In Vorbereitungsklasse lernen die Kinder vor allem Deutsch, damit sie später am regulären Unterricht teilnehmen können Foto: dpa

Eigentlich hatten die Statistiker für die nächsten Jahre deutlich weniger Schüler erwartet. Doch dank der Flüchtlinge und weil es mehr Geburten gibt, steigen die Zahlen wieder.

Stuttgart - Eines wollte der damalige Kultusminister Andreas Stoch nie wieder erleben: Dass in den Klassenzimmern in Baden-Württemberg viel mehr Schüler sitzen als eigentlich angenommen. Deshalb entschied der SPD-Politiker 2014, dass die Vorausrechnungen des Statistischen Landesamtes in Zukunft jedes Jahr neu angepasst werden sollten. Das ist notwendig, um rechtzeitig für die nötigen Lehrer zu sorgen.

„Wieder mehr Schüler an allgemeinbildenden Schulen zu erwarten“, hat das Statistische Landesamt kürzlich gemeldet. An den allgemeinbildenden Schulen wird die Zahl der Schüler voraussichtlich bis zum Schuljahr 2018/19 noch etwas sinken – von derzeit 1 117 128 auf rund 1 108 400. Danach erwarten die Statistiker allerdings wieder mehr Schüler - 2025 rechnen sie mit 1 151 700 Mädchen und Jungen an öffentlichen und privaten allgemeinbildenden Schulen. Das sind zwar insgesamt 156 000 Schüler weniger als im Rekordjahr 2003/04 – allerdings deutlich mehr, als noch 2010 erwartet wurden. Damals gingen die Statistiker davon aus, dass 2025 nur noch 972 100 Schülern an allgemeinbildenden Schulen lernen.

Andere Rahmenbedingungen, andere Schülerströme

Heute sieht die Lage ganz anders aus – dank leicht steigender Geburtenzahlen und Zuwanderung. Die Zahl der Grundschüler könnte um über 45 000 auf dann 407 000 ansteigen. Bei den Realschulen erwarten die Statistiker einen Rückgang um fast 26 000 auf 183 000 Schüler. An den Gymnasien rechnen sie mit 268 000 Schülern, 4500 weniger als heute. Die Haupt- und Werkrealschulen könnten fast 55 000 Schüler verlieren und dann nur noch 40 000 Schüler haben – von den 1153 Hauptschulen im Jahr 2009 wurden mittlerweile mehr als ein Drittel mangels Schüler geschlossen, weitere werden auslaufen.

Den größten Schülerzuwachs wird es an den Gemeinschaftsschulen geben – diese hatten im vergangenen Schuljahr 35 113 Schüler, in zehn Jahren könnten es 110 000 sein. Hauptgrund für diese Entwicklung ist, dass an der neuen Schulart derzeit noch gar nicht alle Jahrgänge unterrichtet werden, weil die ersten Gemeinschaftsschulen erst 2012 starteten und in diesem Schuljahr noch neue dazukommen.

Die Einrichtung der neuen Schulart 2012 ist auch ein Grund, warum die 2010 erwarteten und die tatsächlichen Schülerzahlen so stark auseinandergehen. Ein weiterer ist, dass Grün-Rot damals die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft hat und viele Viertklässler mit einer Hauptschulempfehlung an eine andere Schulart wechselten. Die Hauptschulen verloren dadurch noch mehr Schüler als in den Jahrzehnten zuvor. Die Vorausrechnung der Statistiker aus dem Jahr 1997 zeigt, dass viele Eltern schon vor dem Regierungswechsel 2011 anders entschieden haben als Statistiker – und vor allem Politiker – ursprünglich annahmen. Weil sie für ihre Kinder höhere Bildungsabschlüsse wollten, wechselten seit langem immer mehr Grundschüler zur Realschule oder zum Gymnasium.

2450 Spezialklassen für junge Flüchtlinge

Solche Veränderungen können Statistiker ebenso wenig auf längere Sicht vorhersagen wie die große Zahl von Flüchtlingskindern, die in den vergangenen Monaten nach Baden-Württemberg gekommen sind und in Kindergärten und Schulen aufgenommen werden. Im Juli besuchten rund 41 000 Kinder und Jugendliche eine Vorbereitungsklasse, um Deutsch zu lernen - davon 8400 eine Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf. Dafür hat das Kultusministerium kurzfristig 2450 Spezialklassen eingerichtet, davon 515 an den beruflichen Schulen. Die beruflichen Schulen werden voraussichtlich wieder kleiner werden – im Teilzeitbereich sinken die Zahlen schon seit Jahren, weil immer weniger Schulabgänger eine duale Berufsausbildung in Betrieb und Schule machen. An den Vollzeitschulen könnten die Zahlen ab 2017 ebenfalls sinken.

Kultusministerin Susanne Eisenmann hat nach Veröffentlichung der neuen Zahlen die Grundschuleltern schon einmal beruhigt: Im neuen Jahr kämen zusätzlich 320 Lehrerstellen an die Schulen. Da diese vor allem für mehr Deutsch- und Mathestunden für alle eingeplant sind, könnte es in den Klassen doch enger werden.

Wie wichtig genaue Zahlen sind, hat Grün-Rot schmerzlich erfahren. Das Kultusministerium hatte sich über Jahre auf veraltete Vorausrechnung des Statistischen Landesamts verlassen. Die Statistiker hatten 2010 errechnet, dass die Schülerzahlen bis zum Jahr 2030 um voraussichtlich ein Viertel sinken würden. Das kam der damals neuen Regierung gerade gelegen – denn mit Blick auf die Schuldenbremse, die 2020 in Kraft tritt, musste sie langfristig sparen. Deshalb kündigte sie im Herbst 2012 an, bis zum Jahr 2020 insgesamt 11 600 Lehrerstellen abzubauen – etwa zwölf Prozent. Angesichts der geplanten Reformen – darunter die Einführung der Gemeinschaftschule, der Ausbau der Ganztagsschule und die Inklusion, der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderungen – warnten Lehrerverbände und Eltern vor den Kürzungen – verhinderten aber nicht, dass bis 2014 fast 3500 Stellen wegfielen. Erst als 2014 die Auswertung der Volkszählung bestätigte, dass die aktuelle Schülerzahl um über 30 000 über der prognostizierten lag, verzichtete sie auf weiteren Stellenabbau. Inzwischen sind es wieder 2000 Stellen mehr.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.reformen-bis-2020-kretschmann-sagt-schulen-zusaetzliche-lehrerstellen-zu.e071a313-3ce6-4df7-9fbd-74fd3d8de9ec.html

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.maengel-im-integrationskonzept-lehrer-verlangen-verlaengerung-der-fluechtlingsklassen.1d64d398-6953-462a-ba22-e02811a68f22.html