Verteidigungsminister Boris Pistorius (Mitte) auf dem Weg zum Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel. Foto: dpa/Virginia Mayo

Eine Million Artilleriegranaten sind der Ukraine versprochen, doch das Ziel wird weit verfehlt. Beim Treffen der EU-Verteidigungsminister macht man sich auf die Suche nach den Schuldigen.

Schlechte Stimmung bei den EU-Verteidigungsministern. Noch ehe das Treffen in Brüssel begonnen hatte, wurde eine Schuld-Frage herumgereicht. Denn das Versprechen der EU, bis zum Frühjahr 2024 eine Millionen Artilleriegranaten an die Ukraine zu liefern, wird wohl nicht eingehalten. „Die eine Million werden nicht erreicht. Davon muss man ausgehen“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius, noch bevor er sich mit seinen Kollegen an einen Tisch gesetzt hatte. Grund seien unzureichende Produktionskapazitäten. Offensichtlich wurden bisher lediglich rund 300 000 Artilleriegranaten an die Ukraine geliefert.

Pistorius weist alle Schuld von sich

Dann machte der deutsche Verteidigungsminister deutlich, dass ihn keine Schuld an dem Versagen treffe. Er habe von Anfang an Zweifel an dem im März ausgegebenen EU-Ziel gehabt, betonte Pistorius. Es habe bereits vor dem Beschluss Stimmen gegeben, die gesagt hätten: „Vorsicht, eine Million ist leicht zu beschließen, und das Geld ist da – aber die Produktion muss da sein.“ Die mahnenden Stimmen hätten jetzt leider recht.

Der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur musste sich in diesem Fall direkt angesprochen fühlen. Denn die baltischen Staaten hatten immer wieder gefordert, die Ukraine mit mehr Munition zu unterstützen. Er kritisierte am Rande des Treffens in Brüssel, es könne nicht sein, dass Nordkorea Russland Geschosse liefere, die EU aber nicht die Ukraine versorgen könne. Man müsse einfach mehr beschaffen und mehr kaufen. Sein eigenes Land investiere rund 30 Prozent des nationalen Verteidigungsbudgets in die Munitionsproduktion, unterstrich Pevkur. In dieselbe Kerbe schlug der lettische Verteidigungsminister Andris Spruds, der in diesem Fall mehr „Ehrgeiz und Ambitionen“ von den EU-Staaten forderte.

Die Rolle der Rüstungsindustrie

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell suchte den Schuldigen bei der Rüstungsindustrie, die genügend Produktionskapazitäten habe. Etwa 40 Prozent der Produktion werde derzeit in Drittländer exportiert, kritisierte der Spanier. Dass nicht genug Munition da sei, liege also daran, dass die Unternehmen ihre Produkte auf andere Märkte schickten.

Auch EU-Industriekommissar Thierry Breton widersprach Pistorius. Er betonte, die europäische Rüstungsindustrie habe ihre Kapazitäten um 20 bis 30 Prozent erhöht, wie in Teil zwei des Ukraine-Hilfsplans vorgesehen. Damit könnten bis zum Frühjahr eine Million Geschosse produziert werden. „Dieses Ziel wird erreicht“, unterstrich Breton. „Nun hängt es von den Mitgliedsländern ab, die Verträge zu schließen.“ Diesen Vorwurf wollte Boris Pistorius allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Er sieht die Rüstungsindustrie in der Pflicht. „Die Produktion muss hochgefahren und beschleunigt werden, das ist das Gebot der Stunde“, betonte er.

Deutschland erhöht die Hilfe für die Ukraine

Auch wollte sich Boris Pistorius nicht vorwerfen lassen, dass Deutschland zu wenig für die Ukraine tue. In Brüssel verwies er auf die bilaterale Ukraine-Militärhilfe, welche die Bundesregierung von vier auf acht Milliarden Euro erhöhen will. „Ich erwarte auch von anderen Partnern noch mehr“, sagte der SPD-Politiker und machte Druck auf die anderen EU-Mitgliedsländer. Dieser Beschluss bedarf allerdings noch der Zustimmung des Bundestages. Pistorius sagte in Brüssel, dass das wohl in der kommenden Woche über die Bühne gehen werde.

Zu den Akten gelegt wurde bei dem Treffen in Brüssel der Plan des EU-Außenbeauftragten Borrell, der zusätzlich 20 Milliarden Euro für einen gemeinsamen Militärhilfe-Fonds forderte. Aus dem Topf können sich die Mitgliedsländer Waffenlieferungen an die Ukraine teils erstatten lassen. In diesem Fall verwies Boris Pistorius, dass Deutschland nicht in einen weiteren EU-Topf einzahlen wolle. Bereits beim EU-Gipfel Ende Oktober hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ablehnend auf Borrells Vorstoß reagiert. Deutschland leiste in der EU bereits jetzt die höchste bilaterale Hilfe für die Ukraine. „Das ist das, worauf wir uns jetzt konzentrieren sollten“, sagte Scholz. Borrell deutete nun an, er wolle seinen Plan bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte Dezember überarbeiten.