Diese Sitzbänke in der Königstraße sollen ausgelichtet werden. Foto: Haar

In der Königstraße sollen Sitzbänke abgebaut werden, damit Wohnsitzlose nicht länger darauf lagern. So kann man Probleme nicht lösen, findet Kommentator Jan Sellner.

Stuttgart - Sitzen Sie gut? Die Frage stellt sich. Nicht weil auf den folgenden Zeilen eine Aufsehen erregende Nachricht verkündet würde. Im Gegenteil, der Vorgang ist unspektakulär; es handelt sich um eine lokale Randnotiz – um rund zwei Dutzend Sitzbänke in der unteren Königstraße. Sie sollen nach dem Willen der Stadt und der Mehrheit im Sozialausschuss abgebaut werden. Warum? Damit man sich dort nicht mehr ausbreiten kann. Die Maßnahme zielt nicht auf den Stuttgarter an sich; der sitzt zumeist gut und im Warmen. Es geht um „Teile der Obdachlosenszene“, Sinti und Roma und andere Wohnsitzlose, die sich auf den Bänken an den Rondellen niederlassen. Dem Ordnungsamt, Geschäftsleuten, Passanten und anderen sind sie ein Dorn im Auge. Jetzt wird gehandelt. Die Bänke kommen weg. Kurz vor dem Winter.

Um es genau zu sagen: Die Sitzgelegenheiten werden systematisch ausgelichtet. Man schafft Lücken zwischen den Bänken, um zu verhindern, dass sich Wohnsitzlose ausstrecken. Wer’s dennoch versucht, muss ein Schlangenmensch sein. Das sind die Menschen, um die es hier geht, nicht. Oder allenfalls in der Form, dass sie in der Gesellschaft ganz hinten stehen.

Rund 1000 Obdachlose in Stuttgart

Die Begründung für die Restriktion klingt einleuchtend: Sitzbänke sind zum Sitzen da und keine Lagerplätze, wie Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) in Übereinstimmung mit dem Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) erklärt. Ebenso klar ist aber auch, dass die Menschen, die in dieser Stadt leben, einen Platz benötigen. Auch Obdachlose. Laut dem Förderverein Helfende Hände handelt es sich in Stuttgart um rund 1000 Personen. Der kleinere Teil davon sind Sinti und Roma. Alle diese Menschen bewegen sich in Nischen, und sie sitzen in den seltensten Fälle gut.

Ihnen den öffentlichen Raum zu nehmen, mag dem verbreiteten Bedürfnis nach einem intakten Stadtbild entsprechen. Königstraße und Bettelleute – das ist schon sprachlich ein Widerspruch in sich. Man löst ihn jedoch nicht auf, in dem man den Boulevard herausputzt und die Habenichtse vergrämt und in Hinterhöfe abdrängt. Menschen, die sich ehrenamtlich in der Obdachlosenhilfe enagieren, nennen das städtische Vorgehen „blamabel“. Andere Kritiker sprechen von „Augenwischerei“ und einer Verlagerung des „Problems“: „Die Leute sind da und sie brauchen einen Platz.“ Den gibt es für sie in Stuttgart jedoch nicht in ausreichendem Maße – ebensowenig wie Fürsprecher. Stattdessen spielt man mit den Betroffenen die Reise nach Jerusalem.

Demo zum Erhalt der Sitzbänke

Armut ist real und sie wächst – auch im reichen Stuttgart. Weder üppige Schaufensterauslagen noch der glitzernde Weihnachtsmarkt täuschen darüber hinweg. Diesem Problem muss man sich in anderer Weise stellen als bisher geschehen. Eine für diesen Samstag geplante Demonstration zum Erhalt der Sitzbänke in der Königstraße, wird hoffentlich den Blick darauf lenken. Die Lösung kann nicht sein, Obdachlosen Schlaf- und Sitzgelegenheiten zu entziehen. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, sie im wahrsten Sinne des Wortes nicht sitzen zu lassen.

jan.sellner@stzn.de