Ukrainische Soldaten feuern mit einer Haubitze auf russische Stellungen. Foto: dpa

Die Ukraine beendet die Vorbereitung zur Frühjahrsoffensive. Aus Moskau sind erstaunlich kleinmütige Töne zu hören.

Flucht oder Tod. Jewgeni Prigoschin zeichnet düstere Szenarien für die russische Invasionsarmee in der Ukraine. Seine Einheiten bräuchten dringend mehr Munition, mahnt der Chef der Söldnertruppe Wagner. „Sonst werden wir bald rennen wie feige Ratten.“ Oder sterben. Die erwartete ukrainische Gegenoffensive könne „zu einer Tragödie für unser Land werden“, sagt Prigoschin, der inzwischen fast täglich Alarm schlägt.

„Wir müssen aufhören, unsere Bevölkerung zu täuschen“, fordert der langjährige Vertraute von Präsident Wladimir Putin. Und Prigoschin ist in Moskau nicht allein mit seinem Pessimismus. Der einflussreiche Militärblogger Igor Girkin warnt vor einer „Meuterei in der Armee“. Nach 14 Monaten Krieg scheint die Angst endgültig die Seiten gewechselt zu haben. Denn in Kiew herrscht großer Optimismus. „Unser Gegenschlag wird erfolgreich sein“, erklärt Präsident Wolodymyr Selenskyj. Verteidigungsminister Oleksij Resnikow scheint die Rückeroberung der russisch besetzten Gebiete im Osten und Süden des Landes bereits eingepreist zu haben. Im Anschluss müsse „ein Tribunal die Kriegsverbrecher im Kreml aburteilen“.

Grenzenloses Vertrauen in die eigenen Kräfte

Das klingt, als wäre die bevorstehende Offensive ein Spaziergang durch die russischen Linien. In jedem Fall zeugen die Aussagen der ukrainischen Führung von schier grenzenlosem Vertrauen in die eigenen Kräfte. „Alles ist bereit“, sagt Resnikow. Er meint die fast abgeschlossene Integration westlicher Waffensysteme in die ukrainische Armee.

Acht zusätzliche Sturmbrigaden mit sprechenden Namen wie „Hurricane“ wurden neu formiert, rund um die Leopard-2-Kampfpanzer aus deutscher Produktion oder die britischen Challenger. Etwa 50 000 frische, oft in Nato-Staaten ausgebildete Soldaten stehen für den „Sturm“ bereit. Das bringt selbst manchen Gast in den Propaganda-Talkshows des russischen Staatsfernsehens ins Grübeln. Immer öfter ist dort von „alarmierenden Entwicklungen an der Front“ zu hören.

Militärfachleute mahnen: „Wir dürfen nicht die gleichen Fehler machen wie im Herbst.“ Damals richtete der Generalstab in Moskau alle Aufmerksamkeit auf das Gebiet Cherson in der Südukraine. Doch dann schlugen die Verteidiger im Norden zu. Innerhalb weniger Tage befreite die ukrainische Armee im September Tausende Quadratkilometer Land. Russische Einheiten ergriffen panikartig die Flucht. Könnten sich die Ereignisse wiederholen? Für die Ukraine wäre das fast schon der optimale Fall.

Westliche Fachleuten sind skeptisch

Dagegen überwiegt bei vielen westlichen Fachleuten die Skepsis. Der ehemalige deutsche Nato-General Erhard Bühler verweist im MDR darauf, dass die russischen Einheiten sich seit dem Herbst in ihren Stellungen „tief eingegraben“ hätten. Das Gebiet Saporischschja ist für beide Seiten von herausragender Bedeutung. Für die ukrainische Armee wäre ein Durchbruch vom Fluss Dnipro bis zur Küste des Asowschen Meeres ein strategischer Coup. Die russisch besetzte Landverbindung vom Donbass zur Krim würde unterbrochen, die gegnerische Armee in zwei Teile zerschlagen. Deshalb haben die Besatzungstruppen dort dicht gestaffelte Schützengräben ausgehoben.

Sie ziehen sich teilweise über Dutzende Kilometer durch das Land, ergänzt durch sogenannte Drachenzähne. Das sind Panzersperren. Hinzu kommen ausgedehnte Minenfelder. Ein Überraschungsangriff wie im Herbst in Charkiw ist dort ausgeschlossen. Die meisten Experten erwarten für die kommenden Monate ein hochdynamisches Geschehen. „Die bessere Logistik gewinnt Kriege“, sagt der frühere US-General Ben Hodges. Genau in diesem Bereich hätten die modernisierten ukrainischen Streitkräfte Vorteile.