Klaus Otto, Präsident der Gartenfreunde (links), überreicht eine kleine Anregung an Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Frische Erdbeeren sind eklig und das Essen kommt aus dem Supermarkt. Immer mehr Kinder und Jugendliche wissen wenig über Pflanzen und Tiere. Ein Gartenverband will jetzt gegensteuern.

Stuttgart - Harald Schäfer könnte endlos Geschichten erzählen. Etwa die vom Schullandheimaufenthalt einer Schulklasse. Die Herbergsmutter meinte es gut mit dem Nachwuchs – und machte die Pommes frites selbst. Aus frischen Kartoffeln. Die Klasse war entsetzt. „Igitt, die Pommes schmecken ja nach Kartoffeln“, entfuhr es einem Schüler. Woraus die Lieblingsspeise so vieler Kinder eigentlich hergestellt wird, darüber hatte sich zuvor noch kaum einer Gedanken gemacht. Bei McDonald’s gibt’s die schließlich in der Tüte.

Schäfer schmunzelt, wenn er solche Anekdoten auftischt. Doch es mischt sich schnell Ernsthaftigkeit in die Stimme des Biologen. Er ist beim Landesverband der Gartenfreunde Baden-Württemberg in der Fachberatung tätig – und was die Pflanzen- und Tierspezialisten da so erleben, lässt alle Alarmglocken schrillen. „Während der letzten zwei Generationen ist das frühere Gartenwissen in vielen Familien weit gehend gekappt worden“, sagt Schäfer. Von Natur habe heute kaum mehr einer eine Ahnung, trotz aller Ökotrends und Umweltdiskussionen. Und das nicht nur in den Ballungsräumen. Keine Pflanzenkenntnisse, kein Geschmacksempfinden für reifes Obst und Gemüse. „Stattdessen wird der von der Industrie künstlich getunte Geschmack von Lebensmitteln als normal erachtet.“ Das Essen kommt halt aus dem Supermarkt.

Zuviel Zeit vor dem Computer

„Viele Kinder verbringen die meiste Zeit drinnen, zum Beispiel am Computer. Und viele Eltern bewirtschaften selbst keinen Garten mehr“, sagt Christian Puschner. Man müsse deshalb beim Naturwissen „vom Schlimmsten ausgehen“. Dabei muss er nicht einmal die berühmte lila Kuh aus der Fernsehwerbung bemühen, die manche inzwischen für echt halten. Oft wisse der Nachwuchs nicht einmal mehr, dass eine Möhre unter der Erde wachse. Die kleine Gegenbewegung, die es inzwischen gebe, helfe da nicht viel.

Der Verband will deshalb gegensteuern. Und so kommt es, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit einer dicken Broschüre in der Hand im Landtag steht. Das Werk mit dem Titel „Ein Garten zum Lernen“ hat Puschner entwickelt. Es geht darin um die Schulgartenarbeit für alle Altersstufen und Schularten. „Wir wollen damit Kinder wieder an die Natur heranführen. Sie sollen Tiere und Pflanzen in ihrer Vielfalt erleben“, sagt der Verbandspräsident Klaus Otto, als er die Handreichung an Kretschmann überreicht – mit der Bitte, dafür zu sorgen, dass sie an möglichst viele Schulen verteilt wird. Das Ehrenamt wolle mit der Aktion das Hauptamt unterstützen, betont Otto. Und ergänzt mit einem Augenzwinkern: „Sie als Lehrer werden damit bestimmt viel anfangen können.“

Kretschmann bedankt sich höflich. „Gerade in diesen Zeiten mit dem Rückgang der Biodiversität ist so etwas wichtig.“ Gärten als Biotope seien da ein guter Gegentrend. „Wir müssen Kinder möglichst früh an das Thema heranführen. Das prägt“, sagt der Ministerpräsident noch, bevor er zur nächsten Sitzung entschwindet.

Wie sollen die Lehrer an die Unterrichtshilfe kommen?

Allein: Über das Wie gibt es noch Diskussionen. Die Erstauflage der Broschüre ist zwar vom Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz finanziell gefördert worden und auch dem Kultusministerium bekannt. Anders als die Gartenfreunde hoffen, will man dort aber die Verteilung an die Lehrer nicht übernehmen. 40 bis 50 Prozent der Schulen im Land verfügen nach Schätzung des Verbandes über einen Schulgarten. Die Logistik wäre für die Gartenfreunde zu schwierig. Das Kultusministerium will jetzt in seinem ersten Newsletter im neuen Schuljahr alle Lehrer auf die Unterrichtshilfe aufmerksam machen. Die sei sehr willkommen. Zwar baue man das Thema Natur an vielen Stellen im Unterricht ein, klar sei aber auch: „Es gibt eine zunehmende Naturentfremdung bei Kindern und Jugendlichen.“

Dazu passt eine weitere kleine Geschichte von Harald Schäfer. Die von der Frau, die den Nachbarskindern frische Erdbeeren aus ihrem Garten anbot. Die Reaktion: „Igitt, die sind ja dreckig. Erdbeeren essen wir nur im gekauften Joghurt.“