Der Nürtinger CDU-Abgeordnete Michael Hennrich war stets loyal zur Kanzlerin. Jetzt erklärt er, warum sich selbst Merkel-Getreue in der Union von ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik abwenden.
Berlin - Der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich (CDU) aus Nürtingen schildert die Spannungen in der Union wegen der Flüchtlingsfrage. CDU und CSU seien in einer dramatischen Situation, sagt er. Und er empfiehlt „den Druck“ zu erhöhen, damit es zu einer EU-Einigung in der Flüchtlingsfrage kommt.
Herr Hennrich, wir fragen Sie als jemanden, der die Politik der Kanzlerin stets gestützt hat: Wie groß ist im aktuellen Seehofer- Merkel-Konflikt der Rückhalt der Bundestagsfraktion für die Kanzlerin?
In der Sache wünscht ein sehr großer Teil der Fraktion – sicher die übergroße Mehrheit – ein Zeichen in der Flüchtlingspolitik, das so aussieht, wie es Horst Seehofer vorgeschlagen hat: Flüchtlinge, die bereits im Rahmen der Eurodac-Datei erfasst sind, die also in einem anderen Land schon registriert sind und dort einen Asylantrag gestellt haben, sollen an der Grenze zu Deutschland zurückgewiesen werden.
Weicht das Stimmungsbild in der Südwest-Landesgruppe davon ab?
Ich vermute, dass diese Haltung in der Landesgruppe sogar noch deutlich ausgeprägter ist als im Rest der Fraktion. Einige plädieren in dem Konflikt für eine vermittelnde Lösung, aber mir ist schlicht niemand bekannt, der ausdrücklich sagt, Seehofer hätte in der Sache unrecht.
Was bringt Sie dazu, in dieser wichtigen Frage von der Merkel-Linie abzuweichen?
Ich erinnere an die Zeit rund um den Jahreswechsel 2015/2016. Fieberhaft wurde damals versucht, eine abgestimmte europäische Lösung der Flüchtlingsproblematik zu finden. Gelungen ist das erst, als einige Staaten im Alleingang die Balkan-Route dicht machten. Erst das hat den notwendigen Druck aufgebaut, um schließlich zu einem abgestimmten Vorgehen und zum Abkommen mit der Türkei zu gelangen. Ich weiß, dass die aktuelle Situation bei weitem nicht mit 2015 vergleichbar ist. Aber die Zurückweisung der Flüchtlinge mit Eurodac-Registrierung würde erneut ein klares Signal auch an die europäischen Partner senden: Der Zwang zur Einigung würde wachsen. Wir alle wissen, dass Deutschland das Flüchtlingsproblem nicht im nationalen Alleingang lösen kann – aber wir können den notwendigen Druck erzeugen.
Zeigt in dieser Haltung nicht die ständige Propaganda der AfD, etwa in der Folge des Mordfalles Susanna, ihre Wirkung?
Schließlich sagen Sie selbst, dass die heutige Lage in keiner Weise mit 2015 vergleichbar ist. Die AfD, dieser - mit Verlaub - Vogelschiss der Parteiengeschichte-, interessiert mich einen feuchten Kehricht. Aber die Ereignisse der letzten Monate wühlen die Bevölkerung auf. Natürlich fragen die Bürger uns Politiker, warum wir keine Ordnung herstellen können. Daher ist dieses Signal der Ordnung und Steuerung wichtig. Wir müssen klar nach außen tragen, dass wir politische Kontrolle und Gestaltungskraft in der Flüchtlingspolitik zurückgewinnen.
Zusammengefasst: In der größten Herausforderung ihrer Kanzlerschaft, die Flüchtlingspolitik, steht Angela Merkel heute in der Fraktion mutterseelenallein da.
Nein. Sie hat ja in der Fraktionssitzung betont, dass sie in 62 von 63 Punkten des Masterplans Migration mit Seehofer einer Meinung ist. Es geht um eine einzige, sehr wichtige Frage. Da muss es zur Einigung kommen. Persönlich könnte ich mit einem kleinen Zeitfenster leben. So wäre es sicher in Ordnung, noch den EU-Gipfel Ende Juni abzuwarten. Aber es geht nicht, dass wir einfach so weiter machen wie bisher.
Dennoch hat die Fraktion in der Asylpolitik eine Wende hingelegt - weg von Merkel.
Jedenfalls kann man sicher sagen, dass die Politik von Angela Merkel in diesem Punkt hinterfragt wird.
Weil die Fraktion ihre Kanzlerin nicht mehr versteht?
Doch wir verstehen, die europäischen Rücksichtnahmen durchaus. Aber es ist wichtig, dass Angela Merkel auch unsere Sicht versteht.
Wie gefährlich ist der Konflikt, wenn er sich nicht lösen lässt, für die Union?
Es handelt sich um eine dramatische Situation. Was steht auf dem Spiel: letztlich die Kanzlerschaft Angela Merkels? Wir werden uns einigen. Der Druck ist auf beiden Seiten zu groß.