Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Stefan Mappus, kommt in Begleitung seiner Anwälte Franz Enderle und Andreas Strenkert zum Prozess am Landgericht. Mappus will von seinen damaligen Rechtsberatern der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz Schadenersatz, weil sie ihn beim EnBW-Deal falsch beraten haben sollen Foto: dpa

Nächste Etappe bei der Aufarbeitung des EnBW-Deals: Am Dienstag haben sich Ex-Regierungschef Mappus und die Kanzlei Gleiss Lutz vor Gericht getroffen. Es geht um viel Geld und neue Details.

Stuttgart - Das Umfeld ist wenig schmeichelhaft. Dienstag, kurz nach 10 Uhr: Am Landgericht Stuttgart finden wie so oft parallel mehrere Prozesse statt. Mal geht es um Diebstahl, mal um fahrlässige Körperverletzung. Und irgendwo dazwischen, in Saal 18, geht es um Falschberatung und Betrug. Hört sich erst mal harmlos an, ist es aber nicht. Denn drinnen treffen der ehemalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und Martin Schockenhoff, führender Anwalt der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz, aufeinander. Beide kennen sich seit Jahren. Aber an diesem Morgen würdigen sie sich erst einmal keines Blickes. Wen wundert’s. Mappus hat die Kanzlei auf Schadenersatz von mindestens 500 000 Euro verklagt. Der Grund: Gleiss Lutz soll Mappus im Dezember 2010 falsch beraten haben, als der in einer Nacht-und-Nebel-Aktion dem französischen Energiekonzern Electricité de France (EdF) den 45-Prozent-Anteil an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) abkaufte.

Gleiss Lutz gab damals nach tagelanger Prüfung grünes Licht, den Deal ohne Zustimmung des Landtags und mit Hilfe von Artikel 81 der Landesverfassung – dem sogenannten Notbewilligungsrecht – durchzuziehen. Das Problem: Das Geheim-Geschäft, das auf den ersten Blick trotz seines Volumens von 4,7 Milliarden Euro als spektakulärer Wirtschaftscoup made in Baden-Württemberg galt, erwies sich bei genauerer Betrachtung als politischer Bumerang. Denn der Staatsgerichtshof verurteilte die Nicht-Beteiligung des Landtags ein Jahr später als verfassungswidrig.

Aber wie konnte es so weit kommen? Und wer ist schuld an dieser juristischen Blamage? Genau das sind die Fragen, die die 9. Zivilkammer unter Leitung der Richterin Dorothea Grämmer in diesem Verfahren zu klären hat. Mappus jedenfalls betritt an diesem Morgen selbstbewusst das Gericht. Hier, wo schon die frühere Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck nach dem Flowtex-Skandal um ihr Recht kämpfte, will der 48-Jährige seinen ersten Schritt zur persönlichen und politischen Rehabilitation vollziehen. Schon 20 Minuten vor Prozessbeginn sitzt der Pforzheimer mit seinen Anwälten im Saal. Er scherzt, blättert in den Akten.

Da ist von der Gegenseite weit und breit noch nichts zu sehen. Mehr noch: Gleiss-Lutz-Topjurist Schockenhoff und seine drei Anwälte kommen zu spät. „Die wollen so wenig Öffentlichkeit wie möglich haben“, sagt ein erfahrener Jurist. In der Tat: Kanzleien lieben die Diskretion. Da gelten Fotografen und TV-Kameras als lästiges Übel, das man lieber meidet. Irgendwann sitzen die Kontrahenten dann aber doch gegenüber. Drei Meter Abstand zwischen zwei Alphatieren, die jetzt erbitterte Gegner sind, wo sie bei der Vorbereitung und dem Vollzug des EnBW-Deals noch enge Partner waren.

Ja, es sind dramatische Stunden in jenen Herbsttagen 2010. Nahezu Tag und Nacht rasen damals Tausende E-Mails zwischen der Regierungszentrale von Mappus, seinem Freund und Morgan-Stanley-Chef Dirk Notheis sowie der Kanzlei Gleiss Lutz hin und her. Stundenlang wird telefoniert, brüten die Experten über Paragrafen, ob das Geschäft juristisch auch wirklich wasserdicht ist – das alles bei Umgehung der eigenen Landesverwaltung und unter dem Geheimcode „Olympia“. Niemand soll von dem EnBW-Deal etwas erfahren, bevor die Tinte der Vertragsunterzeichnung in Stuttgart und Paris trocken ist. Selbst die Planung für denkbare Fragen und mögliche Antworten auf der Pressekonferenz, auf der der Deal am Mittag des 6. Dezember 2010 verkündet werden soll, wird ausgearbeitet. Kein Zweifel: Mappus will sein Ding machen. Eine Art politischer Sechser im Lotto wenige Monate vor der Landtagswahl 2011.

Und bei diesem Vorhaben verlässt er sich auf die Beratung durch Gleiss Lutz – jene international renommierte Kanzlei also, die in der besten Lage von Stuttgart residiert und seit einer gefühlten Ewigkeit das Land berät. „Dirk Notheis und Morgan Stanley waren für den ökonomischen Teil des Geschäfts zuständig, Gleiss Lutz für den juristischen Teil. So war die Vereinbarung“, umschreibt Mappus die damalige Aufgabenteilung, um dann das zu wiederholen, was er schon vor dem EnBW-Untersuchungsausschuss des Landtags gesagt hat: „Hätte es jemals rechtliche Zweifel an diesem Geschäft gegeben, hätte ich es sofort abgeblasen.“

Stellt sich also die Frage: Hat Gleiss Lutz nicht ausreichend vor dem verfassungsrechtlichen Risiko gewarnt? Oder wollten Mappus und Co. die Warnung nicht hören? Schockenhoff jedenfalls hat die entscheidenden Stunden ganz anders in Erinnerung. Notheis habe stets betont, „dass die gesamte Kommunikation über ihn laufen soll“. Im Klartext: Was der Investmentbanker an Mappus weitergab, könne man ja, bitte schön, nicht wissen. „Wir haben keine Kontaktdaten von Herrn Mappus erhalten“, beteuert Schockenhoff. Nun ist ein Schelm, wer glaubt, die Kanzlei wäre nicht in der Lage gewesen, einfach in der Zentrale des Staatsministeriums anzurufen, um zum Chef durchgestellt zu werden, auf dass man ihm die Brisanz der Lage persönlich schildert.

Mappus jedenfalls quittiert Schockenhoffs Schilderungen anfangs nur mit einem müden Lächeln. Als der Top-Jurist aber betont, er habe sowohl am Vorabend der Vertragsunterzeichnung – also am 5. Dezember kurz vor Mitternacht, als der damalige Finanzminister Willi Stächele das Notbewilligungsrecht unterschreiben musste – als auch am nächsten Morgen in der Sondersitzung der Landesregierung klar auf die rechtlichen Risiken des EnBW-Deals hingewiesen, hält es Mappus kaum noch auf dem Stuhl. „Wahnsinn“ und „unglaublich“ sind nur zwei Begriffe, die er zischt. Die Wahrheit sei ganz anders. Schockenhoff habe im Kabinett und später in den Fraktionen von CDU und FDP „explizit alle rechtlichen Risiken verneint“. Das wiederum treibt nun Schockenhoff die Zornesröte ins Gesicht. „Jetzt wird hier auf einmal behauptet, es hätte am Abend des 5. Dezember intensive Nachfragen gegeben. Das ist völlig unwahr“, schleudert er Mappus entgegen: „Es war klar, dass es keine Sache mit 100-prozentiger Absicherung ist.“

Das Gericht hört sich das verbale Gefecht der beiden Gegner geduldig an, die Anwälte setzen noch eines drauf, werfen sich mangelnde Lektüre der Schriftsätze vor. Schließlich schreitet Richterin Grämmer ein: „Haben Sie sich schon mal Gedanken über einen Vergleich gemacht?“ Das Interesse hält sich aber hörbar in Grenzen. Auf der einen Seite will Mappus nicht nur Recht, sondern auch Geld, um seine immensen Anwaltskosten zu begleichen. Oder wie es sein Anwalt Franz Enderle umschreibt: „Als Politiker wird man nicht wirklich reich.“ Auf der anderen Seite kämpft Gleiss Lutz um das bereits angekratzte Image: „Herr Mappus will ein Schuldeingeständnis von uns. Das können wir ihm nie und nimmer geben“, sagt Anwalt Uwe Hornung.

So geht der erste Prozesstag nach knapp vier Stunden ohne Ergebnis zu Ende. In den nächsten Wochen werden weitere Schriftsätze ausgetauscht, am 20. Januar 2015 will das Gericht entscheiden, Die Palette ist breit: Vielleicht wird das Verfahren wegen mangelnder Zulässigkeit eingestellt, vielleicht wird das damalige Landeskabinett in den Zeugenstand gerufen, vielleicht wird man die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft heranziehen, die gegen Mappus und Co. wegen des Verdachts der Untreue ermittelt, vielleicht fällt ein Urteil. Keiner weiß das an diesem Dienstagnachmittag. Nur so viel ist klar: Als die Kontrahenten das Landgericht verlassen, laufen sie zufällig an einem Werbebanner vorbei, auf dem für den Täter-Opfer-Ausgleich geworben wird. Nur wer ist in diesem Fall Täter, wer Opfer, wer sagt die Wahrheit, wer die Unwahrheit?

Die Frage bleibt ungeklärt. Dafür gibt es auf dem Gerichtsflur neuen Zündstoff zum EnBW-Deal. Im Mittelpunkt: Hilaria Dette, Regierungsdirektorin beim Rechnungshof. Nach Recherchen unserer Zeitung soll sie 2013 über das soziale Netzwerk Xing nach möglichen Belastungszeugen gegen Mappus gesucht haben, wurde vermeintlich fündig und meldete die Sache der Justiz. Der Verdacht: Mappus solle gegenüber einer prominenten Person (Name unserer Redaktion bekannt) bereits im April 2010 über seinen geplanten EnBW-Deal gesprochen haben.

Wenn das stimmen sollte, hätte sich Mappus der uneidlichen Falschaussage vor dem EnBW-Untersuchungsausschuss schuldig gemacht. Dort hatte Mappus stets betont, den EnBW-Deal erst im Herbst 2010 eingefädelt zu haben. Alles also auf null im schier unendlichen Bemühen, das Milliardengeschäft aufzuklären? Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigt am Dienstag, dass der Mann „inzwischen vernommen wurde“. Zum Ergebnis will sie nichts sagen. Insider sagen aber, an Dettes Verdacht sei „nichts dran“. Dette selbst war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Besonders pikant: Sie war es, die beim Rechnungshof federführend für den Bericht zum EnBW-Deal zuständig war, darin scharfe Kritik am Geheim-Geschäft übte und damit letztendlich auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Mappus auslöste. Der kommentierte das Vorgehen der Spitzenbeamtin am Dienstag auf Anfrage messerscharf: „Dass eine Direktorin solche Märchen erzählt, ist ein Unding. Dieser Vorgang ist für mich noch nicht erledigt.“