Der drohende Parteiaustritt von Sahra Wagenknecht belastet auch die Suche nach einer neuen linken Fraktionsspitze. Foto: dpa/Karlheinz Schindler

Die Linkspartei fahndet händeringend nach einer neuen Fraktionsspitze. Mit einer überraschenden Teilnahme an einer Videokonferenz sorgt Sahra Wagenknecht für Spekulationen.

Politikern sagt man ja nach, stets einen hellwachen und begehrlichen Blick für Posten und Positionen zu haben. Die Linkspartei trägt derzeit sehr wenig zu diesem Verdacht bei. Die Bundestagsfraktion sucht nach den Rücktritten ihrer beiden Co-Vorsitzenden Almira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch eine neue Führung – und niemand hebt den Finger. Eigentlich soll bereits auf der Fraktionssitzung am 4. September, also schon in der kommenden Woche, die neue Spitze gewählt werden. Die Zeit drängt also bei der Kandidatensuche. Aber niemand ruft „Hier!“.

Dass der Job an der Spitze der Bundestagsfraktion vielen potenziellen Bewerbern so unattraktiv vorkommt, hat einen sehr plausiblen Grund: In der Linkspartei geht das Gespenst der Spaltung um. Sahra Wagenknecht versucht hinter den Kulissen auszuloten, ob genug linke Mitglieder den Weg mitgingen, um ein neues Parteienprojekt lohnend erscheinen zu lassen. Geht Wagenknecht, würde ihr eine Gruppe von etwa einem Dutzend Getreuen aus der Bundestagsfraktion folgen. Die Folge wäre der Verlust des Fraktionsstatus. Das macht die Position an der Spitze der Bundestagsabgeordneten derzeit nicht gerade anziehend.

Warum ist Wagenknecht überhaupt gekommen?

Seit Montag dieser Woche ist die Lage sogar noch etwas unübersichtlicher geworden. Der Parteivorstand hatte die Fraktionsmitglieder, den Vorstand sowie Spitzenfunktionäre aus den Landesverbänden zu einer Videokonferenz zusammengerufen. Zur großen Überraschung der Runde nahm auch Sahra Wagenknecht an der Besprechung teil. In zwei Wortmeldungen wiederholte sie ihre Kritik am Kurs der Parteiführung, die sich aus ihrer Sicht zu sehr mit zeitgeistigen Randthemen beschäftigt und das linke Kerngeschäft der Politik für Arbeitnehmer vernachlässige. Und wie gewöhnlich blieb sie bei der Nachfrage nach ihren Austrittsplänen wolkig.

Der Auftritt hinterließ bei den Beteiligten viele Fragen. Warum ist sie überhaupt gekommen, wenn sie doch mit der Linken abgeschlossen hat? Es gibt mindestens zwei Denkschulen: Die eine meint, sie wollte ihren Gegnern das Argument aus der Hand nehmen, sie beteilige sich nicht an der Gremienarbeit. Die andere Sicht: Wagenknecht mache allmählich die Erfahrung, dass sie mit ihren Parteigründungsplänen nicht recht weiterkomme und denke zumindest nach, ob es nicht doch innerhalb der Linken eine Zukunft geben könnte.

Das alles macht die Suche nach einer neuen Fraktionsführung noch komplizierter. Denn eigentlich ist man sich im Parteivorstand einig, dass die neue Führung das Wagenknecht-Lager nicht mehr berücksichtigen sollte. Die beiden anderen Machtzentren, die unter dem Signum „Reformer“ gehandelte Gruppe um den noch immer einflussreichen Dietmar Bartsch und die Gruppe, die die Linkspartei für neue Bewegungen wie die Klimaprotestler und die Migrationsaktivisten öffnen möchte, sollen sich – so der Vorsatz – zu einem neuen Bündnis zusammenfinden, dass endlich konstruktiv mit dem Parteivorstand zusammenarbeiten soll. Erst wenn das geklärt ist, geht es um konkrete Namen.

Auch Gregor Gysi ist wieder im Gespräch

Wie schwierig sich die Suche nach Kandidaten gestaltet, die in der Lage sind, die notwendigen Mehrheiten zu finden, sieht man daran, dass sogar erwogen wird, die Doppelspitze zu opfern. Eine Person findet sich leichter als zwei. Ein Name, der gehandelt wird, ist die erfahrene Gesine Lötzsch, eine der drei Abgeordneten der Linken, die bei der Bundestagswahl 2021 ein Direktmandat holen konnten. Aber auch der über allen Lagern schwebende Gregor Gysi ist im Gespräch. Der hat zwar schon abgewunken, aber viele glauben, dass er sich in einer Notsituation nicht versagen würde. Eigentlich wäre es folgerichtig, wenn die Parteichefin Janine Wissler wenigstens als Teil einer Doppelspitze antritt. Abgeneigt ist sie nicht. Aber Wissler muss sicherstellen, dass sie bei einer Kandidatur auch gewählt würde, sonst wäre sie auch als Vorsitzende dauerhaft beschädigt.