Die Freiburger Islamwissenschaftlerin Johanna Pink: „Kritische Wissenschaft ist darauf angewiesen, frei von Vorgaben zu sein.“ Foto: Uni Freiburg

Islamwissenschaftler protestieren gegen möglichen Einfluss von Tübinger Islamtheologinnen auf die Forschungsförderung.

Tübingen/Freiburg - Normalerweise drängt es die Deutsche Morgenländische Gesellschaft (DMG) nicht an die Öffentlichkeit. Doch zuletzt gab sich die 1845 gegründete Organisation, deren Name romantische Bilder von Karl Mays Kara Ben Nemsi wachruft, offen kämpferisch. Mit „entschiedenem Einspruch“, so heißt es in einem offenen Brief der Interessenvertretung der Islamwissenschaftler, protestiert die DMG dagegen, dass gleich zwei Tübinger Islamtheologinnen bei den Wahlen zum Fachkollegium Islamwissenschaften, Arabistik und Semitistik der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) kandidieren.

Ein Gremium wie dieses spielt eine wichtige Rolle bei der Vergabe von DFG-Forschungsgeldern. Und mit jährlichen Ausgaben von 3,4 Milliarden Euro ist die DFG die größte Wissenschaftsförderungsorganisation Europas. Kein Wunder, dass Wissenschaftler genau hinschauen, wer in die Gremien kommt. Die Online-Wahlen dazu haben in diesen Tagen begonnen und dauern noch bis Mitte November. Bei den zwei Kandidatinnen aus Tübingen – von sechs Zugelassenen – handelt es sich um die beiden Islamtheologinnen Lejla Demiri, Vizeleiterin des Zentrums für Islamische Theologie, und die Religionspädagogin Fahima Ulfat.

Grundlegend verschieden

„Die Islamwissenschaft unterscheidet sich prinzipiell von der islamischen Theologie“, kritisiert die Islamwissenschaftlerin Johanna Pink die Vermischung. Der DMG-Brief führt weiter aus: Die islamische Theologie sei ein bekenntnisorientiertes Fach, das den hier lebenden Muslimen eine akademische Repräsentanz geben solle und der Ausbildung des geistlichen Nachwuchses diene. Eine kritische Islamwissenschaft sei gerade darauf angewiesen, „frei von den Vorgaben religiöser Gemeinschaften zu sein“. Zu den beiden Tübinger Kandidatinnen will sich die DMG nicht äußern. Pink weist aber darauf hin, dass in der islamischen Theologie keine Qualifikationen zur Begutachtung islamwissenschaftlicher Forschungsanträge vorausgesetzt werden können. Über Demiri ist von anderer Seite zu erfahren, sie könne wenig Deutsch, Ulfat sei Grundschulpädagogin. Die DMG vermutet, die Uni habe die Theologinnen gepuscht. Die Uni Tübingen verneint dies. Sie habe Vorschläge gesammelt, das Rektorat für die DFG eine Gesamtliste abgezeichnet, so eine Sprecherin.

Demiri erzählte 2012 dem „Tagespiegel“ vom Koranunterricht bei Mustafa Ceric, ehemaliger Großmufti von Bosnien und Gründungsmitglied des Europäischen Fatwa-Rates, der der Muslimbruderschaft zugerechnet wird. Ulfat zählt zu den Aktivisten gegen ein Kopftuchverbot für Minderjährige des Netzwerks Rassismuskritische Migrationspädagogik.

Einfluss ausländischer Regierungen

Schließlich sehen die Islamwissenschaftler generell die Gefahr, dass „über die islamische Theologie auch ausländische Regierungen Einfluss nehmen könnten“, so Pink. Sie nennt das Beispiel des türkischen Islamverbandes Ditib, der über theologische Vertreter mit Sympathien für die Erdogan-Regierung kritische Forschungsanträge zur modernen Türkei ablehnen könnte. Dieses Risiko sieht die Uni Tübingen nicht. Für Professoren gelte „die Freiheit von Forschung und Lehre“. Regierungen hätten „keine Möglichkeit, auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Tübingen Einfluss zu nehmen“.

In dem Wissenschaftsstreit fordert die DMG „sobald wie möglich“ für die islamische Theologie eine eigene Fächergruppe mit eigenem Fachkollegium wie in der christlichen Theologie.

Die DFG sagt öffentlich nicht viel. Man stehe mit der DMG im Austausch. Es handle sich um Missverständnisse. Nun haben die rund 150 000 Wissenschaftswähler das Wort. Sicher auch ein Grund für den Schritt der DMG an die Öffentlichkeit: die eigene Klientel zur Wahl bewegen, um die Unabhängigkeit zu bewahren.