
Dann wird das laufende Verfahren Ihrer Meinung nach gestoppt?
Die Bahn wird das Verfahren fortsetzen. Das Land und der Flughafen können und werden die alte Lösung erst loslassen, wenn die neue, größere Lösung und ihre Umsetzung verbindlich sind. Wir haben nur die Finanzierungsvereinbarung für das alte Projekt in der Hand. Das muss die Bahn bauen. Die Planungsverfahren für die neue Lösung sind zeitaufwendig.
Wahre Begeisterung über den Gäubahntunnel hört sich anders an.
Der Deutschlandtakt und die Veränderung des Knotens Stuttgarts sind Verbesserungen, das ist eine große Chance, keine Frage. Aber wir haben halt auch langjährige Erfahrungen mit S 21, der Deutschen Bahn sowie den Finanzierungsproblemen. Wir haben die Pflicht, nicht naiv zu sein. Gleichwohl prüfen wir das wohlwollend. Das Ganze ist dringend im Lenkungskreis S21 mit den anderen Projektpartnern zu besprechen.
Was macht Ihnen Angst?
Der schlimmste Fall wäre es, dass drei Jahre geplant wird und dann rauskommt, dass der neue Gäubahntunnel das Doppelte kostet und erst viel später als 2030 fertig wird. Und das Versprechen eines Parlamentarischen Staatssekretärs nützt nichts, wenn es im September 2021 eine andere Bundesregierung und einen anderen Staatssekretär gibt. Ob der Bund weiter Milliarden fließen lässt, ist nicht sicher, zumindest muss die Wirtschaftlichkeit bewiesen sein.
Wo sind, vom Geld abgesehen, für Sie die Knackpunkte?
Der Vorteil ist, dass die Gäubahn betrieblich von der S-Bahn zum Flughafen getrennt wäre. Allerdings haben wir am Flughafen dann ein Gleis weniger. Ich meine das sogenannte 3. Gleis für Gäubahnzüge, dessen Neubau bei der S-Bahn-Station zusätzlich vereinbart wurde, weil wir dachten, es wird da sehr eng. Nun wird es vielleicht in dem unveränderten Fernbahnhof eng. Die Gäubahnzüge dürfen aber nicht die Züge von und nach Ulm und Tübingen blockieren.
Ist dies das einzige Bedenken?
Nein. Die nördlich verlaufende Tunnelverbindung mit dem Flughafenbahnhof erfordert eine unterirdische 270-Grad-Wende. Das scheint alles leicht zu machen. Aber bisher habe ich noch nie erlebt, dass bei der Bahn unterirdisch etwas einfach gewesen wäre.
Sie denken auch, der neue Plan zerstört praktisch das Störfallkonzept für die S-Bahn. Warum?
Es gibt kein umfassendes Ausweichkonzept mehr. Dafür, sagte man, gebe es den neuen S-21-Fildertunnel vom Hauptbahnhof zum Flughafen. Aber bei einer Störung im Tunnel beispielsweise am Feuersee müssten die Fahrgäste am Hauptbahnhof auf volle Regional- und Fernzüge umsteigen und am Flughafen wieder in die S-Bahnen umsteigen.
Der S-Bahn gilt Ihre große Sorge?
Die Stammstrecke zwischen Hauptbahnhof und Schwabstraße ist ausgelastet. Das digitale Steuerungssystem ETCS, das dichtere Fahrten erlaubt, ermöglicht noch 10 bis 15 Prozent mehr Kapazität. Doch nach 2030 dürfte die S-Bahn am Ende ihrer Leistungsfähigkeit sein.
Sie wollen eine Ergänzungsstation in der Ebene -1 beim Hauptbahnhof. Doch nicht nur für die S-Bahn?
Wir planen neue Metropolexpresszüge und mehr Nahverkehrszüge. Auch für sie brauchen wir einen Andockpunkt. Aber das Wichtigste: Will man nach 2030 die Leistungsfähigkeit der S-Bahn steigern, braucht man neue Linien. Zum Beispiel könnten vom Norden und Osten her zusätzliche S-Bahnen zur Ergänzungsstation und zurück fahren. Deshalb müsste der Verband Region Stuttgart, Aufgabenträger des S-Bahn-Verkehrs, eigentlich der größte Anhänger dieser Station sein.
Ist er aber nicht. Warum nicht?
Dort dominieren Politiker, die seit jeher meinen, S21 sei so gut, dass man es nicht verbessern müsse. Sie wollen auch nicht, dass alle S-Bahnen nach Stuttgart fahren. Sie wollen lieber die „polyzentrische Region“ stärken. Ich aber sage, die meisten Menschen wollen von und nach Stuttgart.
CDU-Politiker und Bahn-Vertreter sagen aber immer noch: „Für eine Ergänzungsstation gibt es null Verkehrsbedürfnis.“ Und der OB-Kandidat der SPD betonte, S21 schaffe die Verdoppelung des Schienenverkehrs bis 2030.
S21 kann dieses Ziel erfüllen, wenn wir nur doppelstöckige Regionalverkehrszüge und Metropolexpresszüge einsetzen und die Gleise im neuen Tiefbahnhof doppelt belegen. Danach ist aber die Leistungsfähigkeit des unglaublich teuren Bahnhofes ausgeschöpft. Die Geschichte des Eisenbahnwesens, der Erde und des Klimaschutzes endet aber doch nicht 2030.
Die Priorität der Stadt mitsamt OB Fritz Kuhn und Städtebaubürgermeister Peter Pätzold von den Grünen ist es, die Grundstücke rasch nutzen zu können.
Verständlich. Daher möchten wir mit den Gleisen zur Ergänzungsstation unter die künftige Grünzone gehen. Wenn das Gelände mit Altlasten ohnehin abgeräumt werden muss, können der Tunnel und die Station ebenerdig als Beton-Kasten gebaut werden. Danach wird Erde darüber geschüttet. Ich möchte zumindest mit den Rohbauten Vorsorge treffen. Wenn das Baufeld verplant und zugebaut ist, wird eine Ergänzung nie mehr gebaut werden.
Was ist Ihr Appell an die Stadt?
Auch im Rathaus muss man die künftigen Verkehrserfordernisse mitdenken. Bebauung und Verkehrsvorsorge müssen zusammengehen.
Und Sie sind sich sicher, dass es geht?
Wir sind davon überzeugt, aber es bedarf einer technischen Machbarkeitsstudie. Und in der Wirtschaftlichkeitsberechnung muss in diesem Fall die Zukunftsvorsorge für den Klimaschutz und die Leistungsfähigkeit des Bahnhofes honoriert werden.
Ein anderer Aufreger ist zurzeit die Kappung der Gäubahn. Können Sie die verhindern?
Alle Bürgermeister und Landräte entlang der Gäubahn fordern, ich solle verhindern, dass der Hauptbahnhof im Sommer 2025 abgehängt wird, wenn der Kopfbahnhof sozusagen abgeschaltet wird und die Gäubahn jahrelang nicht mit dem Tiefbahnhof verbunden sein wird. Es werden wenigstens fünf Jahre sein. Wird der Gäubahntunnel realisiert, wissen wir nicht, wann er fertig sein wird. Inzwischen ist Konsens, dass die Gäubahnstrecke in der langen Interimsphase nicht wie gedacht im Regionalbahnhof S-Vaihingen enden soll, sondern man einen Nordhalt unten in Stuttgart schafft.
Das ist für Fernreisende suboptimal. Können Sie nichts Besseres hinkriegen?
Verhindert werden könnte die Kappung nur, wenn ein paar oberirdische Gleise liegen bleiben würden. Stünde der Verkehr im Vordergrund, würde man das tun. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass es einen fast einstimmigen Beschluss im Gemeinderat gibt, dass man das wegen des Städtebaus nicht will. Das muss ich akzeptieren. Also sage ich den Bürgermeistern und Landräten: Die Stadt Stuttgart könnte eure Probleme lösen, ich kann es nicht.