Ex-Ministerpräsident Mappus und der EnBW-Deal - eine lange Geschichte Foto: dpa

Wie gut oder schlecht wurde Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus beim EnBW-Deal beraten? Eine erst jetzt aufgetauchte E-Mail der Kanzlei Gleiss Lutz dürfte für neue Aufregung sorgen.

Stuttgart - Es ist der 5. Dezember 2010, kurz vor 23 Uhr. Willi Stächele, damals noch Finanzminister von Baden-Württemberg, sitzt auf dem Flur im Stuttgarter Staatsministerium. Der CDU-Politiker muss sich vorkommen wie der Hund, der draußen vor der Metzgerei angeleint wartet, während sein Herrchen drinnen einkauft. Und wirklich, hinter den verschlossenen Türen der Regierungszentrale steht ein großes Geschäft vor der Vollendung. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), sein Freund und Investmentbanker Dirk Notheis sowie Anwalt Martin Schockenhoff von der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz treffen letzte Vorbereitungen, um dem französischen Energiekonzern Electricite´ de France (EdF) den 45-prozentigen Anteil an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) abzukaufen. Mappus, so sagt er später, geht es darum, den EnBW-Anteil vor dem möglichen Zugriff ausländischer Investoren wie Gazprom zu sichern. Der zweite Teil der Wahrheit: Mappus kann sich mit dem fast fünf Milliarden Euro teuren Coup wenige Monate vor der Landtagswahl als wirtschaftspolitischer Macher profilieren.

Allein, die Herrenriege braucht für diesen Deal die Unterschrift des Finanzministers. Weil Mappus seinem obersten Kassenwart aber seit jeher nicht wirklich traut, hat der Ministerpräsident ihn in die wochenlangen Vorbereitungen des Geheim-Geschäfts nicht eingebunden. Erst jetzt, die Uhr zeigt bald Mitternacht, bittet er ihn herein. Und alles scheint glattzugehen. Jurist Schockenhoff erläutert Stächele die geplante Aktion, die – nach eingehender Prüfung von Gleiss Lutz – ohne Beteiligung des Landtags über die Bühne gehen soll.

Angesichts der finanziellen Dimension ist das nicht nur höchst brisant, es ist auch nur über Artikel 81 der Landesverfassung – das sogenannte Notbewilligungsrecht – machbar. Dabei handelt es sich um eine Art Rettungsanker für Regierende, zum Beispiel bei Naturkatastrophen, wenn schnelles Handeln „unabweisbar und unvorhersehbar“ ist, so die Bedingung. Aber handelt es sich beim Kauf von EnBW-Aktien um eine Naturkatastrophe? Wie auch immer. Stächele, so erzählt man sich später, soll dem Juristen noch einige Fragen gestellt haben und tut dann das, was alle im Raum von ihm erhoffen, besser gesagt erwarten: Er unterschreibt.

Was weder Mappus noch Stächele in diesem Moment wissen: An jenem Abend und trotz tagelanger Prüfung durch die Armada von Anwälten tauchen bei Gleiss Lutz offenbar Zweifel auf, ob das Notbewilligungsrecht juristisch wirklich wasserdicht ist. Der entsprechende, bislang noch unveröffentlichte Beleg für die plötzliche Skepsis ist erst jetzt in Justizkreisen aufgetaucht und liegt unserer Zeitung vor. Es ist eine interne E-Mail aus der Kanzlei Gleiss Lutz von jenem Abend des 5. Dezember 2010, gesendet um 22.20 Uhr an Schockenhoff. Er sitzt zu jener Zeit bereits bei Mappus in der Regierungszentrale, um die letzten Details des spektakulären Deals zu besprechen. Ob er die Mail seines Kollegen überhaupt gelesen habe? Keiner weiß das.

Die Botschaft des elektronischen Briefchens ist jedenfalls unmissverständlich. Als unvorhersehbar – also die erste Bedingung für den Notparagrafen – könne man die Aktion ja vielleicht noch einordnen, weil bei der Aufstellung des Landeshaushalts diese Ausgabe niemand habe ahnen können. Aber unabweisbar – die zweite Bedingung für den Notparagrafen – könne zum Problem werden. Und so schließt Schockenhoffs Kollege seine E-Mail mit dem Fazit, dass in diesem Fall der Artikel 81 eher nicht funktioniere, der angedachte Weg nach Einschätzung der Kanzlei also wohl nicht gangbar sei.

Dass die E-Mail das rote Ausrufezeichen und damit den Wichtigkeits-Status „Hoch“ trägt, spricht für die Dramatik jener Minuten. Aber auch der Hinweis aus der Gleiss- Lutz-Zentrale an Schockenhoff in der Mail, der hauseigene Verfassungsrechtler Clemens Weidemann sei jetzt für Rückfragen noch übers Handy erreichbar, bringt nichts mehr. Wenig später hat Stächele unterschrieben, und die EdF-Zentrale in Paris wird informiert, dass dem Verkauf der EnBW-Anteile nichts mehr im Wege steht.

Kein Zweifel: Diese E-Mail lässt die Entstehungsgeschichte des milliardenschweren EnBW-Deals in einem neuen Licht erscheinen und könnte ein entscheidender Faktor werden, wenn am 28. Oktober vor dem Landgericht Stuttgart der Prozess von Ex-Regierungschef Mappus gegen Gleiss Lutz beginnt. Der CDU-Politiker hat die Kanzlei auf Schadenersatz verklagt, der vorläufige Streitwert liegt bei 500 000 Euro. Die Begründung: Die Kanzlei Gleiss Lutz habe ihn zu keinem Zeitpunkt über die Risiken des Geschäfts informiert.

Zur Erinnerung: Gut ein Jahr nach dem Deal hatte der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg das Umgehen des Landtags durch Mappus als Verfassungsbruch verurteilt. Es war der Anfang vom politischen Ende für mehrere CDU-Granden. Nicht nur für Mappus. Auch für Stächele, der – inzwischen zum Landtagspräsidenten aufgestiegen – zurücktreten musste. Mehr noch: Der Rechnungshof des Landes gab dem Deal in Sachen Vorbereitung und Abwicklung und mit Blick auf die Landeshaushaltsordnung die Note „Sechs“, was wiederum die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief. Sie ermittelt seit Sommer 2012 gegen Mappus, Notheis, Stächele und den damaligen Staatsminister Helmut Rau (CDU) wegen des Verdachts der Untreue.

Noch ist ein Ende der Ermittlungsverfahren nicht absehbar, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Montag betonte. Dafür rücken nun aber Gleiss Lutz und ihr Partner Schockenhoff in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die entscheidende Frage: Hat die Kanzlei durch ihre „Falschberatung“ (Mappus) das ganze Drama erst ausgelöst? Schon in den Monaten nach dem EnBW-Deal, als ein Untersuchungsausschuss des Landtags versuchte, Licht ins Dunkel des Geheim-Geschäfts mit dem Decknamen „Olympia“ zu bringen, hatte es Zweifel an der Rolle von Gleiss Lutz gegeben. In der deutschen Anwaltsszene gab es kaum noch ein anderes Thema, und doch mochte niemand über den Kollegen den Stab brechen. Der Hauptvorwurf freilich blieb der Kanzlei wie eine Klette in den Kleidern hängen: Gleiss Lutz habe Mappus und Co. nicht ausreichend vor den verfassungsrechtlichen Risiken des Geschäfts gewarnt.

In der Tat erscheint das Wirken der renommierten Kanzlei, die seit gefühlter Ewigkeit die Landesregierung berät, in diesem Fall zweifelhaft. So kann sich der damalige Staatsminister Rau nicht an unmissverständliche Warnungen erinnern. Er habe „nie Zweifel empfunden“, sagte er rückblickend über das Auftreten von Schockenhoff. Auch andere bekamen in jenen Tagen die geballte Macht des Juristen zu spüren.

So stellt der damalige Europaminister Wolfgang Reinhart (CDU), selbst erfahrener Anwalt, am Morgen des 6. Dezember 2010 in der Sondersitzung der Landesregierung die simple Frage, ob das Geschäft aus der Nacht rechtlich wirklich abgesichert sei. Schockenhoff muss für die Nachfrage nur ein mildes Lächeln übrig gehabt haben und soll laut Sitzungsteilnehmern die Skepsis binnen Sekunden beiseitegewischt haben. Nach dem Motto: Wir wissen schon, was wir tun. „Der hat den Wolfgang behandelt wie einen Schulerbub“, sagt ein damaliger Minister im Rückblick. Andere schwiegen, hatten wie Reinhart aber auch Bauchweh. „Als wir am Montagmorgen im Kabinett von Herrn Schockenhoff unterrichtet wurden, war mir klar, dass wir mit erheblichen rechtlichen Risiken unterwegs sind“, erinnert sich der damalige Justizminister Ulrich Goll (FDP).

So ähnlich ging es an jenem Nikolaus-Tag auch den Regierungsfraktionen von CDU und FDP, wo der Gleiss-Lutz-Mann um Erklärungen gebeten wurde und die verbale Rute auspackte. „Jeder hat noch die Arroganz vor Augen, wie der Herr Schockenhoff uns abgebürstet hat“, sagt ein erfahrener Abgeordneter. Auch im Zeugenstand des Untersuchungsausschusses stießen Schockenhoff und seine Kollegen wiederholt auf Unverständnis. „Wo ist der deutliche Hinweis auf die Risiken dieses Weges?“, fragten zum Beispiel der CDU-Landtagsabgeordnete Volker Schebesta und der damalige Ausschussvorsitzende Ulrich Müller. Schockenhoffs kühle Antwort: „Sie sollten nicht nach dem Wort Risiko suchen.“

Es sind jene Momente, die diesen spektakulären Deal im Nachhinein noch merkwürdiger erscheinen und ihn endgültig zum Krimi werden lassen. Zumal Gleiss Lutz neun Tage nach dem Vertragsabschluss die rechtliche Stellungnahme zum Geschäft schriftlich darlegt und darin noch einmal den Weg über Artikel 81 als vertretbar einordnet. Schockenhoff und seine Kollegen sind sich dennoch keiner Schuld bewusst, wie sie im Untersuchungsausschuss betont haben. Erstens habe man das Land „in angemessener, ausreichender Form“ gewarnt. Zweitens sei allein Notheis ihr Ansprechpartner gewesen, und der sei nun mal „für die Weiterleitung der Informationen an die Landesregierung verantwortlich gewesen“. Soll heißen: Der damalige Morgan-Stanley-Chef trägt die Verantwortung, sollten Hinweise nicht bei Mappus angekommen sein. Und drittens habe man den Fall damals „nach bestem Wissen und Gewissen geprüft“.

Mappus freilich akzeptiert diese Darstellung nicht. Er hatte wiederholt betont, „wir hätten die Transaktion sofort abgebrochen, wenn es Zweifel an der Rechtslage gegeben hätte“. Doch es kam anders. Der Ministerpräsident verließ sich bei seiner Nacht-und-Nebel-Aktion auf die Anwälte. Und war verlassen. Wenige Monate später wurde er bei der Landtagswahl 2011 abgewählt.

Nun also kämpft der 48-Jährige vor Gericht um das Recht, um seine Reputation und Rehabilitation. Er werde „kämpfen, egal wie lange es dauert“, sagt er mit energischem Unterton, weil Gleiss Lutz ihn „mangelhaft beraten“ und „rechtliche Bedenken dezidiert verneint“ habe, wie es in der Klageschrift heißt. Die Kanzlei müsse ihm „sämtliche Schäden ersetzen“, wobei es sich neben Lohnausfällen vor allem um Anwaltskosten handeln dürfte. Sechsstellig ist die Summe schon jetzt.

Und ein Ende der Ausgaben ist noch nicht in Sicht. Für das Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart hat der Ex-Ministerpräsident immerhin Peter Gauweiler verpflichtet. „Für solch einen Prozess braucht man den Besten“, sagt Mappus über den gleichermaßen prominenten wie streitbaren Advokaten mit CSU-Parteibuch. In der Tat gilt Gauweiler als harter Hund in der Branche. Vor allem aber ist er erfolgreich, was auch Gleiss Lutz jüngst empfindlich zu spüren bekam. Im Verfahren zwischen Deutscher Bank und den Erben des Münchner Medienunternehmers Leo Kirch vertraten die Stuttgarter das Geldhaus und zogen am Ende den Kürzeren. Wer auf der Sieger-Seite des Gerichtssaals saß? Peter Gauweiler.

Kein Zweifel also, dass der Prozess ab 28. Oktober spannend werden dürfte. Wie Gleiss Lutz das Verfahren einschätzt, die neue E-Mail bewertet, was Schockenhoff sagt? Da schweigt die Kanzlei. „Wir geben derzeit kein Statement zur anstehenden Verhandlung ab“, sagt eine Sprecherin am Montag unserer Zeitung und „bittet um Verständnis“ für die Zurückhaltung. Auch auf der Homepage herrscht vornehme Distanz. Gleiss Lutz rühmt sich als „eine der anerkannt führenden international tätigen Anwaltskanzleien“, wo „Mandant und Mandat unsere Passion sind“.

Am Selbstbewusstsein hat sich also noch nichts geändert. Wenn da nicht noch eine E-Mail wäre, die im anstehenden Gerichtsverfahren eher für die Sichtweise von Mappus als für die der Kanzlei sprechen könnte. Es ist der 30. November 2010, 11.30 Uhr. Schockenhoff schreibt an den „lieben Herrn Notheis“, dass die Verfassungsrechtler der Kanzlei keine Einwände gegen den besprochenen Weg hätten, man die Angelegenheit also über Artikel 81 der Landesverfassung regeln könne, man dazu aber eben die Zustimmung des Finanzministers benötige. „Viele Grüße Martin Schockenhoff.“ Genau so kommt es dann auch an jenem 5. Dezember 2010, kurz vor Mitternacht, als Stächele unterschreibt.

Ob richtig oder falsch beraten, der Auftrag hat sich für Gleiss Lutz gelohnt. Unter dem Strich erhält die Kanzlei ein beachtliches Honorar, nämlich satte 2,7 Millionen Euro. Aber Mappus ist zuversichtlich, dass nicht nur die Staatsanwaltschaft Stuttgart das Verfahren gegen ihn alsbald einstellen wird, sondern er auch den Prozess gegen Gleiss Lutz gewinnen kann. „Ich werde kämpfen bis zum letzten Blutstropfen“, meint der Pforzheimer fast schon martialisch.

Was danach kommt? Ein wenig mehr Ruhe für die Familie, „keine Fotografen mehr, die unser Haus belagern“. Eine feste Anstellung in der IT-Branche, wo er derzeit als Freiberufler unterwegs ist. Und was wird aus seinem CDU-Parteibuch? Er wolle „nicht alle verdammen in der Partei“, nur mit „einzelnen Personen“ will der ehemalige Landesvorsitzende nichts mehr zu tun haben. Namen nennt er nicht. Eine Rückkehr in die Politik schließt er aber nicht aus: „Mich hat Politik immer fasziniert. Dieser Virus ist noch nicht ganz aus mir draußen.“