Am Islamzentrum der Universität Tübingen wächst ein Netzwerk der Muslimbrüder. Doch der Rektor sieht keine Nähe zu verfassungsfeindlichen Positionen.
Tübingen - Ein muslimischer Professor am Zentrum für islamische Theologie rollt seinen Gebetsteppich aus und fordert seine Studenten auf, es ihm gleichzutun. Eine Universitätsangestellte klagt über Druck, weil sie es gewagt hat, während des Fastenmonats Ramadan eine Flasche Wasser auf ihren Schreibtisch zu stellen. Und vor einigen Wochen erst: Junge männliche Studenten verlangen von ihren Mitstudentinnen, sie hätten in Lehrveranstaltungen wie in der Moschee hinter den Männern zu sitzen.
Alle drei Episoden – geschehen am Islamzentrum der Universität Tübingen. Wird damit – mitten in Baden-Württemberg – ein Einfallstor für den reaktionären Islam geschaffen? Eine Insiderin berichtet: Frauen würde der Händedruck verweigert, der Blick in ihre Augen gemieden. „Die Konservativen drücken die Liberalen immer mehr an die Wand“, so die Frau zur Entwicklung am Islamzentrum in der beschaulich-klassizistischen Villa Köstlin an der Rümelinstraße.
Von Anfang an Sorgen
Es sind Geschehnisse und Einschätzungen wie diese, die Zweifel nähren an der islamischen Theologie, so wie sie an einer deutschen Universität wie Tübingen praktiziert wird. Kritiker hatten von Anfang an die Sorge geäußert, die Islamzentren – es gibt inzwischen sieben in Deutschland – könnten zum Einfallstor für konservative Glaubenslehrer und deren Inhalte werden.
Damit in Deutschland ein friedlicher und mit einer vielfältigen Gesellschaft verträglicher Islam heimisch wird, braucht es einen islamischen Religionsunterricht, so lautet seit Jahren der Standardsatz von Bildungsplanern, Politikern, Kirchenvertretern. Und zur Ausbildung der islamischen Religionslehrer braucht es die islamische Theologie an den Hochschulen. Der Bedarf scheint riesengroß: Nur rund 6000 Schüler (vier Prozent) von schätzungsweise 180 000 muslimischen Schülern erhalten im Südwesten bisher islamischen Religionsunterricht.
Anfang 2010 hatte der Wissenschaftsrat der Bundesregierung vorgeschlagen, wie bei der christlichen Theologie Institute für „Islamische Studien“ zu gründen, um islamische Religionslehrer, Sozialarbeiter oder Seelsorger auszubilden. Da es im Islam keine Kirchenstruktur gibt, sollten Beiräte eingerichtet werden, in denen die umstrittenen Islamverbände wie die türkisch-islamische Ditib oder der erzkonservative Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) bei der Berufung von Wissenschaftlern und der Ausgestaltung der Studiengänge mitbestimmen.
„Keine finsteren Fundis“?
Die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte rasch Geld zu. Auch die Länder beteiligten sich. Als erstes nahm das Islam-Zentrum in Tübingen im Herbst 2011 mit 36 Studenten den Lehrbetrieb auf. Inzwischen sind es mehr als 200, zwei Drittel davon Frauen. Das Bundesbildungsministerium fördert die islamische Theologie in Tübingen mit insgesamt 7,6 Millionen Euro bis 2021. Auch das Land hat bisher neun Millionen Euro investiert. Und es werden noch mehr. In drei Jahren soll ein Neubau mit fünf Stockwerken fertig sein nahe der evangelisch-theologischen und der katholisch-theologischen Fakultäten. Geplant sei ein „theologischer Campus“, so eine Uni-Sprecherin. Geplante Baukosten für das Land: knapp 17 Millionen Euro. Langfristig sollen aus heute sieben Professorenstellen 13 werden.
Die Grünen-Wissenschaftsministerin Theresia Bauer ist voll des Lobes. Im gerade beigelegten Streit mit Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) über die neue Stiftung für den Islamunterricht sagte sie: Tübingen betreibe kritische, aufgeklärte Theologie: „Das sind keine finsteren Fundis.“
Aber stimmt das, oder überdecken solche Sätze nicht die Probleme, die es mit der islamischen Theologie in Tübingen gibt? Denn unter den Dozenten finden sich einige, die Kontakte mit den Muslimbrüdern (MB) pflegen. Generell ist es ein Problem bei Personen wie Gruppen aus dem Dunstkreis dieser weltweit operierenden Islamisten: Niemand tritt offen als Muslimbruder auf. Deshalb liefern oft nur Vernetzungen Hinweise.
Umwandlung des Bildungswesens
Wie zum Beispiel beim Tübinger Koranwissenschaftler Omar Hamdan. Der sitzt im Vorstand von Avicenna, einem Begabtenförderwerk für muslimische Studenten. Avicenna-Geschäftsführer Hakan Tosuner war bei der Muslimischen Jugend Deutschland (MJD) und der Jugendorganisation Forum der Europäischen Jugend- und Studentenorganisationen (Femyso) aktiv, beides MB-nahe Organisationen, die laut Bundeszentrale für politische Bildung auf junge Muslime einwirken, sich von Andersgläubigen abzugrenzen, um wahrhaft islamisch zu leben. Hamdan fungiert auch als Mitherausgeber der Zeitschrift „Hikma“, in deren Beirat Tarik Ramadan sitzt, ein Enkel des MB-Gründers, den Kritiker seit Langem mit den Muslimbrüdern in Verbindung bringen.
Oder Mouez Khalfaoui, Professor für islamisches Recht. Eigentlich gilt er nicht als sonderlich religiös. Doch im Sommer 2014 weilt er zu Besuch beim Internationalen Institut für Islamisches Denken (IIIT) im US-Staat Virginia. Stolz präsentiert das Institut, ein US-Ableger der Muslimbrüder, ein Video von ihm im Internet. Vermehrt werden in der Folge Kontakte zu Personen aus dem Dunstkreis der MB sichtbar. Khalfaoui bestreitet jede Nähe zur Bruderschaft. Sein Auftritt bei der MB-Denkfabrik sei „rein wissenschaftlich“ gewesen. Und auch die Einladung eines Gelehrten der Muslimbrüder im November 2015 habe der „wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ gedient. Hamdan ließ Nachfragen unbeantwortet.
Baden-Württembergs Verfassungsschutzbericht warnt: Zu den Zielen der Muslimbrüder zählten „die Islamisierung durch Missionierung“, die „Beendigung der ‚kulturellen Verwestlichung‘“ und die Etablierung einer „islamistischen Staats- und Gesellschaftsordnung“, inklusive Scharia. Dabei setze man auf „die Umwandlung des Bildungswesens“. Ihre Ideenwelt, so das Fazit des Dienstes, ist „im Kern zutiefst verfassungsfeindlich“. Dabei verfolgen die aus Ägypten stammenden Extremisten eine Doppelstrategie, sagt die Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann-Marschall: „Nach außen wird ein tolerantes und dialogbereites Image gepflegt.“ Dies diene nur dazu, um ihren wahren Fundamentalismus gegenüber Politik und Gesellschaft zu verschleiern.
Trojanisches Pferd
Seit Jahren werden auch weitergehende Kooperationen zwischen dem Tübinger Zentrum und dem Scharia-Staat Katar sichtbar, mit Besuchen von Wissenschaftlern, die den MB zugeordnet werden können, oder mit einem neuen gemeinsamen Forschungsprojekt – ausgerechnet zu Frauenrollen. Das reiche Erdgas-Emirat gilt unter Arabisten nicht als Zentrum arabischen Lebens. Dafür tritt die islamistische Oligarchie um den jungen Emir Tamim bin Hamad al-Thani als Schutzpatron und Förderer des Chefideologen der Muslimbrüder, Yusuf al-Qaradawi, der palästinensischen Terrororganisation Hamas und anderer militanter Islamisten auf. Israels UN-Botschafter bezeichnete Katar 2014 als „Club Med für Terroristen“.
Die Ex-SPD-Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid warnt seit Längerem vor extremistischen Einflüssen auf das Tübinger Islamzentrum. „Sorge bereitet mir, dass sie hiesige Studierende über kurz oder lang unterrichten. Welches Welt- und Frauenbild wird künftig unseren Kindern in der Schule vermittelt?“, fragt sie. Die CDU-Integrationspolitikerin Birgül Akpinar meint: „Wer als säkularer Staat einen Islamunterricht einführt und die nötigen Protagonisten an seinen Hochschulen ausbildet, muss seine Handlungshoheit bewahren. Sonst droht die gute Absicht zum trojanischen Pferd des politischen Islam zu verkommen.“
„Substanzlose“ Vorwürfe
Doch Uni-Rektor Bernd Engler wiegelt ab: „Seit Jahren wird immer wieder versucht, das Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen zu diskreditieren und in die Nähe von radikalen oder gar verfassungsfeindlichen Positionen zu rücken.“ Diese Vorwürfe seien stets „substanzlos“. Für die beiden angegriffenen Professoren verbürgt sich die Uni. Man sehe „keine Anhaltspunkte für Aktivitäten, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren sind“, heißt es. Eine „kritische bis hin zur streitigen Auseinandersetzung“ auch mit Wissenschaftlern, die nicht die eigene Position teilen, gehöre zum „akademischen Diskurs“. In Theresia Bauers grünem Wissenschaftsministerium will man den Hinweisen nachgehen.
Jahrelang hieß das Islamzentrum auf dem Schild vor der Villa auf Arabisch: „Institut für die schariatischen islamischen Wissenschaften“. Als dies auffiel, gab es einen neuen Schriftzug. Heute steht dort auf Arabisch: „Institut für Islamische Wissenschaften. Dozenten, ihre Lehren und Netzwerke sind aber sicher nicht so leicht zu entschärfen.