Anna Walther ist in der Ukraine geboren, die Bürgermeisterin von Schönaich wohnt in Renningen und spricht beider Mahnwache. Foto: Simon Granville/ 

Bei der Mahnwache zum zweiten Jahrestag der Verschärfung des Krieges betonen mehrere Redner die Bedeutung eines freiheitlichen und vereinten Europas.

Es ist kalt an diesem späten Samstagnachmittag, an dem sich rund 150 Menschen auf dem Ernst-Bauer-Platz in der Stadtmitte versammelt haben. Ein Bündnis vieler kommunalpolitisch aktiver Gruppen und der Kirchen haben zu einer Mahnwache an jenem Tag eingeladen, an dem vor zwei Jahren mit dem Überfall Russlands der Krieg in der Ukraine verschärft wurde. Es werde Krieg geführt gegen ein Land, das frei und unabhängig sein möchte, sagt Guilherme Oliveira, Vorsitzender der Renninger Grünen, der zusammen mit der SPD, den Frauen für Renningen, der Fraktion der Freien Wähler, der CDU und der katholischen Kirche die Veranstaltung organisiert hat.

Die Veranstalter wollen ebenfalls ein Zeichen setzen für ein freiheitliches und vereintes Europa, gerade jetzt mit Blick auf die bevorstehenden Europa- und Kommunalwahlen. Denn diejenigen, die die freiheitliche Gesellschaft zerstören wollen, machten derzeit mobil, mahnt Oliveira.

In der Ukraine geborene Bürgermeisterin spricht von Erniedrigung

Die kommunalpolitische Sicht bringt der Renninger Bürgermeister Wolfgang Faißt (Freie Wähler) ein. „Ich bin begeistert, wie groß die Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine in unserer Stadt ist“, sagt er mit Blick auf die wichtige humanitäre Hilfe. „Das breite Bündnis heute ist ein schönes Zeichen dafür.“ Er habe kürzlich beim regelmäßig stattfindenden Ukraine-Café gehört, dass sich viele Geflüchtete hier wohlfühlen. „Der entsetzliche Krieg macht uns alle betroffen, wir stehen an der Seite der Ukraine“, betont er.

Anna Walther, die in Renningen lebt, ist Bürgermeisterin von Schönaich. Geboren ist sie in der Ukraine. „Ich muss seit zwei Jahren zusehen, wie mein Heimatland erniedrigt wird“, ruft sie in die Runde. Putins Ziel sei es, die Ukraine als selbstständigen Staat zu vernichten. „Meine Hoffnungen auf friedliebende Menschen, die dem ein Ende setzen, wurden enttäuscht“, sagt sie mit Blick auf die Situation in Russland. Doch man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben, dass dort weitere mutige Kämpfer für die Demokratie aus der Deckung kommen. Die Unterstützung der Ukraine stelle Europa vor eine Mutprobe, so Anna Walther. Forderungen, diese Unterstützung einzustellen, kämen besonders aus dem politisch rechten Lager. „Deswegen müssen wir im Wahljahr Haltung zeigen und etwas tun“, so ihre Forderung. „Lassen Sie uns gemeinsam mehr Zuversicht, Hoffnung und Solidarität mit der Ukraine wagen, nicht weniger“, so ihr Appell.

19-Jähriger ist von Renningen aus an die Front gegangen

Musikalisch interpretiert Mareike Gude, Vorsitzende der Frauen für Renningen, mit der von ihr auf dem Saxofon gespielten Fanfare Te Deum von Marc-Antoine Charpentier das vereinte Europa, die Stadträtin Resi Berger-Bäuerle zitiert Literaturstellen zum Thema Frieden und betont, jedes Kind habe das Recht, gesund, umsorgt und vor Gewalt und Krieg geschützt aufzuwachsen. Kinder brauchen Liebe, Frieden und Freiheit ein Kinderleben lang, so die frühere langjährige Vorsitzende der Kinderfreunde Renningen.

An ihr Kind denkt auch Natalija Linchak ständig. Ihr 19-jähriger Sohn, der mit ihr auf der Flucht vor dem Krieg nach Renningen gekommen war, ist zurückgekehrt, um die Heimat zu verteidigen, sagt die Ukrainerin im Gespräch mit unserer Zeitung am Rande der Mahnwache. „Er ist jetzt an der Front und ich warte jeden Tag auf eine Nachricht von ihm, dass es ihm gut geht“, so die Frau, die derzeit als Lehrerin an der Berufsschule arbeitet.

72-Jähriger berichtet von Sohn, der verletzt wurde

Ehrenamtlich oder in Teilzeit bei der Renninger Sozialstation arbeiten andere Frauen, die mit ihr zur Mahnwache gekommen sind. „Auch die Rentnerinnen wollen hier etwas Gutes beitragen“, erklärt und dolmetscht sie für ihre Landsleute. Einer von ihnen ist Mykola. Der 72-Jährige zeigt Fotos und Videos von seinem 48-jährigen Sohn, der im umkämpften Osten als Soldat verletzt wurde und jetzt im Hospital ist.

Angesichts der vielen Kriegstoten, die die meisten Familien zu beklagen haben, sagt der alte Herr mit Tränen in den Augen: „Wir verlieren unsere Kinder, Verwandten und Freunde. Doch die zu haben ist doch das Wichtigste.“ Er ist überzeugt davon, dass Russland mit der Ukraine nicht aufhört. „Deswegen ist eure Hilfe so groß und wichtig“, lässt er durch seine Landsfrau Natalija übersetzen.

Dankbarkeit für die Unterstützung

Diese betont, dass die Mahnwache sehr berührend war, „wenn auch nicht alle alles verstanden haben“, meint sie mit Blick auf ihre Landsleute „Doch wir haben es im Herzen gespürt.“ Die Umstehenden nicken zustimmend, als Natalija Linchak betont, wie dankbar die Geflüchteten für die Unterstützung seien, die sie hier vor Ort erfahren.

Auch die Unterstützung für die Ukraine selbst soll weitergehen. „Sie hat kein Auslaufdatum“, erklärt Peter Seimer, Landtagsabgeordneter der Grünen. „Sie besteht solange, wie sie nötig ist“, versichert er. Den großen Wunsch nach Frieden intonieren schließlich Sängerinnen und Sänger der katholischen Kirchengemeinde gemeinsam mit den Mahnwache-Teilnehmern in dem Lied „Dona nobis pacem“ - gib uns Frieden.