Julia Klöckner (CDU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD, rechts). Foto: dpa

Nicht nur in Baden-Württemberg, auch in Rheinland-Pfalz ist nächsten Sonntag Landtagswahl. So viel ist klar: Eine Frau wird Ministerpräsidentin. Nur wer? Beobachtungen aus dem Wahlkampf.

Mainz - Es ist ein ungemütlicher Morgen. Nieselregen, dazu ein kühler Wind, der durch die Rheinebene pustet. „Gebt mir mal bitte meine Jacke“, sagt Julia Klöckner zu einem Mitarbeiter, als sie ihren Wahlkampfbus verlässt. Jetzt krank werden, auf der Zielgeraden des Landtagswahlkampfs, das geht gar nicht. Willkommen in Wörth, einen Steinwurf von Karlsruhe entfernt.

Der örtliche CDU-Kreisverband hat in die Festhalle gleich neben dem Supermarkt zum Weißwurst-Frühstück geladen. Die Zuhörer sind überwiegend ältere Menschen. Klöckner, seit 2011 Fraktionschefin im Mainzer Landtag, weiß, wo es thematisch hier klemmt: Die zweite Rheinbrücke. „Ich hoffe, dass mit ihr das Projekt endlich kommt“, sagt ein Feuerwehrmann, der den süßen Senf ausgibt. Die Stadt ersticke im täglichen Lkw-Verkehr zum Daimler-Werk, und die Berufspendler rüber nach Karlsruhe würden auf der Brücke stundenlang im Stau stehen. „Dis Diskussion ist jetzt zehn Jahre alt, aber so lange in Stuttgart und Mainz SPD und Grüne regieren, geht nichts“, meint einer. Sie wollen den Regierungswechsel.

Und Klöckner? Am Abend zuvor sei sie mit der Kanzlerin unterwegs gewesen und habe ihr erzählt, dass sie am nächsten Morgen in Wörth ist. „Ist das nicht dort, wo die zweite Brücke fehlt?“, habe Merkel gesagt. Schon ist das Eis zu den Zuhörern gebrochen. „Wenn wir die Brücke wollen, muss auf beiden Seiten des Rheins anders gewählt werden“, sagt die Frau im hellblauen Wolljacket – ganz Kanzlerinnenlike – ganz keck und ergänzt: „Ich will nicht alles anders, aber manches besser machen.“ Klar ist aber: Dass es zu wenige Polizisten gibt, dass die Kinder in der Grundschule gemäß des Prinzips „Schreiben nach Gehör“ lernen, damit soll Schluss sein. „Lernen nach Rechtschreibregeln“, müsse es heißen. Und es brauche mehr Lehrer. „16 000 Unterrichtsstunden pro Woche fallen in Rheinland-Pfalz aus. Das ist ein Unding.“ Beifall aus der Runde. „Es ist Zeit für einen Neuanfang, gell“, meint sie mit pfälzischem Unterton und beantwortet ein Dutzend Fragen aus dem Publikum. Wo die Materie zu detailliert ist, folgt ihr immer gleicher Satz: „Schreiben Sie mir eine Mail. Ich kläre das.“ Klöckner, die Kümmerin.

Dreyer – die Faktenorientierte

Ortswechsel. Malu Dreyer, SPD-Ministerpräsidentin seit drei Jahren, besucht die Sektkellerei Wachenheim. Eigentlich ein Termin für Klöckner, die einstige Weinkönigin. Zum Anstoßen auf einen Wahlsieg und die Fortsetzung von Rot-Grün ist es aber noch zu früh. Doch Dreyer, die einst Sozialministerin war, ehe sie das Erbe von Regierungschef Kurt Beck antrat, will Nähe zur Wirtschaft zeigen. Sie will demonstrieren, dass dieses Bundesland trotz des nötigen Länderfinanzausgleichs gar nicht so arm ist. „Wir können stolz sein auf unsere Unternehmen“, sagt sie oft. So wie beim Besuch des Folienherstellers Renolit in Worms. Bei Brezeln, Keks und Kaffee lobt sich die Firma mit ihren 4500 Mitarbeitern zuhauf, beklagt aber auch massive Probleme: steigende Energiekosten, ausufernde Bürokratie, Probleme bei der Fachkräftegewinnung. „Der Mittelstand in Deutschland ist extrem belastet“, klagt der Firmenchef. Dreyer hört zu, dann verspricht sie: „Wir arbeiten daran, dass die Schnittstellen weniger werden.“ Dreyer, die Faktenorientierte.

Ortswechsel. Julia Klöckner ist in Landau. Besuch in einem nagelneuen Einkaufsmarkt. Fast könnte man meinen, gleich werde auf dem Fußboden ein Mittagsimbiss serviert, so sauber ist es hier. Klöckner setzt sich zu Leuten an den Tisch, die im Cafe gerade Mittagspause haben. „Wo arbeiten Sie?“ Kaum hört sie die Antwort, schiebt sie hinterher: „Klar, ihren Chef kenne ich. Sagen Sie Grüße.“ Für ein Power-Eibrötchen oder das Schnitzel-Weckle bleibt keine Zeit. Es geht durch den Markt. Hände schütteln, Wahlprospekte verteilen, Selfies zulassen.

Klöckner – die Überzeugerin

„Knackig, frisch, regional“ steht da in großen Buchstaben über der Obst- und Gemüseauslage. Die Wahlkampfstrategen hätten sich kein besseres Fotomotiv ausdenken können. „Ich wünsche Ihnen alles Gute“, sagen viele, in der linken Hand den Einkauf, in der rechten das Autogramm. „Ich bin gern unter de Leut“, sagt Klöckner, strahlt ihr Julia-Lächeln und ist schon halb im Gehen, da entdeckt sie das Weinsortiment. „Haben Sie auch Wein von der Nahe?“, fragt sie den Verkäufer. „Glaube ich nicht“, antwortet der. „Ja, und was ist das hier? Kommen Sie mal her“, sagt sie freundlich-bestimmt und hält ihm einen Spätburgunder vor Augen. Alles lacht. Klöckner, die Überzeugerin.

Ortswechsel. Im Hunsrück schneit es. Hier in Morbach, wo sie den Mond mit der Stange weiterschieben, treffen sich die Bürger in der Festhalle. Im Eingang liegen rote Aufkleber, darauf nur ein Wort: „Malu“. Und dann fährt sie vor mit ihrem Wahlkampfbus. „Zuhause unterwegs“ lautet das Motto. In der Halle hängen Plakate wie „Malu Dreyer – damit Bildung gebührenfrei bleibt“. Und so hält sie ihre Wahlkampfrede. Es könnte auch eine Regierungserklärung ein. Monoton im Tonfall, faktenorientiert. Sie lobt den Nationalpark Hunsrück, der dieser Region eine Perspektive gibt, sie will die ärztliche Versorgung auch in ländlichen Gebieten erhalten, sie verspricht die Versorgung mit Breitband, sie versucht den Bürgern deren Sorge in Sachen Flüchtlingskrise zu nehmen. Aber der Funke mag nicht überspringen. Vielleicht, weil sie es versäumt hat, die Wein-Majestät zu begrüßen. Es gibt höflichen Applaus. Mehr nicht. Ganz anders zwei Stunden später in Zell. Locker, charmant tritt sie auf. Sie wird bejubelt. Und meint später: „Da schwebt man regelrecht nach Hause, kommt zwar erst um halb eins ins Bett, steht aber dennoch um halb sechs gerne auf.“ Das ZDF-„Morgenmagazin“ bittet sie zur Live-Schaltung. Dreyer, die Hartnäckige.

Ortswechsel. Julia Klöckner ist in Neustadt an der Weinstraße. „Canvassing“ steht an, neudeutsch für Straßenwahlkampf. Dass am Stadteingang riesige Plakate ihrer Konkurrentin mit dem Slogan „Genau richtig für unsere Zeit“ stehen, nimmt sie gelassen. Überhaupt: Im Unterschied zu Baden-Württemberg gehen die beiden Spitzenkandidatinnen fair miteinander um. Attacken, gar Kampagnen? Nichts. Gut 30 Menschen haben sich auf dem Marktplatz versammelt. Es gießt. Klöckner verzichtet auf Wahlkampfparolen. „Über was wollen Sie reden?“ Bürger fragen, Klöckner antwortet. Es geht wieder um die Bildung, wieder um die Polizei, um die Ärzteversorgung und die überfällige Reform des Medizinstudiums: „Ein guter Mediziner muss nicht ein Einser-Abi haben.“ Und um Flüchtlinge. Aber nur am Rand. Leitlinie der CDU-Landeschefin: Die Fremden „fördern und fordern“. Man werde die Probleme lösen, aber eben nicht von heute auf morgen. Klöckner, die Verständnissuchende.

Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen

Ortswechsel. Dreyer besucht in Koblenz die Regionalzeitung, um sich von Schülern via Internet interviewen zu lassen. Es geht um das Wahlrecht für Jugendliche. Sie garantiert die Zukunft des Gymnasiums. Sie kritisiert die AfD: „Man hat das Gefühl, es mit Menschen wie in der Nazizeit zu tun zu haben.“ Dann konfrontiert sie eine Schülerin mit dem Unterrichtsausfall. „Ich möchte ein gutes Abi schreiben“, sagt die junge Frau, „aber wie soll ich das mit vier verschiedenen Lehrern, die ich in dem Fach jetzt schon hatte, denn schaffen?“ Die Ministerpräsidentin runzelt die Stirn, verspricht Besserung, Dreyer, die Kämpfende.

Und wessen Argumente überzeugen die Bürger am ehesten, wer wird Ministerpräsidentin im Nachbarland: Die 55-jährige Amtsinhaberin oder ihre 43-jährige Herausforderin? „Ich bin überzeugt, dass ich es schaffen kann“, sagen beide fast wortgleich. Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen.