Der Zahn der Zeit nagt an dem Gedenkstein, der bei Denkendorf zur Erinnerung an Heinrich Rottner aufgestellt wurde. Foto: /Ulrike Rapp-Hirrlingerr

An einen blutigen Kriminalfall der Nachkriegszeit erinnert ein verwitterter Stein an einer Wegkreuzung mitten im Wald. Er verrät, wen Wilderer 1947 dort ermordeten. Unsere Serie über geheimnisvolle Orte in der Region

Wo sich im Wald zwei Wege kreuzen, taucht plötzlich am Wegesrand ein mächtiger Stein auf. Die eingemeißelten Worte sind kaum noch zu entziffern. Das mit grünem Moos bewachsene Mahnmal erinnert an einen Mord, der sich 1947 zugetragen hat. „Hier wurde am 14.6.1947 unser Jagdfreund Heinrich Rottner, Rev.Förster durch Wilderer ermordet. Jagdvereinigung Esslingen“, erinnert die Inschrift auf dem großen, Gedenkstein im Denkendorfer Wald oberhalb der Talmühle an einen Kriminalfall, der noch lange Zeit die Menschen beschäftigte.

An dem Lost Place wurde die Leiche des erdrosselten Försters gefunden

Der Denkendorfer Revierförster Heinrich Wilhelm Rottner war im Sommer 1947 einige Tage – andere Quellen sprechen von Wochen – verschwunden gewesen. Eine groß angelegte Suchaktion, an der sich neben der Polizei auch Bürger und sogar Schulkinder beteiligten, verlief zunächst ergebnislos.

Das Opfer: Heinrich Rottner Foto: AG Foto Denkendorf

Karl Schweizer aus Esslingen-Berkheim war damals Jagdpächter und mit seinem Jagdfreund Erwin Bluthardt unterwegs. Er fand den Vermissten schließlich tot im Wald an der Einmündung des Rothäuleswegs in den Römerweg. Karl Schweizers Sohn, der inzwischen verstorbene Karl Schweizer jun. erinnerte sich noch gut: In einer Klinge am Rand des Alten Eichwaldes in einem metertiefen Graben mit wild durcheinander liegenden Ästen, Steinen und Laub fiel seinem Vater plötzlich auf, dass an einer Stelle mehrere Steine sauber aufeinandergeschichtet lagen. Das kam ihm merkwürdig vor. Als er die Steine beiseiteschob, kamen ein Stiefel und ein Bein zum Vorschein. „Meinem Vater war klar, dass das nur der Vermisste sein konnte.“ Rasch lief Schweizer zur Talmühle, um die Polizei zu benachrichtigen. Die herbeigerufenen Polizisten deckten den Leichnam auf, der sich tatsächlich als Rottner herausstellte. Die Rucksackschnur, mit der er erdrosselt worden war, habe er noch um den Hals gehabt, erzählte Schweizer.

Ob der Lost Place tatsächlich der Tatort war, bleibt rätselhaft

Ob die Tat dort geschah, wo die Leiche des Försters gefunden wurde, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Es gibt auch Vermutungen, dass Rottner im Löcherwäldle getötet wurde und die beiden Wilderer ihn dann zusammen mit einem Komplizen bis zum Fundort transportierten.

Die Schrift auf dem Gedenkstein ist nur schwer lesbar. Foto: Rapp-Hirrlinger

Das Dorf jedenfalls war in Aufruhr. Zunächst fiel der Verdacht auf den Jagdpächter selbst. Als angesehener Berkheimer Bürger war für den Schuhmachermeister ein solcher Verdacht ungeheuerlich. Zumal die Familie Schweizer eng mit Heinrich Rottner verbunden war und der Denkendorfer Förster häufig im Hause zu Gast war, wie Karl Schweizer jun. berichtete. Auch die inzwischen ebenfalls verstorbene Ella Reick aus Denkendorf erinnerte sich kurz vor ihrem Tod noch gut an Heinrich Rottner. Die damals 20-Jährige ging als sogenanntes Waldmädle dem Förster bei der Arbeit im Wald zur Hand. Noch am Tag vor seinem Tod sei Rottner bei ihr gewesen und sie hätten die anstehenden Arbeiten besprochen. Sie beschrieb den 1884 geborenen Heinrich Rottner als groß gewachsenen, „stattlichen, aber auch strengen Mann“.

Ursprünglich stammte das Opfer aus Ludwigsburg

Heinrich Wilhelm Rottner wurde am 4. November 1884 in Häfnerhaslach bei Ludwigsburg geboren. Er stammte aus einer bäuerlichen Familie mit 13 Kindern. Als Denkendorfer Revierförster wohnte er mit seiner Frau Emma und den drei Kindern im Forsthaus, das damals auf dem Klosterareal stand, wo sich heute das neue Pflegeheim befindet. Er gehörte zu den Honoratioren am Ort. Ein Foto zeigt ihn 1938 am Stammtisch mit dem Bürgermeister Geiger, dem Ehrenbürger Rothweiler und anderen bedeutenden Personen des Ortes. Am 6. August 1947 wurde Rottner beerdigt.

Die wahren Täter wurden rasch gefunden. Laut Landesarchiv waren es die ortsbekannten Diebe und Wilderer Gottlieb Maier und sein Sohn Arthur, die mit ihren Schlingen Hasen und Rehe jagten. Der Vater soll laut Reick „der schwarze Maier“ genannt worden sein. Für Rottner waren die beiden keine Unbekannten, hatte er sie doch mehrfach erfolglos angezeigt. Man vermutet, dass der Förster sie dieses Mal auf frischer Tat ertappte. Wie auch den Jägern war es dem Förster damals von der amerikanischen Besatzungsmacht verboten, Gewehre zu tragen. Rottner war also wehrlos. Der Komplize Emil Ways habe sich sogar noch an der Suchaktion beteiligt, erzählte Reick.

Familie des Opfers zog später aus Denkendorf weg

Gottlieb Maier beging noch während des Prozesses Suizid. Arthur Maier war mindestens bis zum Jahr 1953 in Haft. Nach dem Prozess, der wohl im Herbst 1947 stattfand, zog die Familie Rottner aus Denkendorf weg. Rottners Sohn war ebenfalls Förster. Auch von der Familie der Täter lebt längst niemand mehr in Denkendorf. Allein der Gedenkstein im Wald erinnert an den ermordeten Heinrich Wilhelm Rottner und die grausame Tat von einst.

So kommen Spaziergänger zu dem Lost Place

Zu Fuß erreicht man den Rottnerstein vom Wanderparkplatz im Körschtal aus. Auf der gegenüberliegenden Talseite führt der Römerweg hinauf auf die Filder. Auf halber Höhe steht links der Gedenkstein.

Geheimnisvolle Orte in der Region

Lost Places
Der Begriff beschreibt verlassene Orte, oftmals handelt es sich um aufgegebene, dem Verfall überlassene Gebäude. Nicht immer haben diese historische Bedeutung. Gemein ist ihnen jedoch ihre geheimnisvolle Aura. Die Bezeichnung Lost Place ist ein Pseudoanglizismus, der sich im deutschsprachigen Raum etabliert hat.

Serie
In loser Folge stellen wir in den kommenden Wochen Lost Places in der Region vor, erzählen ihre Geschichte und dokumentieren fotografisch ihr morbides Ambiente. Manche dieser Orte sind offen sichtbar, andere verfallen – teils seit Jahrzehnten – unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Geheimnisvolles Stuttgart
Auch direkt in der Landeshauptstadt finden sich viele Überraschungen. Von Tipps und Ausflugszielen bis hin zum Lost Place sammeln wir sie online unter dem Titel „Geheimnisvolles Stuttgart“.