Unter Druck: Innenminister Thomas Strobl (CDU). Foto: dpa

Über die gewaltsam verhinderte Abschiebung in Ellwangen erfährt die Regierungszentrale in Baden-Württemberg erst zwei Tage später – allerdings nicht vom zuständigen Minister Thomas Strobl (CDU), sondern aus der Nachrichtenagentur. Die FDP fordert Aufklärung.

Stuttgart - Im Fall Ellwangen wurde nicht nur die Öffentlichkeit durch die Polizei mehr als 60 Stunden nicht über die von rund 150 Flüchtlingen gewaltsam vereitelte Abschiebung informiert. Auch bei der regierungsinternen Kommunikation hat es gehapert.

 

Wie Recherchen unserer Zeitung ergaben, stand montags in der morgens obligatorischen Lageinformation des Lagezentrums im Innenministerium für den internen Gebrauch kein Wort über die Attacke auf die Polizisten und die gescheiterte Abschiebung in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen (Ostalbkreis) aus der vorigen Nacht. Die Ressortspitze wurde zwar noch im Laufe des späten Montagvormittags über die Ereignisse informiert. Doch weil diese die Info – trotz der politischen Bedeutung – nicht an die Regierungszentrale des Landes weiterleitete und auch am Mittwochmorgen nichts darüber im Lagebericht stand, erfuhren Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Staatsministerium von der gelungenen Revolte der Flüchtlinge erst am Mittwochmittag – aus der Nachrichtenagentur.

Was steckt hinter dem Kommunikationsdefizit?

Unterschätzten Innenminister Thomas Strobl (CDU) und seine Strategen etwa die Brisanz der Ereignisse? Oder sollte die Nachricht über die gescheiterte Abschiebung durch massive Bedrohung bewusst unter Verschluss gehalten werden?

Ein Sprecher des Innenministeriums wies den Vorwurf, dass man den Fall habe vertuschen wollen, scharf zurück. Auf die internen Informationsflüsse wollte er auf Anfrage unserer Zeitung gleichwohl nicht eingehen. Dazu äußere sich das Ministerium grundsätzlich nicht, sagte er.

Strobl kann Informationspolitik der Polizei nachvollziehen

Zuvor hatte es Kritik an der zögerlichen Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums (PP) Aalen gegeben. Erst am Mittwoch, als mehrere Medien bereits über die Ereignisse von Ellwangen berichteten, reagierte die Sicherheitsbehörde mit einer Pressemitteilung. Ihr Sprecher Bernhard Kohn begründete dies vor allem mit den polizeitaktischen Überlegungen wegen der bereits seit Montag laufenden Vorbereitungen für die Razzia am Donnerstag. Um den Erfolg dieses Polizeieinsatzes nicht zu gefährden, habe sich das Polizeipräsidium Aalen für eine zurückhaltende Informationspolitik entschieden, sagte Innenminister Strobl am Donnerstag dem SWR: „Das kann ich nachvollziehen.“

Sein Sprecher betonte danach: „Der Einsatz, der am Donnerstagmorgen stattgefunden hat, wurde bereits ab Montag geplant. Insofern hätte eine zu intensive und breite Kommunikation den Einsatz schwerer oder sogar unmöglich werden lassen können.“

FDP fordert Aufklärung über die Kommunikationsstrategie

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hält das für eine Ausrede. „Die Kommunikationsstrategie des Polizeipräsidiums und des Innenministers ist alles andere als schlüssig“, sagte er unserer Zeitung, „denn wenn eine Veröffentlichung der Angriffe auf die Polizei am Montag den späteren Polizeieinsatz gefährden sollte, müsste dies erst recht für die Diskussion der Ereignisse am Mittwoch gelten.“

Warum Innenminister Strobl die Kommunikationsstrategie der Aalener Polizei nachvollziehbar findet, wird er am Mittwoch im Parlament erklären müssen. Die FDP hat einen Dringlichkeitsantrag eingebracht. Damit, sagte Rülke, könne der Landtag die Ereignisse in Ellwangen diskutieren und die Angriffe auf die Polizei verurteilen.

Aus seiner Sicht scheint es naheliegender, dass die Polizei und der Minister sich Zeit für die Planung des Gegenschlags verschafften wollten. So habe sich Strobl einen Tag nach der Diskussion als starker Mann präsentieren können, sagte Rülke: „Bei einer Veröffentlichung am Montag hätte sich die Bevölkerung drei Tage lang beunruhigt gefragt, was mit dem Land und der Polizei los ist, dass der Angriff folgenlos bleibt.“

Kretschmann bereiten die Vorfälle Sorge

Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte in einer Rede auf dem Grünen-Parteitag am Wochenende, die Vorfälle in Ellwangen trieben ihn um, weil sie die Rechtsvorstellungen der Menschen und damit „die Tiefenarchitektur unserer Gesellschaft“ berührten. Die Polizei lobte der Regierungschef für ihr Vorgehen in der Flüchtlingsunterkunft. Es sei kein „Haudrauf wie in Autokratien“, sondern besonnen und entschlossen gewesen.

In der Nacht auf Montag hatten rund 150 Flüchtlinge Polizisten bedroht, die einen 23 Jahre alten Mann aus Togo aus der Unterkunft für eine Rückführung nach Italien abholen wollten. Die Beamten mussten den Einsatz abbrechen. Bei einer Razzia am Donnerstag wurde der Mann dann doch gefasst. Er sitzt inzwischen in Abschiebehaft.