Etliche Stuttgarter Stäffele sind in einem schlechten Zustand. Foto: Petsch

In Stuttgart sollen Asylbewerber jetzt die Möglichkeit haben, beim Garten-, Friedhofs- und Forstamt mitzuarbeiten, um beispielsweise Stäffele in Ordnung zu bringen. Eine gute Initiative, findet StN-Lokalchef Jan Sellner.

Stuttgart - Es geht um die Stuttgarter Stäffele. Weiß zufällig jemand, in welchem Zustand die überwiegend sind? Fragen wir doch einen Stäffele-Experten, Eberhard Rapp, der ein schönes Buch über die Stuttgarter Treppenlandschaft geschrieben hat („Stäffele – Stuttgarts Wahrzeichen“) und sich dafür bis zu 400 Stäffele aus nächster Nähe angesehen hat: „Die Stufen geraten aus den Fugen, die Geländer rosten vor sich hin“, sagte der im Interview mit unserer Zeitung. „Manche Staffeln sind in einem beklagenswerten Zustand. Wir alle sollten uns mehr um die Stäffele kümmern, sie prägen Stuttgart.“

Ein erstaunlicher Befund in einer Stadt, die so viel auf Sauberkeit und Ordnung hält und deren Bewohner man liebevoll „Stäffelesrutscher“ nennt. Nach längerem Nachdenken ist man im Stuttgarter Rathaus jetzt entschlossen, etwas für die Stuttgarter Stäffele zu tun. Und gleichzeitig auch etwas für die Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind und in ihren Unterkünften die Zeit totschlagen, weil sie auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten. Viele von ihnen würden ihre Zeit lieber für eine Beschäftigung nutzen. 100 von ihnen haben dazu bald Gelegenheit: Die Stadt bietet ihnen an, für 1,05 Euro pro Stunde die Stäffele in Ordnung zu bringen. Ein Treppenwitz? Keineswegs. „Wir schaffen es, dass die Menschen ihren Tag strukturieren können, und sie geben ihrerseits der Gesellschaft etwas zurück“, erklärt Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle im Chor mit der schwarz-grünen Gemeinderatsmehrheit.

Asylbewerber als Stäffeles-Kümmerer

Asylbewerber als Stäffeles-Kümmerer – das erinnert an die Kofferträger-Aktion des charismatischen CDU-Oberbürgermeisters von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold. Mit seiner Initiative zur freiwilligen Beschäftigung von Asylbewerbern machte er vor einiger Zeit bundesweit Schlagzeilen. Früher als andere erkannte er, dass die Menschen, die hierher kommen, nicht in Wartezimmern verharren sollten, sondern Arbeitsperspektiven brauchen. Davon berichten auch die Freiwilligendienste in der Diözese Rottenburg-Stuttgart: „Wir erleben Flüchtlinge als motivierte Menschen, die ein Stück Normalität durch einen geregelten Arbeitsalltag suchen“, heißt es dort. Deshalb ist die Stuttgarter Stäffeles-Initiative richtig und wichtig – auch wenn sie mit erheblichem Betreuungsaufwand verbunden ist und damit nicht billig.

Ein nächster Schritt könnte sein, dass Asylbewerber Stäffelestouren für Einheimische und Reingschmeckte anbieten. Eine schöne Vorstellung. Warum auch nicht? Bis dahin dürfte es allerdings noch etwas dauern – trotz Sprachkursen, die Teil des städtischen Beschäftigungsangebots sind. Gut Ding will Weile haben. Besonders die Integration. Darauf hat in dieser Woche auf sehr souveräne und gelassene Weise die langjährige Karlsruher Regierungspräsidentin Gerlinde Hämmerle bei einem Auftritt im Alten Schloss hingewiesen. Hämmerle, ein SPD-Urgestein, sagte: „So schwierig die Flüchtlingssituation im Augenblick ist und so berechtigt viele Sorgen sind – wir werden am Ende alle davon profitieren.“

Woher rührt diese Zuversicht? Aus dem sicheren Wissen darum, wie scheinbar riesige kulturelle Hürden auf dem Weg des sich Vertrautmachens beseitigt werden können. Man denke nur daran, welche tiefe Ablehnung einst „Katholischen“ entgegenschlug, die es in evangelische Dörfer verschlug oder umgekehrt. Es hat lange gedauert, doch heute sind die Gegensätze überwunden. Die Prognose sei gewagt: Irgendwann werden die Asylbewerber, die jetzt unsere Stäffele putzen, Stuttgarter sein: echte Stäffelesrutscher.

j.sellner@stn.zgs.de